© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

Der Flaneur
Bei einer Überlandfahrt
Paul Leonhard

Das Auto rauscht durch die Nacht. Die Strecke ist frei. Eine Dreiviertelstunde brauchen wir noch. Aus dem Provinzkaff in die Landeshauptstadt. Ich könnte meinen Gedanken nachhängen, wären da nicht die Gespräche meiner drei Mitfahrer. Sie sind zwischen 18 und 25 Jahre alt und verstehen sich blendend. Obwohl sie sich erst seit wenigen Minuten kennen, tauschen sie sich so ungehemmt aus wie auf Facebook. Vielleicht sogar offener, denn noch werden gesprochene Worte nicht aufgezeichnet.

„Als Sicherheit“, nickt der dritte. Die seien nicht so blöd wie wir und lassen jeden ins Land.

Die jungen Leute tasten sich nach gemeinsamen Bekannten ab. Da ist schon der erste. Ein Adrian, der gerade mit einem Freund in Australien eine Auszeit nimmt. Drei Monate hätten die beiden in Sydney geschuftet, um mit dem Ersparten durchs Land zu tingeln. Dann würden sie noch einmal arbeiten, um sich den Rückflugschein kaufen zu können. Interessiert beugt sich der hinten Sitzende nach vorn: „Ich will demnächst auch nach Australien.“ Er habe gehört, daß die dortigen Behörden einen Nachweis über ein Konto mit 3.000 Euro verlangen. „Als Sicherheit“, nickt der dritte. Die seien nicht so blöd wie Deutschland und lassen jeden ins Land. Wer nicht für sich selbst aufkommen könne, müsse „raus“. „Richtig“, nickt der erste.

Dann sprechen sie über ihre Ausbildung. Sie zählen ihren jeweiligen Bildungsweg auf, als sollten sie für die Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems Reklame machen. Einer hat Kellner gelernt, in Griechenland und der Schweiz gearbeitet, bevor er in einem Dresdner Luxusrestaurant Fuß faßte. Jetzt studiert er nebenbei an einer Bildungsakademie, „obwohl ich nur den Hauptschulabschluß habe“. Der andere hat Realschulabschluß und absolviert eine Maßnahme zum Informatiker: „Da bin ich mit meinen 18 Jahren der Jüngste.“ Anschließend will er an die Fachhochschule. Der dritte studiert im siebten Semester soziale Arbeit, um später ein Jurastudium draufzusatteln: „Wer sich dreht, kann in Deutschland alles werden.“

Das Auto stoppt. Das Ziel ist erreicht. Man verabschiedet sich mit Handschlag.

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