© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Vom neuen Lebensstil der Genügsamkeit
Zauberwort Suffizienz: Ohne Kulturwandel wird die Energiewende scheitern
Christoph Keller

Die schon lange nicht mehr auf den globalen Norden beschränkte Wachstumsideologie steht der „Energiewende“ offenkundig im Wege. Nicht nur in Deutschland glaubt die politische Klasse daher, auf unbequeme Maßhalte-Predigten und Appelle zur Änderung des konsumfreudigen Lebensstils verzichten zu können, weil künftig ja nachhaltige Technologien und Materialien den ungebremsten Energiehunger befriedigen würden.

Eine trügerische Hoffnung, wie die Autoren des „Suffizienz“-Heftes der Zeitschrift Politische Ökologie (Heft 135/2013) warnen. Allerdings verheißt ihr alternatives Konzept unter der Fremdwort-Fahne „Suffizienz“, zu deutsch „Zulänglichkeit“ oder gar „Genügsamkeit“, nicht gerade jene Frohbotschaft, die die Masse der Verbraucher in der Überzeugung bestätigen würde, die Energiewende könne auch ohne eine „Kultur des Weniger“ gelingen.

Wohnungstauschbörsen statt Zwangsumsiedlungen

Um innere Widerstände und Vorurteile gegen die Suffizienz-Lehre abzubauen, stellt der für das private Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung tätige Lars-Arvid Brischke in einem Grundsatzreferat jedoch klar, daß niemandem zugemutet werden solle, bald Bücher bei Kerzenlicht zu lesen oder Wäsche mit der Hand zu waschen.

Mit einem einfachen Beispiel aus dem Alltag der Energieverschwendung macht er deutlich, daß die Ausschöpfung des Sparpotentials, das in jeder Wohnung schlummert, uns nicht in die Steinzeit zurückwirft. Denn die Hälfte von 500 Kilowattstunden oder 150 Euro einzusparen, die ein deutscher Zwei-Personen-Haushalt für Kühlschränke und Tiefkühltruhen verbraucht, würde kaum fühlbare Korrekturen zeitigen. Die Flexibilisierung der Kühlvolumina, die Abschaltung der Geräte bei längerer Abwesenheit und vielleicht auch eine gemeinschaftliche Nutzung seien für niemanden unzumutbar. Und „politisch flankiert“ ließen sich auch Strukturen schaffen, die beim Erwerb von Neugeräten die Rückgabe der Altgeräte belohnen. Optimaler wäre es, wenn sich das technische Kühlen vollständig erübrigte, durch Nutzung von Kellerräumen mit ganzjährig niedriger Temperatur. Ein Vorschlag Brischkes, den lediglich die Minderheit von Eigenheimbesitzern realisieren könnte, während dem Gros der Wohnungsmieter solche natürlichen Null-Energie-Kühlräume versagt bleiben.

An immerhin einem wichtigen Punkt müßte sich zudem das Konsumverhalten ändern: Langfristig sollte man auf Tiefkühlprodukte verzichten. Dies hätte zwar häufigere Einkäufe frischer Lebensmittel zur Folge, die sich wirklich energiesparend nur in einer „Stadt der kurzen Wege“ erledigen lassen, die Brischke bislang aber nicht namhaft machen und allein als „Prinzip der Stadtplanung“ empfehlen kann.

Und dies durchzusetzen sei eine der Hauptaufgaben zukünftiger Suffizienz-Politik. Infrastrukturen für nichtmotorisierte Kurzstreckenmobilität müsse sie fördern, innerstädtisches Wohnen attraktiver machen, Anreize für flächensparendes Wohnen geben, die Neuausweisung von Bauland in ländlichen Regionen limitieren. Auch die Klassiker des genügsamen Lebensstils finden sich in Brischkes Katalog: Konsumgüter nutzen, statt sie zu besitzen sowie: „Priorisierung des Konsums regionaler Produkte“.

Es gehe bei allen Maßnahmen ausschließlich darum, Überdimensionierung und Überfluß zu reduzieren. Ob damit nicht ein weites Feld für staatliche Reglementierungen betreten wird, erörtert Brischke nicht, der allenfalls einmal beruhigt, „obligatorische Zwangsumsiedlungen“ müßten jene nicht befürchten, die in „überdimensionierten Wohnungen“ lebten, da ihnen hoffentlich bald genügend Wohnungstauschbörsen „komfortablere“ Unterkünfte vermitteln würden.

Solange die Politik indes wenig tue, um Suffizienz vom Odium „erzwungenen Verzichts“ zu befreien, riskiere sie das Scheitern der Energiewende. Eine exklusiv mit dem energiebezogenen technischen Instrumentarium operierende Strategie könne nicht erfolgreich sein, wenn man es versäume, die Konsummuster zu verändern.

In der Verkehrspolitik kein Trend zur Genügsamkeit

Gerade dieser Transformationsprozeß stecke noch in den Kinderschuhen, wie der Beitrag des am Stuttgarter Fraunhofer-Institut tätigen Doktoranden Andrej Cacilo zeigt. In der Verkehrspolitik, so sein Befund, sei Suffizienz „noch längst nicht in Sicht“. Nahezu alle Prognosen gingen davon aus, daß der weltweite Automobilbestand sich bis 2050 vervielfache und der Flugverkehr bis dahin ungebremst zunehme.

Gegenläufige Entwicklungen wie die abnehmende Führerscheinquote bei unter 35jährigen oder die sinkende Bedeutung des Kraftwagens als Statussymbol für die jüngere Generation signalisierten keine Trendwende. Wenn die Jüngeren stärker dem Prinzip „Nutzen statt Besitzen“ huldigen, führen oder flögen sie deshalb nicht weniger. Von der Energieeinsparung bleibe da so wenig übrig wie voraussichtlich beim Daimler-Projekt „Car2go“ („Auto zum Mitnehmen“), das Kunden ohne Auto zum „Carsharing“ verführe, um mit Hilfe dieser neuen Vielfahrer Renditen in zweistelliger Höhe anzupeilen. Zeichen eines kulturellen Wandels, der im Verkehr Richtung Suffizienz weise, seien daher schwerlich auszumachen.

Daß der Weg der Mäßigung jedenfalls einen sehr langen Atem erfordert, sagt Vaclav Smil in der Januarausgabe von Scientific American (1/2014) voraus. Der emeritierte Professor der University of Manitoba gilt trotz seiner randständigen akademischen Adresse als ein Schwergewicht in der US-Energiedebatte. Darum kann Smil mit überzeugenden Gründen auch dem so omnipräsenten wie geschäftstüchtigen Öko-Guru Al Gore in die Parade fahren, der in den USA einen kompletten Umstieg auf Erneuerbare Energien bis 2020 in Aussicht stellt.

Angesichts von 3,3 Prozent Energie, die Wind, Sonne und Biosprit 2013 zum US-Energiehaushalt beisteuerten, eine lächerliche Prognose. Kohle habe im 19. Jahrhundert 60 Jahre benötigt, um die Hälfte der US-Energie zu liefern, Erdöl zwischen 1915 und 1975 wiederum sechzig Jahre, um Kohle zu ersetzen, Gas, Energieträger seit 1930, decke derzeit ein Viertel des Bedarfs, werde also wesentlich länger benötigen, um die 50-Prozent-Grenze zu erreichen.

Daran gemessen wären die „Erneuerbaren“ in signifikantem Umfang erst nach 2050 verfügbar. Allein der Aufbau der Infrastruktur, vor allem der Netz- und Speicherkapazitäten, benötige Jahrzehnte. Und ohne Energieeinsparung, so sekundiert Vaclav Smil den deutschen Suffizienz-Advokaten, dauere es noch länger, da der Wertewandel fort von der Konsumgesellschaft eine Aufgabe für Generationen sei.

Foto: Waschbottische mit Waschbrett: Sieht so das Sparpotential nachhaltiger Haushaltsführung der Zukuft aus?

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