© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Warum dicke Kinder schlechter lernen
Eine Berliner Studie beleuchtet den Zusammenhang von Übergewicht und Schulerfolg
Julian Plassmann

In den USA ist ein Drittel der Kinder und Jugendlichen zu dick, genauer gesagt übergewichtig oder fettsüchtig (adipös). Bei ihren Altersgenossen in Westeuropa sind ähnlich ungesunde Entwicklungen zu beobachten, wenn auch der Anteil jener, die zuviel auf die Waage bringen, nicht so hoch ist wie in den Vereinigten Staaten. Dänemark liegt mit 9, 7 Prozent zu dicken Kindern am unteren Rand der Skala, Deutschland mit 15 Prozent der 3- bis 17jährigen im oberen Mittelfeld. Unter diesen 800.000 deutschen Kindern befinden sich jedoch 330.000, denen Fettleibigkeit attestiert wurde. Seit den frühen 1990ern Jahren bedeutet das einen Anstieg der Übergewichtsprävalenz beim Nachwuchs um 50 Prozent, während sich die Krankheitshäufigkeit von Adipositas sogar verdoppelte.

Besonders Mädchen haben große Probleme

Doch nicht nur Mediziner oder, angesichts belastender Begleit- und Folgeerkrankungen, Gesundheitspolitiker stellt das Übergewichtsproblem vor schwer zu meisternde Herausforderungen. US-Studien warnen seit langem vor signifikanten Auswirkungen von Übergewicht und Fettleibigkeit auf den jugendlichen Bildungserfolg. Da es für Deutschland keine vergleichbaren Untersuchungen gibt, haben nun die Berliner Sozialwissenschaftler Marcel Helbig und Stefanie Jähnen versucht, diese Forschungslücke zu schließen.

Ihre auf der Basis des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys und des Mikrozensus 2009 erstellte Studie, die der Frage nachgeht „Warum adipöse Kinder in der Schule schlechter abschneiden“ kommt zu klaren Ergebnissen. Fettleibige Jungen und Mädchen bekommen im Mathematik-Unterricht deutlich schlechtere Noten als normalgewichtige Mitschüler und haben geringere Chancen auf einen Wechsel zum Gymnasium.

Zur Erklärung dieser Misere reicht es indes nicht aus, auf den vermeintlich offenkundigen Zusammenhang zwischen niedrigem sozialen Status, relativem Körpergewicht und verzögerter Entwicklung intellektueller Kompetenzen zu verweisen. Sicher sei ein Teil der schlechteren Bildungschancen auf die soziale Herkunft, auf ungünstigere elterliche Ressourcenausstattung vor allem adipöser Mädchen zurückzuführen. Trotzdem gibt es bislang keine eindeutigen empirischen Hinweise auf die Korrelation zwischen Adipositas und Intelligenzquotient.

Da auch über genetische Dispositionen zu wenig bekannt ist, glauben Helbig und Jähnen der Stigmatisierung übergewichtiger Kinder eine wichtige Ursache der Bildungsungleichheiten zuschreiben zu können. Das „negative soziale Feedback“, das zu dicke Kinder schon im Vorschulalter erfahren, bedinge ein niedrigeres Selbstwertgefühl bei Übergewichtigen. Das seien psychosoziale Konsequenzen, die sich nachteilig auf den Schulerfolg auswirken. Daß in vielen Studien dabei vor allem Mädchen negativ auffielen, sei nicht verwunderlich, da Schlanksein bei Mädchen und Frauen gesellschaftlich wesentlich stärker forciert werde als bei Jungen und Männern.

Mit ihrer These über den Zusammenhang von Übergewicht, lädiertem Selbstwertgefühl und schlechten Noten haben Helbig und Jähnen nur einen ersten Schritt gemacht. Nun ist das Rätsel zu lösen, warum Adipöse zwar schlechtere Mathematiknoten, aber keine schlechteren Deutschnoten erzielen.

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