© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Westbindung der Ukraine
Historische Partnerschaft
Thomas Fasbender

Eine Generation nach dem Ende des Kommunismus sorgen die Denkbarrieren aus dem Kalten Krieg immer noch für Frontstellungen in Europa. Dahinter stecken zum überwiegenden Teil westliche Politiker, oft Männer in ihren hohen Achtzigern wie der Nationale Sicherheitsberater des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, die nicht akzeptieren, daß es auf dem Kontinent Staaten und Völker gibt, die sich anders organisieren wollen als nach dem Schnittmuster aus Brüssel oder Wash-ington.

Zu diesen Staaten gehört, allen Fernsehbildern mit EU-Flaggen auf dem Kiewer Maidan zum Trotz, die Ukraine. Weil die „Containment“-Doktrin, letztlich also das Herausdrängen Rußlands aus Europa, es so diktiert, muß das Land – coûte que coûte – ins westliche Folterbett.

Wobei allerdings niemand eine vernünftige Antwort auf die Frage hat, welchen Sinn dieser „Cordon sanitaire“, den die Westallierten 1919 zum Schutz vor der sowjetischen Weltrevolution ins Leben riefen, heute noch hat. Geht es darum, die säkularen Demokratien im Westen vor den christlichen Werten zu bewahren, die das neue Rußland propagiert?

Eines wissen die Ukrainer: Wenn es in Europa Spitz auf Knopf steht, können sie auf Hilfe aus Brüssel, Berlin oder Paris lange warten.

Daß ausgerechnet die Ukraine, dieses historisch so fragile Land zwischen West und Ost, in dieser sinnlosen Frontstellung zerrieben wird, ist letztlich geostrategisch ein Verlust für den ganzen Kontinent. Dennoch handelt die Kiewer Elite, gefangen in der Konfrontation zwischen den Rivalen Rußland und Nato/Europäische Union, richtig, wenn sie – mit allem Vorbehalt – auf das tausendjährige slawische Bruderland setzt und das Assoziierungsabkommen mit Brüssel zumindest noch nicht unterschreibt.

Was stellt die EU in Aussicht: An Barem allenfalls einige hundert Millionen Euro – keine elf Milliarden wie der Kreml. Auch zu günstigeren Gaspreisen kann sie der Ukraine nicht verhelfen. Dafür fordert Brüssel kräftig – nämlich schmerzhafte Anpassungsprozesse an EU-Recht und EU-Regeln ohne jede feste Zusage einer Mitgliedschaft. Im Vergleich dazu sieht die Standardisierung im Rahmen der von Rußland vorangetriebenen Eurasischen Union (JF 45/11) wesentlich längere Übergangsfristen vor.

Die ukrainische Industrie hätte auf absehbare Zeit keinerlei Chancen im Wettbewerb gegen die effiziente westeuropäische Konkurrenz. Nicht zu mißachten ist auch, daß der freie Warenfluß aus der EU auf das russische Territorium überschwappen und den ukrainisch-russischen Warenverkehr erheblich belasten würde. Zwar würden im Fall der Assoziierung erhebliche ausländische Investitionen ins Land fließen. Doch wirtschaftlich gesehen wäre die Ukraine binnen weniger Jahre eine westeuropäische Kolonie – mit allen sozialen und politischen Risiken bis hin zu einer Spaltung des Landes.

Aus strategischer Sicht gibt es noch ein wichtiges Argument: Über die Anbindung Rußlands an die anderen BRICS-Staaten Brasilien, Indien, China, Südafrika sowie Asien nimmt die Ukraine, jedenfalls bei einem Eintritt in die russische Zollunion, am Wachstum der künftig führenden Weltwirtschaften teil. Der Anteil der EU an der Weltproduktion und am Welthandel sinkt dagegen seit Jahren. Staatsschulden und Sozialkosten drücken den Kontinent nieder. Die Entscheidung „pro BRICS“ ist schlicht auch eine Wette auf das aussichtsreichere Pferd.

Ein anderes Motiv hat gesellschaftspolitischen Charakter. Der weit überwiegende Teil der ukrainischen Bevölkerung empfindet das Brüsseler Demokratiemodell – Säkularisierung aller Lebensbereiche, Multikulturalität, Geschlechter-Engineering, Schwulenehe – als dekadent und den eigenen Wertvorstellungen zutiefst entgegengesetzt.

Nicht zuletzt erklärt sich die euroskeptische Haltung der ukrainischen Eliten auch aus der Strukturkrise, in der die Europäische Union sich seit Jahren befindet. Das eine wissen die Ukrainer wohl: Wenn es in Europa mal wieder Spitz auf Knopf steht, aus was für Gründen auch immer, können sie auf Hilfe aus Brüssel, Berlin oder Paris lange warten. Moskau dagegen wird zur Stelle sein.

Die Europäische Union wird also im Osten nur Stiche holen, wenn sie sich von ihren ideologischen Schwarzweiß-Modellen verabschiedet. Europa ist ein delikates Gewebe, kein Sackleinen, und Ukraine à la Brüssel ist für das Land zwischen Lemberg und Dnepropetrowsk einfach nicht das richtige Rezept.

 

Thomas Fasbender, Jahrgang 1957, ist Philosoph und Kaufmann in Moskau. Jounalistisch ist er seit 2011 für die JF tätig.

Seit der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 steht immer wieder die Debatte um die Zugehörigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik zum Westen oder Osten auf der politischen Agenda. Dabei verfolgte die Führung des Landes stets eine Politik der Austarierung. Auf der einen Seite bemühte man sich um ein engeres Verhältnis zur Nato und EU, auf der anderen waren gute Beziehungen zum großen Bruder Rußland für das Land von fundamentaler Bedeutung.

Im Zuge der sogenannten „Orangen Revolution“ (2004) waren Politiker wie der damalige Präsident Wiktor Juschtschenko und nachfolgend Julia Timoschenko Garanten einer Westausrichtung. Nach den Präsidentschaftswahlen 2010 wendete sich unter Präsident Wiktor Janukowitsch das Blatt. Zwar wolle sein Land eine „Brücke zwischen Rußland und der EU“ sein, dennoch richtet der 63jährige den Blick verstärkt nach Moskau und legte das Assoziierungsabkommen mit der EU im November 2013 auf Eis.

Seitdem kommt es in den Westgebieten der Ukraine, die einst zur polnischen Republik gehörten, zu prowestlichen Protestaktionen durch die ukrainische National- und Freiheitsbewegung, die hier ihre Hochburgen haben. Dagegen kann Janukowitsch auf seine russophilen Anhänger in den bevölkerungsstarken Industriegebieten der Ostukraine zählen.

Foto: Demonstration prowestlicher Ukrainer in Kiew (Dezember 2013): Als nächster großer West-Ost-Kampftag steht die Präsidentenwahl im Jahr 2015 auf dem Programm

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