© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Ägypten nach dem Verfassungsreferendum
Europa sollte sich heraushalten
Peter Scholl-Latour

Dem Verfassungsreferendum der ägyptischen Übergangsregierung haben über 98 Prozent der Wähler zugestimmt. Allerdings sind weniger als 40 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt an die Urnen gegangen. Ägypten ist zweifellos ein gespaltenes Land. Das Militär scheint sich fest etabliert zu haben, so daß die Muslimbrüder kaum in der Lage sein werden, das jetzige Machtgefüge ins Wanken zu bringen.

Verglichen mit der Herrschaft des 2011 gestürzten Machthabers Hosni Mubarak hat sich die Situation verschlimmert. Gemessen an dem, was der General al-Sisi jetzt veranstaltet, war Mubarak liberal und weniger repressiv. Die Muslimbruderschaft wurde damals wenigstens geduldet als karitative Organisation; sie konnte sogar Delegierte in die Ärzte- oder Anwaltskammer entsenden. Nun ist sie zu einer verbrecherischen Organisation deklariert worden.

Von Präsident Mohammed Mursi mag man denken, was man will, aber er ist immerhin gewählt worden mit einer Mehrheit der Stimmen. Es gab einen Putsch gegen ihn; das sollten alle, die jetzt Begriffe wie Demokratie oder Meinungsfreiheit im Mund führen, nicht vergessen. Die Muslimbrüder werden jetzt in den Untergrund getrieben und drohen gewalttätig zu werden.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß dem Land noch heftigere Wirren bevorstehen, zumal sich ja die wirtschaftliche Situation nicht verbessert hat. Die ägyptische Presse wird heute stärker gegängelt, als es unter Mubarak der Fall gewesen ist. Im Moment sieht es danach aus, daß den Menschen am Nil nur die Wahl bleibt zwischen einer Militärdiktatur auf der einen und einem islamischen Gottesstaat auf der anderen Seite. Was unser Verhältnis dazu betrifft: Wir können mittlerweile nicht mehr vom Westen sprechen. Wir ziehen nicht mehr am gleichen Strang wie die Vereinigten Staaten. Die Amerikaner gehen gerade im Nahen und Mittleren Osten mit Methoden vor, die wir nicht mehr gutheißen können. Wir haben jetzt unsere Erfahrungen mit der Abhöraffäre der NSA gemacht; darin zeigte sich die Naivität der Deutschen, die meinten, sie lebten in einer heilen Welt. Mit Blick auf das derzeitige ägyptische Regime sollten sich die Europäer aus der Sache ganz heraushalten. Was könnten wir denn schon bewirken?

Die einzigen, die auf dem afrikanischen Kontinent aktiv werden, sind die Franzosen. Der Konflikt in Mali zum Beispiel reicht nahe an Europa heran, er hat auch Auswirkungen für uns. Deswegen halte ich die Erklärung des neuen Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD), Deutschland solle die Franzosen dort künftig logistisch und materiell unterstützen, für sehr viel vernünftiger als die rein symbolische Präsenz seines liberalen Amtsvorgängers Westerwelle auf dem Tahrir-Platz oder dem Maidan in Kiew.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen