© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Auf den Trümmern des eigenen Geschichtsbildes
Hans-Ulrich Wehler, Apologet der deutschen Hauptschuld am Ersten Weltkrieg, ist nach Clarks Buch in der Defensive
Oliver Busch

Mitte der 1980er Jahre, während des „Historikerstreits“, stand der Bielefelder Ordinarius Hans-Ulrich Wehler in der Maienblüte seines öffentlichen Ansehens und akademischen Einflusses. Seitdem geht es mit diesem repräsentativen Historiker der alten BRD aber unaufhaltsam bergab. Schon Mauerfall und Wiedervereinigung erwischten den auf „Zweistaatlichkeit“ abonnierten Geschichtspolitiker kalt. Dann kam seine an den „Aufklärungsimperativ“ gekettete Konzeption von Geschichts- als „Historische Sozialwissenschaft“ unter die Räder der Alltags- und Mentalitätshistoriker, verschwand hinter allerlei „Gender“- nebst „Konstruktions“-Gedöns und dergleichen postmodernem Schnickschnack.

Bei der Bewältigung der Fachgeschichte zwischen 1933 und 1945 kapitulierte der Sozialdemokrat Wehler 1998 vor ihn links überholenden Exal-tados wie Götz Aly, die ihn bezichtigten, niemals nach der „braunen Vergangenheit“ seines Lehrers Theodor Schieder gefragt zu haben. Weit schlimmer traf ihn die matte Resonanz auf sein Lebenswerk. Denn seine 2008 abgeschlossene, den Zeitraum von 1700 bis 1990 umspannende fünfbändige deutsche „Gesellschaftsgeschichte“ (JF 43/08), die inzwischen von der Bundeszentrale für politische Bildung kostenlos verteilt wird, verbuchte die Kritik bereits bei ihrem Erscheinen cum grano salis als lediglich kompilatorische Fleißübung, für die der in der Hitlerjugend zum „Leistungsethiker“ erzogene Autor, ähnlich wie Thomas Mann es nach dem Abschluß seiner öden Joseph-Tetralogie für sich beanspruchte, ausschließlich wegen der „Beharrlichkeit im Durchhalten“ Respekt einfordern durfte.

Als Wehlers Epos endlich das 20. Jahrhundert erreichte, schritten neue Deutungen des wilhelminischen Reiches gerade hinweg über sein germanozentrisches Konstrukt von den „sozialimperialistischen“ Eliten, die aus Furcht vor dem Umsturz die Massen marine- und kolonialpolitisch zu ködern versuchten und auf diesem riskanten Konfrontationskurs dann einen Weltkrieg auslösten. Und heute bringt Christopher Clarks Destruktion der „Fischer-These“ von der deutschen Hauptschuld am Ersten Weltkrieg (JF 2/14) wiederum eine tragende Säule in Wehlers Geschichtsbild zum Einsturz. Wohl nicht zufällig in einem Interview mit der muffigen Frankfurter Rundschau (Ausgabe vom 18. Dezember 2013), die getreulicher noch als Zeit und taz Wehlers Herkunftsmilieu, das Bonner Biedermeier, konserviert, ist der inzwischen 82jährige Emeritus daher einmal mehr um Schadensbegrenzung bemüht.

Dabei folgt er brav der Abwehrstrategie, die Volker Ullrich in der Zeit (Ausgabe vom 17. September 2013) für Clarks „Schlafwandler“ vorgegeben hat: Fritz Fischers „Griff nach der Weltmacht“ werde durch das Werk des in Cambridge lehrenden Australiers keinesfalls widerlegt. Darum dekretiert auch Wehler starrsinnig: „Im Wesentlichen hat sich Fischer in der deutschen und der internationalen Forschung durchgesetzt.“ Die „entscheidende Weichenstellung“ sei im Juli 1914 in Berlin und nicht in London oder Sankt Petersburg erfolgt.

Wehler, der seit vielen Jahren in keinem Archiv mehr gesehen worden sein soll, imponiert gerade deshalb wohl die „mühsame Archivarbeit“ Fischers, die ihm die Solidität von dessen Forschungen hinreichend verbürgt.

Mächtekonstellation hat Wehler kaum interessiert

Christopher Clark könne daher bestenfalls nur einen „Hauch der Entlastung für die deutsche Position“ bieten. Anstelle einer Begründung dieser Einschätzung behauptet der ewiggestrige Wehler kühn, alle „zugänglichen“, also veröffentlichten und seinem Zugriff in Archiven nicht entzogenen Dokumente gelesen zu haben. Und denen entnimmt er, was er immer schon wußte, daß der deutsche Generalstab, samt seines schurkischen Anhangs, den Schlotbaronen und Junkern, das Bewegungszentrum der Weltgeschichte war. Mit dieser Prämisse muß er sich um die internationale Mächtekonstellation kaum kümmern. Denn selbst wenn „die Russen aufgrund ihrer inneren Probleme losschlagen wollten“, mit einem „englischen Schuldanteil“ zu kalkulieren sei und die Franzosen „das ihnen geraubte Elsaß-Lothringen wiederhaben“ wollten, dürfe man nicht, wie Clark das tue, die „Proportionen“ verschieben.

Offenbar doch etwas verunsichert, weicht Wehler zwar auf eine andere „entscheidende Triebkaft“ aus: den „fanatischen Nationalismus“, den er unvermutet allen kriegführenden Staaten in gleicher Stärke zuschreibt. Aber schnell führt der Gesprächsfaden wieder zu den Berliner „Kriegstreibern“ zurück. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg hätte einfach nur mit Rücktritt drohen sollen, dann wären die Militärs und Kaiser Wilhelm II. nicht weiter „vorgeprescht“. Vor allen Dingen hätte man sich doch „mit den Engländern absprechen können“.

Angesichts einer so infantilen Argumentation darf man bezweifeln, ob Wehler wirklich alle publizierten Akten gelesen hat. Zumal er sich dazu versteigt, den „zögerlichen“ Deutschen und nicht etwa der, wie dies zuletzt Hans Fenske belegt hat (JF 35/13), erwiesenen Unerbittlichkeit der einen Vernichtungskrieg führenden Entente anzulasten, daß nach Kriegsausbruch Friedensinitiativen immer wieder scheiterten.

Es ist verständlich, wenn ein älterer Herr wie Wehler nicht mehr umlernen möchte. Erich Honecker wollte das auch nicht, denn: „Es war doch nicht alles schlecht“, oder?

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