© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

Den Wurzeln neue Nahrung zuführen
Hilfe in schwierigen Lebenssituationen: Ein Gespräch mit der promovierten Philosophin und Dozentin Christiane Pohl über Orientierungen, ihren Salon und ihre Seminarreisen
Thorsten Thaler

Frau Dr. Pohl, Sie betreiben seit mehr als 20 Jahren in Hamburg eine „Philosophische Praxis“. Was ist darunter zu verstehen?

Frau Dr. Pohl: In meiner Studienzeit, es war in den achtziger Jahren, tauchte die Philosophische Praxis als neuer Arbeitsbereich für Philosophen erstmalig auf. Dem lag der Gedanke zugrunde, daß Philosophie ein großes Potential besitzt, was gesellschaftlich, politisch oder auch für das persönliche Leben wichtig ist. Zu lange wurde dieses Potential nicht ins Leben eingebracht. Dann aber war ein Aufbruch zu beobachten und es entstand die Philosophische Praxis. Diese ist zunächst ganz einfach ein Ort, wo Gespräche zwischen dem Philosophen und dem Besucher geführt werden, aber auch das philosophisch ausgerichtete Gespräch selbst sowie das Angebot von Philosophischen Cafés, Seminaren oder – wenn auch recht selten – philosophischen Reisen gehören zur Philosophischen Praxis. Ich bin Mitglied in der „Internationalen Gesellschaft für Philosophische Praxis“, und es gibt inzwischen auch einen Berufsverband, in dem ich Dozentin bin.

Mit welchen Fragen oder Problemen kommen die Menschen zu Ihnen?

Pohl: Die Themen sind ganz verschieden. Oft kommen Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Es geht um Beziehungsprobleme, Sorgen mit den erwachsenen Kindern, in den letzten Jahren vermehrt um den Beruf. Andere kommen mit Sinn- oder Glaubensfragen. Oder es kommen Menschen, die einfach einen ruhigen Hafen anlaufen wollen, um dort ihre Gedanken zu ordnen und um neu aufzutanken. Manchmal denke ich, daß es kein Thema gibt, das mir noch nicht begegnet ist. Auch sind alle Altersstufen vertreten und die Berufe völlig unterschiedlich: Physiker, Hausfrau, Landwirt, Journalist, Lastwagenfahrer. Ich bin sehr froh, daß so unterschiedliche Menschen kommen.

Wie kann ein philosophisch ausgerichtetes Gespräch im Alltag helfen?

Pohl: Bedenken wir zunächst einmal das wirksame Element in der philosophischen Praxis: Der Besucher begegnet in der Praxis einem anderen Menschen auf Augenhöhe, der wirklich zuhört, der bedenkt und vernimmt, was er sagen will – unabhängig von irgendwelchen psychologischen Maßgaben. Durch die Art des Gesprächs entsteht also eine vertrauensvolle Beziehung, was allein schon weiterführt. Die Situation des modernen Menschen unserer Zeit kann man mit einem Rosenbusch vergleichen. Im Gegensatz zu früher können wir heute unsere Zweige fast überall hin ausstrecken, aber wir verkümmern in der Wurzel. Das philosophisch ausgerichtete Gespräch hilft, diesen Wurzeln neue Nahrung zuzuführen oder, anders ausgedrückt, die innere Existenz zu stärken.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Pohl: Es kam einmal ein Mann zu mir mit einem Erbschaftsproblem. Nachdem wir lange alles bedacht hatten, wurde mir klar, daß ein bestimmter Gedanke von Kant für ihn eine geistige Befreiung sein könnte: „Handle so, daß du würdig bist, glücklich zu sein.“ Und so war es, dieser Gedanke gab ihm für alles weitere in dieser Erbschaftsgeschichte Orientierung und Halt.

Seit 2011 bieten Sie auch „Philosophische Seminarreisen“ an. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Pohl: Die Idee kam eigentlich aus den Reihen unserer Teilnehmer! Seit 2007 habe ich philosophische Abendseminare außerhalb Hamburgs angeboten. Zusammen mit meiner Partnerin Gabriele Fiedler entwickelte ich daraus die Idee des „Philosophischen Salons“, denn genau wie in einem Salon trafen wir uns in einem exklusiven Rahmen, um in entspannter Runde zu philosophieren und zu diskutieren. Irgendwann wurde der Wunsch geäußert, mit dem Philosophischen Salon einmal zu verreisen. Wir vertieften die Idee und bieten nunmehr im vierten Jahr „Philosophische Seminarreisen“ an, eine Kombination aus philosophischen Seminaren mit ergänzendem Rahmenprogramm. Heute freuen wir uns über begeisterte, treue Teilnehmer, die seit der ersten Reise immer wieder dabei sind.

In diesem Jahr finden drei Lesereisen statt und Sie kooperieren dabei mit der JUNGEN FREIHEIT. Was verbindet Sie mit dieser Zeitung?

Pohl: Mich verbindet mit dieser Zeitung die tiefe Überzeugung, daß das freie Denken in unserem Land eine Stimme braucht. Überall sehe ich Maßregelungen, wie wir zu denken haben. Das ist eine große Gefahr, weil dadurch ein Klima der Unsicherheit und Gängelei entsteht. Probleme lassen sich keinesfalls dadurch lösen, indem alle duckmäuserisch dasselbe denken. Ich finde Voltaires Satz wunderbar: „Ich darf verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, da du es sagen darfst.“

In diesem Jahr befaßt sich die erste Reise mit „Philosophie und Politik“ und führt Anfang April nach Görlitz mit Ausflügen in das Zittauer Gebirge und einer Rundfahrt durch das Sudetenland nach Reichenbach, Mitte Juni geht es im Naturpark Lauenburgische Seen um „Lebenskunst“, und auf der dritten Reise Ende September nach Tangermünde steht die „Begegnung mit Kant“ im Mittelpunkt, und Sie besuchen Potsdam und das Havelland. Welche Teilnehmer haben Sie dafür im Blick? Müssen Interessenten philosophische Kenntnisse mitbringen?

Pohl: Im Blick haben wir alle philosophisch und kulturell interessierten Menschen, die sich gern weiterbilden möchten, die den Austausch mit Gleichgesinnten wünschen, und die manchmal auch Antworten auf ihre ganz eigenen Lebensfragen suchen. Philosophisches Fachwissen ist für die Teilnahme an den Seminaren keinesfalls erforderlich. Eine gute Allgemeinbildung ist die ideale Voraussetzung.

Welchen Erkenntnisgewinn dürfen die Teilnehmer erwarten?

Pohl: Mehr Wissen, mehr Einsicht in philosophische, aber auch kulturgeschichtliche Zusammenhänge, eine gestärkte Fähigkeit, die vermittelten Erkenntnisse in die eigenen Gedanken und in die eigene Lebensorientierung einzubeziehen. Hinzu kommt die Freude, mit anderen Teilnehmern gute Gespräche führen zu können. Und noch etwas möchte ich Ihnen verraten: Es wird bei uns auch viel gelacht.

Kontakt: Dr. phil. Christiane Pohl, Grindelallee 159, 20146 Hamburg, Telefon: 040/ 410 27 66, E-Mail: philo-pohl@t-online.de

www.philosophische-praxis-hamburg.de

 

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