© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

Teurer wird es in jedem Fall
Mindestlöhne: Die endgültige Regelung kommt wohl erst 2017 / Nicht alle Arbeitgeber unglücklich mit Gesetz
Peter Bauer

Eigentlich sieht alles nach einem Punktsieg der Sozialdemokraten aus: „Zum 1. Januar 2015 wird ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde für das ganze Bundesgebiet gesetzlich eingeführt.“ So steht es im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD.

Das ist zwar elf Monate später, als im Wahlkampf versprochen, aber der Heftigkeit der Reaktion aus den Wirtschaftsverbänden tat das keinen Abbruch. Der frühere Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt behauptete sogar, daß ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro „1,2 Millionen Arbeitsplätze kosten“ würde.

Daß der geplante Mindestlohn Stellen gefährdet, bestreiten auch die meisten deutschen Ökonomen nicht. Aber „es wird mit Sicherheit keine Million sein“, prognostizierte der Vizechef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Ulrich Walwei, im ZDF-Magazin Wiso. Das erklärt sich schon aus den Details und Ausnahmen im Koalitionsvertrag: Demnach gilt das „bundesweite gesetzliche Mindestlohnniveau uneingeschränkt“ erst ab 2017 – dem Jahr, in dem die nächste reguläre Bundestagswahl stattfindet.

Arbeitsplatzverlust ist vorprogrammiert

Zudem gibt es einige Umgehungsmöglichkeiten für den Mindestlohn: „Freiwillige Mehrarbeit, um auf bezahlte Überstunden zu kommen, wird es gewiß in nicht wenigen Fällen geben“, heißt es in einer Analyse im Fachblatt Wirtschaftsdienst (11/13). „Es wird hier gar kein Stundenlohn, sondern faktisch ein Stücklohn gezahlt. Besonders häufig finden sich solche Arbeitsverhältnisse unter den geringfügig Beschäftigten.“

Dies betreffe „reichlich zwei Millionen Personen beziehungsweise etwa sechs Prozent aller Beschäftigten in Deutschland“. Zudem könnte verstärkt abhängige in formal selbständige Beschäftigung umgewandelt werden: „Der frühere Mitarbeiter bleibt dabei weiterhin an seinen bisherigen Arbeitgeber gebunden, der Arbeitsvertrag wird lediglich etwa durch einen Werkvertrag ersetzt.“

Daß ausgerechnet die öffentliche Hand besonders einfallsreich ist, wenn es darum geht, den Mindestlohn zu umgehen, bewies ein Beitrag des ARD-Magazins Plusminus. Dort wurde die Putzfrau gezeigt, die unter anderem das Hauptzollamt Rosenheim jeden Tag reinigt: Maria-Teresa Vazquez bekommt von ihrer Firma dafür nur noch drei Stunden pro Tag bezahlt. Dafür soll sie vier Etagen und den Eingangsbereich säubern. Früher betrug ihre Arbeitszeit sechs Stunden. Nun muß sie dieselbe Arbeit in der Hälfte der Zeit schaffen, was die schwerbehinderte Frau nicht schafft, nicht schaffen kann.

Die Zollbehörde, zu deren Aufgaben die Verfolgung von sogenannter Schwarzarbeit gehört, erklärte sich für nicht zuständig, da sie nicht „prüfe, ob der Umfang eines Auftrages zutreffend ist“. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele für Arbeitsverhältnisse, in denen der Staat als Auftraggeber die eigenen hohen Standards nicht hält. Und selbst die SPD-Tochterfirma DDVG zahlt derzeit in Firmen, an denen sie beteiligt ist, nicht den von ihr selbst durchgesetzten Mindestlohn an die Zusteller von Postdiensten (JF 3/14).

Der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich (CDU), sorgte sich in der Wirtschaftswoche hingegen um junge Menschen: „Die dürften nicht verleitet werden, auf eine Ausbildung mit 600 oder 800 Euro zu verzichten, weil sie künftig mit einem Aushilfsjob und Mindestlohn 1.400 Euro verdienen können.“

Das unterstellt zumindest, daß der Mindestlohn für einfache Tätigkeiten die mitteldeutschen Bundesländer nicht so heftig trifft, wie von Tillichs Koalitionspartner FDP in Dresden befürchtet. Daß der 8,50-Euro-Plan vor allem im Tarifgebiet Ost zu spürbaren Lohnerhöhungen führen würde, erklärt sich vor allem aus der dort insgesamt niedrigen Entgeltstruktur. Bundesweit gibt es derzeit 41 laufende Tarifverträge mit DGB-Gewerkschaften mit Löhnen unter 8,50 Euro.

Erdbeben für das Hotel- und Gaststättengewerbe

Dennoch wünschen sich auch dort zahlreiche Kleinunternehmer und Angestellte den Mindestlohn, um so Dumping-Lohnangeboten und Dienstleistungen aus Osteuropa etwas entgegensetzen zu können.

Das Thema trennt zudem große Handelskonzerne und kleine Betriebe, Ballungsräume und ländliche Regionen. Vor allem im Gastgewerbe herrscht Ratlosigkeit: „Wir müßten dann nicht nur die Einstiegslöhne für Hilfskräfte anheben, sondern das gesamte Lohngefüge verändern“, erklärte Dirk Ellinger, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Thüringen im Focus. „Die Folge wären Preiserhöhungen von sieben bis zehn Prozent nur durch gestiegene Personalkosten.“ Ähnlich argumentiert die Dehoga im Saarland, wo viele Pendler aus Frankreich arbeiten. „Ohne eine mindestens zweijährige Übergangsfrist würde ein Mindestlohn die legale Beschäftigung von angestellten Fahrern in vielen Gebieten unmöglich machen“, erklärte der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband BZP.

Wolfgang Grupp, Chef des Textilherstellers Trigema, polterte in einer Kolumne für die Wirtschaftswoche: „Es ist eine Schande, daß wir darüber diskutieren müssen. Jeder Mitarbeiter muß soviel verdienen, daß er davon leben kann.“ Die Lebensmittel-Discounter Aldi und Lidl erklärten übrigens unisono, daß sie mit dem Mindestlohn kein Problem hätten. Sie zahlten ohnehin in aller Regel schon weit mehr als die verabredeten 8,50 Euro.

 

Mindestlohn flächendeckend in der EU

Um Mindestlöhne wird seit dem Ende des 19. Jahrhundert gerungen. 1938 führten die USA einen nationalen Mindestlohn (derzeit 7,25 US-Dollar, was etwa 5,33 Euro entspricht) ein, was dazu führte, daß die Arbeitslosigkeit der Schwarzen seitdem über der der Weißen liegt. In Europa sind MIndestlöhne weit verbreitet. Es gibt noch zwei Staaten, die überhaupt keine entsprechende Regelung haben: Deutschland und Österreich. Bemerkenswerterweise ist in diesen beiden Ländern die Jugendarbeitslosigkeit besonders niedrig.

Die höchsten Mindestlöhne werden in Luxemburg gezahlt: Dort liegen sie bei 11,10 Euro pro Stunde. Es folgen Frankreich (9,43), Belgien (9,10) und die Niederlande (9,07). In Großbritannien (7,78) ist der Mindestlohn niedriger als die 8,50, die in Deutschland geplant sind. Die Mindestlöhne der anderen Staaten liegen darunter: Sie reichen von Slowenien (4,35) bis zum niedrigsten Wert in Bulgarien (95 Cent).

Mindestlohn. Argumente beider Seiten

www.mindestlohn.de  (DGB)

www.insm.de  (Arbeitgeber)

Foto: Erntehelferin in Brandenburg: Es gibt Branchen und Beschäftigungsverhältnisse, die der Mindestlohn vor gewaltige Veränderungen stellt

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