© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Erstaunlicherweise bleibt beim massenhaften Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren immer noch etwas Energie, um an die Ereignisse im Kampf gegen Napoleon vor zweihundert Jahren zu erinnern. Andreas Platthaus hat zum Thema sogar einen Leitartikel für die FAZ geschrieben, der sich mit der Überschreitung der Rheinlinie durch Blücher befaßt, vor allem aber eins erkennen läßt: die konsequente Ausblendung deutsch-französischer Realitäten im aktuellen Geschichtsbild. Von den ganzen Ungereimtheiten, die Platthaus liefert, sei wenigstens eine präsentiert: die Behauptung, 1840/41 sei der „Streit über die Rolle des Rheins (…) zunächst literarisch eskaliert“. An dem Satz stimmt nichts. Der Konflikt hatte vielmehr seine Ursache in dem Versuch des französischen Ministerpräsidenten Thiers, mit seiner Forderung nach der „natürlichen“ Rheinlinie von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken und gleichzeitig die linke Opposition einzubinden. Was den letzten Punkt betraf, ging das Kalkül auf, keiner schrie lauter nach Krieg als Männer wie Blanc oder Proudhon. Aber womit Thiers nicht gerechnet hatte, das war die Entschlossenheit des preußischen Königs und der Nationalbewegung, die „Wacht am Rhein“ zu beziehen und keine neue französische Aggression zu dulden. Der junge Helmuth von Moltke schrieb damals hellsichtig: „Mit Frankreich hatten wir es schon vor Jahrhunderten zu tun, mit ihm werden wir es noch in Jahrhunderten zu tun haben.“

Die wunderbare Ausstellung zur dänischen Malerei in der Hamburger Kunsthalle macht auch deutlich, daß die so prononciert nationale Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eigentlich sehr stark an fremden – italienischen oder französischen – Mustern orientiert war, während die der zweiten Hälfte, die internationale Anerkennung fand, mit ihrer Konzentration auf das Tatsächliche, nicht das Verklärte, und die Farbe des Lichts die Besonderheit Skandinaviens eingefangen hat.

„Nicht dieser Defaitismus. Das ist allzu sehr Mittelklasse.“ (Lady Violet Crawley)

Nachdem die britische Armee die Schrittlänge beim Marsch verkürzt hat, um Soldatinnen zu schonen, verzichten nun die US-Marines auf die bis dato obligatorischen drei Klimmzüge, weil weibliche Rekruten vor dieser Anforderung regelmäßig versagen. Das ist auch interessant angesichts der Superkrieger und -kriegerinnen dieser Einheit, die uns die Unterhaltungsindustrie dauernd präsentiert. Propaganda ist zwar ein Begriff aus dem Lateinischen, aber der Sache nach etwas ganz und gar Angelsächsisches.

In der unaufhaltsamen Verbreitung der Fäkalsprache hat man eine letzte Bestätigung dafür, daß uns nicht nur der Begriff „ordinär“ abhanden gekommen ist.

Henryk M. Broder warnte unlängst vor den problematischen Folgen einer „Germanisierung“ Europas, wer aber denkt an die Folgen globaler „Germanisierung“? Ein in Ostasien tätiger Manager berichtete mir kürzlich, es gebe dort – etwa auf Taiwan – Firmen, die fingierten deutsche Namen, um Kunden anzuziehen. Da sucht sich also ein Modelabel keine smarte englische Bezeichnung, sondern kommt auf „Bauhaus“.

„Prinzipien? Die Aristokratie hätte nicht überlebt, ohne ihre Anpassungsfähigkeit.“ (Lady Violet Crawley)

Obwohl die Zeit zwischen den Jahren gemeinhin eine nachrichtenlose ist, haben die Medien die Gelegenheit versäumt, ausführlicher auf die bürgerkriegsartigen Zustände in manchen Stadtvierteln Hamburgs einzugehen. Dafür gibt es im Grunde nur zwei Erklärungsmöglichkeiten: 1) das Ganze wird als eine Art Folklore betrachtet, die eben „dazugehört“, so wie Bierhauskeilereien in Bayern; 2) „auf der Linken keine Feinde“ (René Renoult).

Bildungsbericht in loser Folge XLIX: Ein Grund, warum es keine Korrektur in der Bildungspolitik gibt, ist die Kürze der öffentlichen Aufmerksamkeitsspanne, ein anderer das Tempo, in dem alle Interessierten durch immer etwas Anderes „affiziert“ werden. Da kann ein und dasselbe Magazin zuerst lautstark beklagen, daß die sprachliche Inkompetenz mittlerweile auf die Universität übergegriffen hat und ein Haufen Erziehungshalbdenker die Kleinen schreiben wie hören läßt, um dann voller Sympathie über den Fall einer Pädagogin am Rande des Nervenzusammenbruchs zu berichten, die einen Brandbrief an die Elternschaft richtet, weil sie nicht mehr weiß, was sie gegen die Flegel tun soll, um schließlich einen mehrseitigen Essay zu liefern, in dem man das Lamento eines betroffenen, das heißt Kind habenden, Redakteurs vorfindet, der sich über die fehlende Offenheit des Unterrichts, zuwenig Mätzchen und zuviel Leistungsdruck beschwert.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 31. Januar in der JF-Ausgabe 6/14.

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