© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Am Fleischerhaken
Kriminalität: In Osnabrück wird einem mutmaßlichen Piraten der Prozeß gemacht
Ludwig Zimmermann

Am Horn von Afrika wurden 15 deutsche Schiffe gekidnappt und nach Zahlung von Lösegeld wieder freigegeben. Die Entführung der Marida Marguerite im Jahr 2010 dauerte über acht Monate, sie war die längste und wohl auch die brutalste. Beendet wurde sie Ende Dezember 2010, nachdem von einem Charterflugzeug aus fünf Millionen Dollar (4,2 Millionen Euro) über dem Schiff abgeworfen worden waren. Das ergibt sich aus der Anklage gegen einen – vermutlich – 44 Jahre alten Somalier, der sich vor dem Landgericht Osnabrück wegen gemeinschaftlicher und gewerbsmäßiger Entführung eines Schiffes und Erpressung sowie lebensbedrohlicher Körperverletzung verantworten muß. Er soll ein Hauptinvestor für eine geplante Entführung gewesen sein und nicht nur Waffen, Schnellboote, Lebensmittel und Personal vorfinanziert haben, sondern auch die im arabischen Raum verbreitete Kaudroge Kath besorgt haben. Zu seiner Identität wollte der schmächtige Mann mit Brille vor Gericht keine Angaben machen. Sechs verschiedene Aliasnamen listet die Anklage auf, auch sein Geburtsdatum ist nicht bekannt. Bei einer Verurteilung muß er mit bis zu 15 Jahren Haft rechnen.

Mit Sturmgewehren und Panzerfaust

Ins Netz spazierte der Angeklagte Farah Mohamed Saalax der Bundespolizei im April 2013 in München. Als illegal Eingereister war er mit Hilfe eines Schleppers, so ergaben Ermittlungen, vermutlich auf dem Weg nach Norwegen, wo Verwandte und der Bürgermeister seines Dorfes bereits ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Doch nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung gelangte er nun als Asylbewerber in ein Aufnahmelager bei Gießen.

Das Ergebnis des Abgleichs seiner Fingerabdrücke dürfte die Bundespolizei überrascht haben: Sie hatten einen Piraten gefaßt, der nachweislich auf der entführten Marida Marguerite gewesen war. Am 7. Mai 2013 klickten auf Antrag der Staatsanwaltschaft Osnabrück die Handschellen. In deren Zuständigkeitsbereich, in Haren an der Ems, liegt der Sitz der Reederei OMCI-Shipping.

Genau drei Jahre zuvor war der mit Öl und Benzol beladene Chemikalientanker auf dem Weg von Indien nach Antwerpen. Südlich der omanischen Hafenstadt Salalah näherte sich ein Skiff (Schnellboot) mit einer sechsköpfigen Piratengang. Bewaffnet waren die Männer mit Sturmgewehren und einer Panzerfaust. Aus kurzer Distanz wurde der Schornstein des Schiffs zweimal mit der Panzerfaust beschossen. Kapitän Mahadeo Dattatrya Makane setzte sofort eine Meldung an die Reederei ab: „We are under piracy attack.“ Doch der Überfall konnte nicht abgewendet werden. Mit Hilfe einer Hakenleiter enterten die Piraten die niedrige Freibordseite des Schiffes und erschienen kurz danach auf der Brücke. Nachdem sie erfahren hatten, daß die Reederei des Schiffes in Deutschland beheimatet sei, jubelten sie: Ein Goldtreffer.

Das Schiff wurde vor die somalische Küste, Höhe der Stadt Garacad manövriert und am 17. Mai 2010 erfolgte eine erste Kontaktaufnahme von einem „Vermittler“ Ali Jama. 15 Millionen Dollar (12,6 Millionen Euro) forderten die Piraten, sonst werde die Crew erschossen. Auch sei es kein Problem für sie, „dasScheiß-Schiff“ in die Luft zu jagen.

In den folgenden Monaten kam es zu schwersten Folterungen der gesamten 22köpfigen Besatzung. Schläge, brutale Fesselungen sind an der Tagesordnung. Hauptopfer sind Kapitän Makane und der Chefingenieur Oleg Dereglazov. Beide werden für längere Zeit nackt in eine Kühlkammer mit minus 17 Grad eingesperrt, ihre Genitalien werden mit Kabelbindern abgeschnürt. Dereglazov wurde an einem Fleischerhaken aufgehängt, so daß er nur noch auf den Zehenspitzen stehen konnte. Später hängte man ihn kopfüber an der Bordwand bis über die Wasserlinie. Irgendwann sieht er so fürchterlich zugerichtet aus, daß selbst die Piraten sich vor ihm fürchten, berichtet er später den eigens angereisten Ermittlern aus Hannover. Sein Kapitän erlitt mehrere Scheinhinrichtungen: Pistolenschüsse aus nächster Nähe und Messer an der Kehle. 21 Tage wird er, angeblich hingerichtet, vor der restlichen Crew verborgen, weggesperrt. Mit einer Kette an einen Stuhl gefesselt.

Manche der Greueltaten wurden der Reederei mitgeteilt, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Das Schiff wurde weiter nach Süden vor die Provinz Obira verbracht und damit gedroht, es an die dort herrschenden Al-Shabaab Milizen (Untergruppierung des Terrornetzwerkes al-Qaida) zu verkaufen.

Fünf Millionen Dollar Lösegeld

Anfang Dezember 2013 kam es dann zu einer Einigung auf ein Lösegeld von fünf Millionen Dollar, und am 28. Dezember 2010 hatte das Martyrium der Crew ein Ende. Bis zu 200 Personen, so heißt es, seien an der Aufteilung des Lösegeldes beteiligt gewesen. Einen großen Anteil soll der Angeklagte erhalten haben. Doch er hat, nach anfänglichem Bestreiten, überhaupt an Bord gewesen zu sein, nur angegeben, als Frisör, Koch und Schuhputzer tätig gewesen zu sein. Das kann nach Auffassung des LKA Niedersachens nicht ganz stimmen: Seine Fingerabdrücke finden sich auch auf einer gesicherten Auflistung aller Zahlungsempfänger des Lösegeldes. Außerdem haben ihn mehrere Zeugen auf Fotos erkannt und als Führungsperson bezeichnet. An den 15 kommenden Verhandlungstagen sollen 23 Zeugen aussagen. Falls sie nicht anreisen, werden die entsprechenden Vernehmungsprotokolle verlesen. Das LKA verfügt auch über Mitschnitte einer Telefonüberwachung des Angeklagten, aus denen deutlich wird, daß er nicht als Frisör auf der entführten Marida Marguerite gearbeitet hat.

Nachdem die Verteidiger am ersten Verhandlungstag mit zwei Einstellungsanträgen gescheitert waren, stellten sie am zweiten gleich einen weiteren. Diesmal wurde das Verfahren bis zum 11. Februar ausgesetzt, weil der Staatsanwalt auch Akten einsehbar machen soll, die bisher unter Verschluß gehalten wurden. Sie enthalten Erkenntnisse aus verdeckten Ermittlungen bezüglich weiterer Mittäter.

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