© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

Europawahlen
Geschichte als Schicksal
Dieter Stein

Die denkwürdigen Jahrestage – 100 Jahre Ausbruch des Ersten, 75 Jahre Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – werden die Folie sein, auf der in diesem Jahr die Bedeutung der europäischen Einigung eine besondere Würdigung erfährt. Nicht ganz zu Unrecht. Heute kaum noch vorstellbar, wie die großen europäischen Nationen sich in zwei Weltkriegen gegenüberstanden. Abermillionen gefallener Soldaten, von Bomben getöteter Zivilisten, Massenvertreibung, Internierung und Völkermorde waren die traumatische Bilanz. Riesige Landstriche wurden verheert und historische Städte ausgelöscht. Das „Nie wieder!“ hat sich ins kollektive Bewußtsein eingebrannt.

Die Europäer, vorneweg wir Deutschen, sind froh über siebzig Jahre Frieden. Genauer: die Westeuropäer. Denn bis 1989 zertrennte der Eiserne Vorhang den Kontinent. Für Mittel- und Osteuropäer endete der Zweite Weltkrieg erst mit dem Zusammenbruch der Ordnung von Jalta. Supranationale Staaten wie die Sowjetunion und Jugoslawien zerfielen, und wir erlebten stattdessen eine wundersame Renaissance untergegangen geglaubter Nationen.

Während insbesondere die politisch-mediale Klasse Westdeutschlands schon das postnationale Zeitalter glorreich angebrochen sah und dafür bereit war, sogar auf die Wiedervereinigung Deutschlands zu verzichten, bescherte der Völkerfrühling Osteuropas uns auch den Wiedereintritt eines geeinten Deutschlands in die Geschichte.

Im Vorfeld der im Mai anstehenden Wahlen zum EU-Parlament wird die Gefahr des „Rückfalls“ in „nationalistische Tendenzen“ angesichts der Exzesse zweier Weltkriege bemüht werden, um allzu unverschämte Kritik am Brüsseler Koloß im Keim zu ersticken. Mit dem Schlagwort „Europa“ in Kombination mit „Frieden“ glaubt man, jeden Kritiker von Kommission und Euro-Rettung zum „Friedensfeind“ und reaktionären Nationalisten stempeln und in die Defensive treiben zu können.

Doch in allen EU-Staaten befinden sich diejenigen im Aufwind, die eine Vergemeinschaftung von Schulden, die bedingungslose Euro-Rettung, das dirigistische, demokratischer Kontrolle weitgehend entzogene Regiment der Kommission und der Brüsseler Bürokratie ablehnen und eine subsidiäre Zusammenarbeit souveräner Nationalstaaten in einer verschlankten EU wollen. Auch in Deutschland formiert sich politischer Widerstand, der sich bei den Wahlen erstmals in relevanter Größe niederschlagen kann. Den Euro-Kritikern der AfD gelang es am vergangenen Wochenende auf einem Parteitag (siehe Bericht auf Seite 5), sich zusammenzuraufen, Umfragen taxieren sie aktuell bei sieben Prozent. Selbst Heribert Prantl freut sich, daß die „Schläfrigkeit deutscher Europawahlkämpfe“ jetzt ein Ende haben könnte.

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