© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Kampf um die besten Plätze
Alternative für Deutschland: In Aschaffenburg stellt die AfD an diesem Wochenende ihre Liste für die Europawahl auf
Marcus Schmidt

Besser hätte der FDP-Europaparteitag für die Alternative für Deutschland (AfD) gar nicht laufen können. „Die AfD ist nicht unser Hauptgegner“, tönte Parteichef Christian Lindner und schaffte es am vergangenen Sonntag mit diesem Satz in die Hauptnachrichtensendungen. Lindner wollte damit Selbstsicherheit und Siegesgewißheit verbreiten und erreichte doch das genaue Gegenteil. Statt der bewährten politischen Taktik zu folgen und den neuen Gegner „nicht mal zu ignorieren“, verhalf er der Euro-kritischen Partei zu unverhoffter Werbung.

Lindners Patzer machte blitzartig klar: Die FDP fürchtet bei dieser Europawahl nichts mehr als die Euro-Kritiker um Bernd Lucke. Als Horrorszenario gilt in der Berliner FDP-Zentrale seit dem Rauswurf aus dem Bundestag, daß die Liberalen bei der Wahl zum Europäischen Parlament hinter der AfD zurückbleiben. Dann wäre der von allen erwartete Wiedereinzug der Liberalen ins Europaparlament innenpolitisch wertlos. Das Wort von der Wachablösung im Parteienspektrum würde die Runde machen. Die FDP müßte endgültig ums politische Überleben kämpfen.

Aber auch für die AfD geht es am 25. Mai um alles oder nichts. Sollte die Partei an der Dreiprozenthürde scheitern, wäre das Projekt tot. Doch davon will in der AfD niemand etwas wissen. Auch nach den Querelen der vergangenen Wochen in einigen Landesverbänden – allen voran in Hessen – ist der Einzug in das Europaparlament fest eingeplant. Dabei spielt die Euro-Krise in der Öffentlichkeit längst nicht mehr die Rolle wie noch vor einem Jahr, als sich die Partei wie aus dem nichts gegründete und zur Überraschung des Bundestagswahlkampfs wurde.

Will die Partei an die sensationellen 4,7 Prozent bei der Bundestagswahl anknüpfen, oder diese besser noch übertreffen, muß der Europaparteitag am Sonnabend in Aschaffenburg einigermaßen glatt über die Bühne gehen. Versinkt das Delegiertentreffen vor den Augen der Öffentlichkeit in einem ähnlichen Chaos wie jüngst der Landesparteitag in Hessen, wäre das Wahljahr für die AfD bereits gelaufen.

Auch deshalb hat die Parteispitze das Treffen seit Wochen akribisch vorbereitet. Eine Große Europakommission aus Vertretern der Bundespartei und der Landesverbände hat sich auf die Grundzüge eines Europawahlprogramms festgelegt (siehe eine Auswahl unten), über das die Delegierten in Aschaffenburg abstimmen sollen. Dies dürfte nicht völlig reibungslos ablaufen. In der Partei herrscht eine verbreitete Unzufriedenheit mit der als schleppend empfundenen Programmarbeit der Partei. So hat die AfD immer noch kein Parteiprogramm. Nicht wenige vermuten, daß die Parteiführung um Lucke die zu erwartenden Auseinandersetzungen mit Blick auf den Europawahlkampf scheuen. Immerhin ist für Ende März nun ein Pogrammparteitag angesetzt.

Für Diskussionen in Aschaffenburg könnte insbesondere die Position der Partei zu einem EU-Beitritt der Türkei sorgen. Die Europakommission der AfD konnte sich hier nicht auf eine eindeutige Ablehnung festlegen. Auch das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten birgt Konfliktpotential.

Im Vordergrund wird allerdings die Aufstellung der Europaliste stehen. Die Parteiführung geht davon aus, daß die Partei mit sechs bis acht Abgeordneten in das Europaparlament einziehen könnte. AfD-Sprecher Bernd Lucke ist als Spitzenkandidat gesetzt. Trotz der in den vergangenen Wochen aufkeimenden Kritik an seinem von manchen als autoritär empfundenen Führungsstil gilt er als unersetzlich. „Ohne Lucke“, so ein Vorstandsmitglied, „wäre die Partei am Ende.“ Gerade aus diesem Grund sorgt Luckes bevorstehender Gang nach Brüssel auch für Unbehagen. Künftig könne er nicht mehr jedes Wochenende auf irgendeinem Landesparteitag unterwegs sein, um Streit zu schlichten.

Spannender Kampf um Platz drei erwartet

Doch zu Lucke, der dank seiner zahlreichen Fernsehauftritte bislang das einzig bekannte Gesicht der jungen Partei ist, gibt es als Spitzenkandidat keine Alternative. Auch aus einem anderen Grund. Bislang hat sich Lucke von der Universität Hamburg für seine Parteiarbeit teilweise beurlauben lassen. Doch dies ist nicht länger möglich. Ein Mandat im Europaparlament würde Lucke und damit die Partei daher von einer Sorge befreien. Denn eins hat der fünffache Familienvater früh deutlich gemacht: Seine Beamtenstellung wird er für die Partei nicht aufgeben.

Für Listenplatz zwei wird Hans-Olaf Henkel kandidieren. Bereits der Medienandrang auf der Pressekonferenz in Berlin anläßlich seines Eintritts in die AfD zeigte, daß der frühere BDI-Präsident immer noch ein öffentlichtswirksames Zugpferd ist. Manchen Parteimitgliedern ist der einstige Euro-befürworter allerdings zu wechselhaft; andere halten ihn nur für schwer integrierbar. „Henkel ist Henkel“, sagte ein Vorstandsmitglied.

Um die weiteren Plätze werden erbitterte Auseinandersetzungen befürchtet, zumal nachdem Lucke angeregt hat, jeden dritten Listenplatz mit einer Frau zu besetzen. Für Platz drei der Europaliste könnte Ulrike Trebesius kandidieren. Die 43 Jahre alte Landessprecherin aus Schleswig-Holstein gilt als Luckes Favoritin für diesen Platz. Doch auch der Chefin der „Zivilen Koalition“, Beatrix von Storch, und der AfD-Pressesprecherin Dagmar Metzger werden Ambitionen nachgesagt. Während von Storchs Chancen von ihrem gespannten Verhältnis zu Lucke belastet sind, gilt die in der Parteispitze geschätzte Metzger vielen Konservativen in der Partei als rotes Tuch.

Dabei ist überhaupt nicht ausgemacht, daß die Delegierten sich auch tatsächlich darauf einlassen, Platz drei mit einer Frau zu besetzen. Allen voran die Landesverbände Baden-Württemberg (mit Sprecher Bernd Kölmel) und Nord-rhein-Westfalen (Alexander Dilger), haben ebenfalls Ansprüche auf einen aussichtsreichen Listenplatz angemeldet.

Die Delegierten können sich auf einen langen Tag einrichten.

 

Europawahlthesen der AfD (Auswahl)

Die Alternative für Deutschland tritt ein für eine Europäische Union souveräner Staaten.

Die Wertegrundlagen der Europäischen Union gehen hervor aus der christlich-abendländischen Tradition, der Aufklärung und dem Streben der Völker nach Menschenrechten und Demokratie.

Die AfD widersetzt sich der schleichenden Kompetenzerweiterung der EU-Institutionen über die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten hinaus.

Die Europäische Kommission muß drastisch verkleinert werden. Nicht jedes Land braucht einen eigenen Kommissar.

Deutschland muß entsprechend seiner Einwohnerzahl und Bedeutung ein größeres Gewicht in den europäischen Institutionen erhalten.

Die Einführung des Euro hat sich als eine politisch motivierte Entscheidung gegen die ökonomische Vernunft erwiesen. Der Euro untergräbt die historischen Errungenschaften der EU. Die „alternativlose“ Euro-Rettung darf nicht länger den Wohlstand und die Zukunft

Europas und der Nationalstaaten gefährden.

Wir fordern, daß Deutschland sein Veto gegen weitere Hilfskredite einlegt.

Deutschland braucht qualifizierte Zuwanderung.

Hartz IV, Kindergeld oder Wohngeld sollen nur Personen erhalten, die in Deutschland in erheblichem Maße direkte oder indirekte Steuern gezahlt haben oder deren Eltern dies getan haben.

Die Niederlassungsfreiheit darf nicht dazu mißbraucht werden, Sozialleistungen zu beziehen.

Wir wenden uns gegen eine Überwachung von politischen Gruppen, nur weil sie euro- oder europakritische Positionen vertreten.

 

Die Lage der Landesverbände der AfD

Bremen

Im Frühjahr 2015 wird in Bremen eine neue Bürgerschaft gewählt. Bis dahin wird sich entscheiden, ob es der kleinen AfD-Truppe in der Hansestadt gelingt, konkurrenzfähige Strukturen aufzubauen.

 

Hamburg

Die AfD in der Hansestadt war lange Zeit ein besonders aktiver Landesverband. Durch interne Richtungskämpfe hat er zuletzt aber an Schwung verloren. Wahlen stehen in Hamburg im Frühjahr kommenden Jahres an.

 

Schleswig-Holstein

Der Landesverband zwischen Nord- und Ostsee hat bislang nicht mit Skandalen von sich reden gemacht. Die Aufbau- und Programmarbeit geht planmäßg voran.

 

Mecklenburg-Vorpommern

Der kleine Landesverband im Nordosten gilt in der Partei als unauffällig und solide. Er hat bislang noch keine nennenswerten Skandalen verursacht und muß sich erst im Herbst 2016 Landtagswahlen stellen.

 

Berlin

Nach anfänglichen Turbulenzen herrscht an der Spitz des Landesverbandes derzeit Waffenruhe. Durch den Eintritt des in Berlin wohnenden Hans-Olaf Henkel dürfte die Hauptstadt-AfD an Einfluß gewinnen.

 

Brandenburg

Nachdem Landessprecher Roland Scheel wegen eigenmächtiger Gespräche mit dem BZÖ zurücktreten mußte, ist der märkische Landesverband derzeit auf der Suche nach einem geeigneten Vorsitzenden und Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im September.

 

Sachsen-Anhalt

Die AfD in Sachsen-Anhalt muß den Austritt ihres Sprechers Michael Heendorf verkraften. Dieser war im vergangenen Jahr maßgeblich am Aufbau der Partei beteiligt. Wahlen stehen im Frühjahr 2016 an.

 

Sachsen

Dem relativ stabilen und konservativ geprägten sächsischen Landesverband unter AfD-Sprecherin Frauke Petry werden gute Chancen eingeräumt, Ende August in den Landtag einzuziehen.

 

Thüringen

Der thüringische Landesverband rüstet sich für die Landtagswahl im September. Nach einigen Querelen hat die AfD in Thüringen unter der neuen Sprecherin Michaela Merz an Profil gewonnen.

 

Bayern

Die AfD im Freistaat hat sich nach einem turbulenten Beginn stabilisiert. Mittlerweile gilt der Landesverband als gut organisiert. Mit Dagmar Metzger verfügt er über ein einflußreiches Mitglied in der Bundesspitze.

 

Baden-Württemberg

Der eher konservativ ausgerichtete Landeverband gilt als relativ stabil. Im Frühjahr 2016 stehen Landtagswahlen an. Bis dahin muß sich die AfD in Baden-Württemberg in der Fläche verankern.

 

Saarland

Von gravierenden Streitigkeiten ist die Saar-AfD bislang nichts bekannt. Prominenter Neuzugang: der ehemalige Datenschutzbeauftragte des Saarlands, Roland Lorenz.

 

Rheinland-Pfalz

Die AfD in Rheinland-Pfalz ist bislang von größeren Verwerfungen verschont geblieben. Der Landesverband muß sich voraussichtlich im Frühjahr 2016 Landtagswahlen stellen.

 

Hessen

Der mit knapp 2.000 Mitgliedern größte Landesverband ist schwer angeschlagen. Nach den Querelen der vergangenen Wochen haben vor allem viele konservative Mitglieder die Partei verlassen.

 

Nordrhein-Westfalen

Der relativ stabile Landesverband des bevölkerungsreichsten Bundeslandes fühlt sich bislang in der Partei unterrepräsentiert. Spätestens bei der anstehenden Nachwahl zum AfD-Bundesvorstand soll sich das ändern.

 

Niedersachsen

Der Landesverband von AfD-Sprecher Bernd Lucke gilt als eher unauffällig. Da Wahlen in Niedersachsen voraussichtlich erst 2018 anstehen, kann sich die Partei in Ruhe auf die Aufbauarbeit konzentrieren.

Foto: Die Alternative für Deutschland hofft vor der Europawahl im Mai auf einen zweiten Frühling: „Ohne Lucke wäre die Partei am Ende“

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