© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Held vom Feld
„Agrarpornos“ ohne Abmahngefahr: Das Netz ist voll von Amateurvideos spektakulär in Szene gesetzter Landmaschinen
Christian Vollradt

Eine Staubfahne im Gegenlicht. Schnitt. Ein großer Traktor mit Zwillingsreifen rollt frontal auf den Zuschauer zu, dann schwenkt die Kamera zur Seite, die Maschine zieht mitsamt dem angehängten Grubber vorbei und verschwindet hinter einer Wolke aus aufgewirbelter Erde. Schnitt. Aus der Vogelperspektive fährt das Bild über einen Mähdrescher, der seine Ladung gerade in einen Anhänger abtankt. Schnitt. Ein Maishäcksler rauscht vorbei. Schnitt. Dann tauchen in rascher Folge ein Traktor mit Raupenfahrwerk, ein Güllewagen mit Schleppschlauchverteiler und eine riesige Sämaschine auf. Das Ganze ist unterlegt mit dramatischer Musik – und dauert gute fünf Minuten. Filme mit Motiven wie diesen sind Legion im Internet, auf der Videoplattform Youtube gibt es mehrere Kanäle, die ausschließlich solche Aufnahmen bieten: Landtechnik im Einsatz.

„Agrarpornos“ nennen Spötter das augenzwinkernd; weil die Filme kaum eine eigentliche Handlung, sondern in erster Linie nur Aktion bieten. Zahlreiche Amateurfotografen und -filmer stellen ihre Arbeiten ins Netz, es gibt eine Vielzahl von Foren oder Gemeinschaften in sozialen Netzwerken wie Facebook. Sie nennen sich „Landwirtschaftliche Fotografien“, „Agrartechnik aus Norddeutschland“, „Landwirtschaft im Web“ oder „Agrartechnik HD“. Stolz präsentieren die Administratoren der Seiten die „Gefällt mir“-Zahlen, in den Kommentarspalten wird fleißig bewertet und gefachsimpelt. Zuweilen dienen solche Foren zum Erfahrungsaustausch, oder die Betreiber der Seiten fragen einfach, wo demnächst welche Arbeiten anstehen, um so neue Motive vor die Linse zu bekommen.

Für einige der Filmer ist das jedoch mehr als ein Hobby. Zu einer gewissen Berühmtheit über den Kreis der eingefleischtesten Fans hinaus haben es die Gebrüder Gläser gebracht. Sie betreiben das Geschäft mittlerweile professionell. Knapp 90 Euro kostet die von den beiden Niedersachsen produzierte DVD-Sammelbox unter dem Titel „Landwirtschaft in Deutschland“. Dazu besuchten die Brüder aus der Wedemark Landwirte in ganz Deutschland, um Traktoren und – teilweise außergewöhnliche – Erntemaschinen aufzunehmen. Hinsichtlich der Qualität von Bild, Ton und Schnitt spielen Profis wie die Gläsers bereits in einer anderen Liga als die vielen Videoamateure, die ihre Arbeiten kostenfrei im Internet präsentieren.

Dröhnender Diesel und Techno-Musik

Andere Produzenten machen mit ihren Landtechnikfilmen im Netz Werbung in eigener Sache. Sie drehen professionelle Imagevideos beispielsweise für Lohnunternehmen. Das sind Firmen, die als Dienstleister für jene Bauern tätig werden, die über keine eigenen (Groß-)Maschinen verfügen. Eine gelungene Präsentation der Geräte und ihrer Leistungsfähigkeit kann sich für derartige Betriebe auszahlen.

Der Clou der Videos ist es, die Landmaschinen und ihren Einsatz in der Praxis möglichst spektakulär in Szene zu setzen. Ein dröhnender Diesel gleich zu Beginn, noch bevor die Musik einsetzt (häufig Techno, gerne auch harte und rockige Sequenzen), ist da schon die halbe Miete. Gern wird von unten gefilmt, um die schiere Größe zu betonen. Oder ganz modern mit Kamera-Drohnen von oben, insbesondere wenn mehrere Maschinen oder Traktoren im Ernteeinsatz sind. Daß der Nordosten Deutschlands hier wegen der in der Regel größeren Schläge im Vorteil ist, versteht sich von selbst. Hier sind parallel fahrende Mähdrescher eher anzutreffen als in Bayern oder Baden-Württemberg. Und hier lassen sich echte Kolosse ablichten: Schlepper mit Raupenfahrwerk, moderne Knicklenker, aber auch die russischen Saurier der Marke Kirovets.

Häufiges Motiv sind auch Traktoren, die mit Räumschild und Gewichten zum Verdichten auf Maissilage für Biogasanlagen herumfahren. Und manche Landwirte setzen kleine Kameras ein, die sich im Cockpit des Traktors oder sogar auf den Geräten befestigen lassen: So entstehen zuweilen spektakuläre Aufnahmen, etwa wenn man im Schnelldurchlauf die Handgriffe des Treckerfahrers beobachten kann oder das Gefühl hat, man säße direkt auf einer Kreiselegge oder einer Pflugschar.

Fachzeitschriften wie Topagrar oder Der fortschrittliche Landwirt haben auf ihren Internet- oder Facebook-Seiten Videos eingebunden. Zwar geht es in den meisten von ihnen um echte Informationen, etwa Testberichte zu einzelnen Schleppern, und nicht bloße Unterhaltung; doch die Ästhetik der schnellen Schnitte und Kamerafahrten ähnelt auch hier den Videos der Landtechnik-Begeisterten. Hier mischt sich Information und Unterhaltung, die nicht zuletzt der Leser-Blatt-Bindung dient.

Nicht alle Fans der „Agrarpornos“ haben einen „grünen“, also landwirtschaftlich geprägten Hintergrund. Selbst auf eingefleischte Städter übt die Mischung aus kraftstrotzender Technik und stimmungsvoll in Szene gesetzter Natur einen ganz eigenen Reiz aus. Offenbart sich da eine Sehnsucht nach Urwüchsigkeit, die in den Filmen zum Ausdruck kommt? Vielleicht steckt auch in so manchem Büromenschen noch soviel Bauer, daß er sich nach Erde und Heu sehnt; und davon träumt, frühmorgens mit 200 Pferdestärken in den Sonnenaufgang zu rollen.

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