© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Die Qualle unter der Kruste
Rhetorik: Die Große Koalition macht es sich in wichtigen politischen Fragen allzu leicht
Richard Stoltz

Neuer Trend in der Rhetorik der Großen Koalition (GroKo) in Berlin: Immer mehr dortige Würdenträger wollen neuerdings „Krusten aufbrechen“, „verkrustete Strukturen“ von ihrer Kruste befreien, damit ihr wahrer, unverfälschter Kern zutage trete. Alles soll im Grunde so bleiben, wie es ist, nur die bösen Krusten müßten weg.

Was haben die Leute denn gegen Krusten? Diese sind doch ganz überwiegend wohltätige Gestalten! Die Verkrustung ist ein großes Naturgesetz, das Wunden verschließt, Feinde abschreckt, Sicherheit produziert. Unzählige Rezepte in der Welt der Speisen und des Kochens laufen darauf hinaus, den Gerichten eine delikate Kruste zu verpassen. Ohne delikate Kruste kein Wohlgeschmack.

In der Schmuckbranche setzen die feinsten Juweliere ihren Ehrgeiz darein, mit „Inkrustierungen“ zu glänzen, ihre Ringe, Spangen und Diademe mit Krusten aus Edelsteinen und Perlen zu überziehen. Soll das Berliner Gerede über ein Aufbrechen von Krusten etwa besagen, daß mit Auftreten der Groko die Zeit der Edelsteine und der Perlen vorbei sei und die große Politik nun endlich in voller „Ehrlichkeit“ hervortreten könne?

Wahrscheinlicher ist allerdings, daß es sich um ein bloßes Ablenkungsmanöver handelt. Weil man mit den politischen Inhalten (Euro-Krise, Energiewende) nicht zurechtkommt, ja gar nicht wirklich zurechtkommen will, tut man so, als sei alles in Butter, als gelte es nur noch, einige Krusten wegzuschruppen beziehungsweise aufzubrechen.

Aber das Publikum hat den Braten wohl längst gerochen, das heißt, es hat herausgeschnuppert, daß da weder Kruste noch Struktur vorhanden ist. Lediglich eine formlose Qualle, die nicht einmal gut riecht. An sich müßte jetzt jeder Parteistratege dafür Sorge tragen, daß die Qualle so gut wie möglich hinter Struktur und Kruste versteckt wird. Doch jeder versteckt eben nur, so gut er kann.

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