© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Politische Korrektheit
Der Spießer steht links
Norbert Borrmann

Er ist wer. Er ist Teil der guten Gesellschaft. Er bestimmt, wer zu ihr gehört und wer draußen vor der Tür bleibt. Selbstverständlich legt er fest, welche Themen ausdiskutiert werden und worüber man lieber schweigt, wer beklatscht wird und wer verdammt. Er ist etabliert, dennoch trägt man gerne etwas Revolutionschic auf. So spielt er „Provokateur“, zeigt Flagge und quillt über vor Zivilcourage.

Der Staat, in dem er es sich so behaglich gemacht hat, wird als reaktionär verspottet. Er ist Mainstream, erklärt sich aber lautstark als Teil einer aufsässigen Minderheit. Wer nicht für „Multikulti“ ist, wird als Rassist stigmatisiert, im Migrantenviertel wohnt er aber nicht und den eigenen – spärlichen – Nachwuchs würde er niemals auf eine Problemschule schicken. Kurzum, er ist genauso verlogen, wie er etabliert ist.

Wovon sprechen wir? Natürlich vom linken Spießer. Spießer hat es immer gegeben, und schon immer haben ihn Konformität und Selbstgerechtigkeit gekennzeichnet. Herrschende Werte werden vom Spießer niemals in Frage gestellt, schließlich ist er an seinem Fortkommen interessiert.

Was gut und böse ist, weiß er, ohne darüber nachzudenken. Abweichler und abweichende Denkmodelle irritieren ihn und führen zu Abwehrmaßnahmen. Der Spießer ist nie Einzelkämpfer, sondern Herdentier. Obgleich der Spießer eine Abneigung gegen Veränderungen hat, paßt sich jede neue Spießergeneration dem gesellschaftlichen Wandel an.

Der Spießer von 1950 verkündete andere Werte als derjenige von 1900, und der von heute vertritt selbstverständlich den aktuellen Wertekanon. Da das linke Lebensgefühl mittlerweile die ganze Gesellschaft durchdrungen hat, steht der Spießer natürlich links. Der linke Spießer ist keineswegs auf den „grün“ wählenden Oberlehrer beschränkt, sondern zur dominierenden Gattung geworden.

Das ist so evident, daß sich mittlerweile selbst die Medien, die doch das herrschende linke Weltbild transportieren, mitunter über die „Neuen Spießer“ mokieren.

Etwa über die Reglementierungswut der Grünen, den radikal-vernagelten Mülltrenner oder die satte Selbstgerechtigkeit vieler Linker, die moralisch immer auf der richtigen Seite zu stehen glauben. „Ihr seid nichts als linke Spießer, ich frag mich, was wart ihr früher“, tönt es von der Punkband Slime, und die Zeitung der linken Spießeravantgarde, die taz, warb in einer Abo-Kampagne selbstironisch mit dem Slogan: „Werden Sie Neo-Spießer“.

Gleichwohl entlarvt sich der linke Spießer natürlich nicht selbst. Die eigene Spießigkeit wird nur angekratzt und an einigen Überzeichnungen festgemacht. Der eigene Herrschaftsanspruch wird jedoch in keiner Weise in Frage gestellt, sondern als naturgegeben vorausgesetzt.

Das gilt gerade für die Massenmedien, in denen wohltemperiert, aber in Permanenz einem Millionenpublikum die neue Spießigkeit eingeimpft wird. Doch was kennzeichnet diese neue Spießigkeit und worin unterscheidet sie sich von der Spießigkeit früherer Generationen? Die ideologische Grundausstattung des neuen Spießers läßt sich mit zwei Worten umreißen: Politische Korrektheit. Sie bildet den Mittelpunkt des neuen Spießerkosmos.

Wer aber von den herrschenden Werten abweicht oder im Verdacht steht, abzuweichen, für den hält der linke Spießer allerhand Giftpfeile parat: Sexismus, Nationalismus, Antisemitismus, Chauvinismus, Rassismus. Irgend etwas wird schon treffen.

Politische Korrektheit hat ihren Ursprung in den USA. Linken Gruppierungen gelang es dort, ihren dogmatischen Egalitarismus als normativ durchzusetzen. Niemand sollte sich aufgrund seiner Rasse, seines Geschlechtes, seiner Religion, seiner geschlechtlichen Veranlagung in irgendeiner Weise „diskriminiert“ fühlen.

Im Klartext bedeutet das aber, daß keine dieser Gruppen oder „Minderheiten“ objektiv bewertet werden darf, zumindest nicht dergestalt, daß daraus eine wie auch immer geartete „Diskriminierung“ herausgelesen werden könnte. Vor allem in Deutschland wird die Politische Korrektheit noch durch den überaus sensiblen Bereich der „Vergangenheitsbewältigung“ und einen daraus geborenen Schuldkult ergänzt.

Politische Korrektheit bildet das Fundament heutiger Spießermoral. Sie begegnet uns überall: in den Massenmedien, den Gewerkschaften, den Kirchen, in der Werbung und natürlich in der Politik – und dort in allen etablierten Parteien, bei CDU und CSU genauso wie bei Sozialdemokraten, den Grünen, der Linkspartei, der FDP oder den Piraten.

In der Praxis heißt politische Korrektheit: Verbote und Ausgrenzung von denjenigen, die sich nicht politisch korrekt verhalten. Allerdings nennt der linke Spießer das nicht beim Namen, vermarktet er sich doch gerne als weltoffen und liberal.

Wer aber von den herrschenden Werten abweicht oder im Verdacht steht, abzuweichen, für den hält der linke Spießer allerhand Giftpfeile parat: Sexismus, Nationalismus, Antisemitismus, Chauvinismus, Rassismus. Irgend etwas wird schon treffen. „Faschismus“ ist schließlich keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Sollte das immer noch nicht ausreichen, wird dem Abweichler einfach ein leichter Dachschaden unterstellt, er leidet eben unter „Phobien“.

Wer etwa findet, angesichts der anrollenden demographischen Katastrophe sei die Homoehe so ziemlich das letzte, was nötig ist, der ist „homophob“. Wer angesichts brennender Kirchen in islamischen Ländern (mittlerweile auch in Europa) und der ständig wachsenden Zahl von Moscheen im eigenen Land auf eine Diskrepanz verweist, der ist „islamophob“. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Norm-Abweichler findet nicht statt. Am Ende bleibt der „weltoffene“ linke Spießer wieder unter sich. Scheinheiligkeit und Heuchelei waren schon immer ein Kennzeichen des Spießers, doch der linke Spießer hat die Lüge ins Zentrum seines Handelns gerückt.

So steht auf den zahlreichen Verbotsschildern, die er aufgestellt hat, eben nicht „Verboten“, sondern vielleicht „Respekt“ oder „Toleranz“. Auf jeden Fall etwas Klangvolles. Der linke Spießer neigt nämlich zur Orwellsprache – seine Worte bedeuten oft genau das Gegenteil von dem, was sie aussagen: „Toleranz“ heißt Zensur, „Buntheit“ Gleichmacherei, „Zivilcourage“ beinhaltet ein gesellschaftlich eingefordertes Verhalten. Etwas „kritisch“ sehen, bedeutet nicht mehr das objektive Abwägen von Tatbeständen, sondern das Betrachten von Fakten unter dem Gesichtspunkt Politischer Korrektheit, um sie gegebenenfalls in die gewünschte Richtung zu verbiegen.

Oft geht das Verbiegen der Tatsachen auch mit Feigheit einher; denn der unverstellte Blick auf die Wirklichkeit, etwa bezüglich der rapiden Vergreisung der autochthonen Bevölkerung, Problemschulen oder „Jugendunruhen“, könnte für Unbehagen sorgen. Wo so viel Augenwischerei herrscht, kann kaum noch ein echtes Verantwortungsgefühl bestehen. Der linke Spießer, der sich und der Welt so gerne vorgaukelt, er sei der beste aller Menschen, betreibt Gesinnungsethik und keine Verantwortungsethik.

Es geht ihm vorrangig darum, sich selbst zu bestätigen, wie „gut“ er eigentlich ist. Seine Gesinnungsethik richtet sich nach ideologisch vorgestanzten Schemata, die meist vorgeben, für ein absolut „Gutes“ einzutreten. Die realen Folgen, die dieses rücksichtslos eingeforderte „Gute“ haben könnte, sind sekundär. Wer an die „Jeder Mensch ist Ausländer“ oder „Asyl für alle“- Töne denkt, der weiß, wie realitätsfremd und in der Folge destruktiv das Agieren linker Spießer sein kann. Eng verbunden mit seiner Gesinnungsethik ist die Doppelmoral des linken Spießers.

Während jeder Verfolgte des NS-Regimes der „Trauerarbeit“ des linken Spießertums gewiß sein kann, verhält es sich bei den Leichenbergen des Kommunismus ganz anders. Als 1998 das faktengesättigte Werk „Schwarzbuch des Kommunismus“ auf deutsch erschien und die 80 bis 100 Millionen Toten belegte, die das linke Weltbeglückungsexperiment verursacht hat, titelte die ansonsten dauerbewältigende Zeit (Nr.25/98) höhnisch: „Windei 98“. Tenor: Davon haben wir schon gehört, wozu da noch ein Buch. Man stelle sich umgekehrt vor, das gleiche wäre über die Aufarbeitung der NS-Zeit gesagt worden. Das Gezetere der linken Spießer wäre noch heute zu hören.

Lüge und Scheinheiligkeit haben bei ihm eine neue Qualität erreicht. Im Gegensatz zum tradierten Spießbürger ist er Gesinnungstäter. Verantwortungsgefühl – gar gegenüber dem eigenen Volk, der Nation oder einer europäischen Identität – kennt er nicht.

Als Gesinnungstäter steht der linke Spießer einer Verantwortungsethik fern – ganz im Gegensatz zum ursprünglichen „Spießbürger“ übrigens. Der mittelalterliche Spießbürger – von dem der Begriff stammt –, war nämlich bereit, mit seinem Spieß und unter Einsatz seines Lebens seine Heimatstadt, sein Territorium gegen äußere Eindringlinge zu verteidigen (der linke Spießer verhält sich genau umgekehrt).

Daher verband man den Spießbürger auch lange Zeit, trotz aller Enge und Subalternität, mit einer Person, die Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen trägt, dem sie ihr Dasein mit verdankt.

Kaum einer mag Spießer sein, der Linke am allerwenigsten. Doch das ändert nichts daran, daß er der Spießertypus dieser Zeit ist und alle Versuche, daraus auszubrechen, wenig nützen. Mag er sich als noch so aufsässig gebärden, die Fäuste ballen und rote Fähnchen schwenken, er bleibt doch, was er ist: Mainstream und damit Spießer. Das gilt auch für die Schlägertrupps der neuen Spießigkeit, die alles niederknüppeln, denunzieren und verleumden, was nicht politisch korrekt ist: die Antifa.

Wirklich „Anti“ ist heute nur noch, wer rechts steht. Ebensowenig wie der Linke seinem Spießertum entfliehen kann, kann der Rechte zum Spießer werden, selbst wenn er sich auch noch die größte Mühe dazu gibt. Er kann Briefmarken sammeln, Gartenzwerge horten, Vorsitzender des örtlichen Kaninchenzüchtervereins werden (vorausgesetzt man läßt ihn überhaupt), jeden Morgen um 6.30 Uhr aufstehen und keinesfalls um 6.31 Uhr – das nützt alles nichts, da er als Angehöriger einer nicht fiktiv, sondern real ausgegrenzten Minderheit nicht Spießer sein kann; denn dieser verhält sich stets gesellschaftskonform und karrierefördernd.

Halten wir fest: Der traditionelle Spießer war eng, philiströs, selbstgerecht und in der Folge meist humorlos. Was gut und böse war, stand für ihn außer Frage. Unkalkulierbare Entwicklungen und neue geistige Strömungen mochte er nicht.

Auf Ungewohntes reagierte er schnell entrüstet. Er verhielt sich gesellschaftskonform, karrierefördernd und intolerant – all das trifft auch auf den linken Spießer von heute zu, obgleich „Toleranz“ zu seinen Lieblingsvokabeln zählt und er sich spätestens nach dem vierten oder fünften Glas Chianti als heroischer Einzelkämpfer gegen den „Faschismus“ wähnt.

Beim linken Spießer kommt aber noch etwas anderes hinzu: Lüge und Scheinheiligkeit haben bei ihm eine neue Qualität erreicht. Im Gegensatz zum tradierten Spießbürger ist er Gesinnungstäter. Verantwortungsgefühl – gar gegenüber dem eigenen Volk, der Nation oder einer europäischen Identität – kennt er nicht.

Es könnte daher gut sein, daß dieser neue Spießer der letzte Spießertypus ist, den Europa hervorgebracht hat. Zumindest ein Europa, das diesen Namen noch verdient.

 

Dr. Norbert Borrmann ist Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler. 2009 erschien von ihm das Buch „Kulturbolschewismus oder Ewige Ordnung. Architektur und Ideologie im 20. Jahrhundert“ im Grazer Ares-Verlag. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Multikulturalismus („Die große Reduktion“, JF 3/13).

Foto: Land der Ordnung und Verbote: Der Begriff des Spießbürgers hat seit dem Mittelalter einen fundamentalen Wandel erfahren

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