© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Mord und Totschlag
Kriminalität: Der Deutsche Anwaltverein hat einen Vorschlag zur Reform des Strafgesetzbuches bei Tötungsdelikten vorgelegt
Gerhard Vierfuss

Der Schutz des Lebens gegen Angriffe ist ein, wenn nicht der zentrale Zweck des Strafrechts – eine überzeugende und gerechte Regelung zu seiner Erreichung zu finden zugleich seine schwierigste Aufgabe. Kein anderes Teilgebiet des Strafgesetzbuches (StGB) hat seit dessen Verkündung im Jahr 1871 eine solch grundlegende Umarbeitung erfahren wie das der vorsätzlichen Tötungsdelikte (Paragraphen 211 ff.) und ist dabei so umstritten wie dieses.

Dabei geht es um die Frage: Anhand welcher Kriterien läßt sich eine allgemeine Form der Abgrenzung finden zwischen „einfachen“ oder „weniger schweren“ Fällen der vorsätzlichen Tötung (Totschlag) und „besonders schwerwiegenden“ (Mord)? Oder ist eine solche Unterscheidung überhaupt nicht möglich? Der Strafrechtler Franz von Liszt urteilte im neunzehnten Jahrhundert: „Einen Begriff des Mordes gibt es nicht.“ Dennoch wurde weiter versucht, ihn zu finden.

Der Gesetzgeber von 1871 entschied sich für das Kriterium der Überlegung: Wer mit Vorbedacht töte, begehe einen Mord; bei Affekt handle es sich um Totschlag. Diese klar und einfach scheinende Trennung erwies sich in der Praxis bald als ungeeignet, und es wurden Reformvorschläge gemacht, die bis zum Ende der Weimarer Republik erfolglos blieben. Im Jahr 1941 kam es dann zu einer – bis heute, abgesehen von der Strafandrohung, unverändert geltenden – völligen Neuregelung, die in mehrfacher Hinsicht mit dem bisherigen Recht brach: Zum einen wurde in Paragraph 211 das Kriterium der Überlegung ersetzt durch eine Aufzählung mehrerer, teils subjektiver, teils objektiver Merkmale, die jedes für sich eine Tötung zum Mord qualifizierten. Zum anderen wurde der Tatbestand in den Absatz 2 verbannt; Absatz 1 bekam die Fassung: „Der Mörder wird mit dem Tode bestraft.“

Rest an Irrationalität

Dies war keine bloß stilistische Änderung: Vielmehr kamen darin die Abwendung von einem Tat- hin zu einem Täterstrafrecht und zugleich die spezifisch nationalsozialistische Lehre vom normativen Tätertyp zur Geltung. Diese behauptete, es gebe den Typ des Mörders, der eine besonders verwerfliche Gesinnung aufweise und vom Gericht intuitiv erkennbar sei; die Tatbestandsmerkmale des Absatzes 2 verloren damit ihre Verbindlichkeit und nahmen, trotz des klaren Wortlauts, indiziellen Charakter an. Der Auffassung vom typischen Mörder entsprechend lag das Schwergewicht der in Absatz 2 genannten Mordmerkmale auf solchen, die die Gesinnung des Täters betreffen; insbesondere die Einfügung der sonstigen niedrigen Beweggründe ist eine originär nationalsozialistische Rechtsschöpfung, die in keiner anderen Kodifikation vorkommt.

Das Ende des Dritten Reiches bedeutete auch das Ende unbegrenzter Auslegung und Analogiebildung unter den Maximen der Tätertypenlehre. Rechtsprechung und Lehre bemühten sich um eine rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Interpretation der Strafvorschriften. Indes blieb ein Rest an Irrationalität: Der Bundesgerichtshof hält unter Hinweis auf die Formulierung „Der Mörder ...“ an seiner Auffassung fest, es handle sich bei den Paragraphen 211 und 212 um zwei eigenständige Tatbestände und nicht um Grundtatbestand (Totschlag) und Qualifikation (Mord); mit Auswirkungen auf die rechtliche Beurteilung von Tatbeteiligten.

Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, wenn jetzt der Deutsche Anwaltverein (DAV) seine „Stellungnahme zur Reform der Tötungsdelikte“ vorgelegt hat. Ausgangspunkt der Kritik ist auch hier die ideologische Kontamination des Mordparagraphen, zu der ausdrücklich auch die „aufgeladenen Gesinnungsmerkmale“ gerechnet werden.

Gesinnungsmerkmale im Strafrecht

Speziell das Merkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe wird verworfen: Dieses öffne „willkür-gefährdete Bewertungsspielräume“ und vermische die Tatbestandsebene mit der Persönlichkeits- und Schuldbeurteilung. Der DAV hebt zudem hervor, die tatbestandliche Erfassung der Gesinnung führe häufig zu Verletzungen von Rechten des Beschuldigten, da die Polizei sie nur über dessen Aussage ermitteln könne. Weitere wesentliche Kritikpunkte sind die Ausschließlichkeit der Strafdrohung und die Sanktionskluft zwischen den Paragraphen 211 und 212.

Der Gesetzesvorschlag, den der DAV unterbreitet, zeichnet sich durch eine radikale Einfachheit aus: Paragraph 211 wird gestrichen; Paragraph 212 erhält unter der Überschrift „Tötung“ den Wortlaut: „Wer einen Menschen tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“ Paragraph 213 mit dem Titel „Minder schwerer Fall der Tötung“ lautet: „Im minder schweren Fall der Tötung ist die Freiheitsstrafe ein bis zehn Jahre.“ Damit zieht der DAV die Konsequenz aus dem zitierten Diktum von Liszts und geht sämtlichen Problemen der geltenden wie der früheren Gesetzesfassung aus dem Weg – indem er sie auf die Rechtsprechung verlagert. Diese bekommt noch nicht einmal einen Hinweis darauf, was sie zukünftig ändern soll; sie könnte weiterhin genauso urteilen wie bisher.

Den Stein der Weisen hat der DAV nicht gefunden; doch seine Stellungnahme sollte für den Bundestag Anlaß sein, die Novellierung der Tötungstatbestände noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen. Zu klären sein wird dabei auch, wie es um die Sinnhaftigkeit von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht bestellt ist. Eine auch in anderem Zusammenhang – Stichwort: „Haßkriminalität“ – durchaus interessante Frage.

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