© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Eidgenossen lassen sich nicht beirren
Schweiz: Allen Unkenrufen zum Trotz konnte sich die SVP mit ihrer Initiative „Masseneinwanderung stoppen“ durchsetzen
Curd-Torsten Weick

Spätestens als gegen 16.30 Uhr das Ergebnis aus Bern eintraf, gab es bei der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die sich am Sonntag in Aarberg versammelt hatte, kein Halten mehr. Die dortigen 51,1 Prozent Zustimmung für die Initiative „Masseneinwanderung stoppen“ bedeuteten den Sieg. SVP-Vizepräsident Luzi Stamm machte keinen Hehl aus seiner Erleichterung und unterstrich, daß er mit so einem Ergebnis nicht gerechnet hatte. Denn noch vor einigen Wochen gaben nur 35 Prozent der Befragten an, der Initiative zustimmen zu wollen.

Zulegen konnte die Initiative dann vor allem parallel zur Veröffentlichung neuer Zuwanderungszahlen, die allein für das Jahr 2013 knapp zehn Prozent über der Marke des Jahres 2012 lagen.

Eine patriotische Aufrüstung nach innen „Maß halten“ forderte die SVP, und Nationalrat Peter Keller unterstrich: „Damit die Schweiz ihre positive Identität wahren kann, brauchen wir eine patriotische Aufrüstung nach innen – und eine vernünftige Zuwanderungspolitik gegen außen.“ Immer wieder verwiesen die Initiatoren auf den Umstand, daß seit 2007, dem Beginn der vollen Personenfreizügigkeit für EU-Staatsbürger (EU-15), jährlich rund 80.000 Personen mehr in die Schweiz ein- als ausgewandert seien. Die Folgen dieser „verhängnisvollen Entwicklung“ seien längst erkennbar: Zunahme der Arbeitslosigkeit und Kriminalität, Zusammenbruch der Infrastruktur und ein enormer Verlust von Kulturland (JF 7/14).

Mit ihrer Forderung nach Wiedereinführung von Kontingenten blieb die SVP allein. Bundesrat und Gewerkschaften votierten dagegen. Die großen Wirtschaftsverbände lancierten eine millionenschwere Plakatkampagne, zudem appellierten alle Parteien im Schweizer Parlament in einem offenen Brief, gegen die „Abschottungsinitiative“ zu stimmen. Man sei sich, so die Unterzeichner, durchaus bewußt, daß die Personenfreizügigkeit „nicht nur positive Seiten“ habe, doch deswegen den Verlust der „unverzichtbaren bilateralen Verträge zu riskieren“, hieße allerdings, das „Kind mit dem Bade auszuschütten“. Zudem hänge der „weltweit einzigartige Wohlstand“ der Schweiz „maßgeblich von einem intakten Verhältnis zur EU ab“.

Mit 50,3 Prozent stimmten die Schweizer allen Appellen zum Trotz der Initiative zu. Die Wahlbeteigung lag mit 56,5 Prozent im oberen Bereich.Während sie in den französischsprachigen Kantonen in der Westschweiz auf Ablehnung stieß, votierte der Rest der Schweiz, bis auf die Ausnahmen Basel-Stadt, Zürich und Zug, dafür. Die höchste Zustimmung erhielt die Initiative mit 68,2 Prozent im Tessin.

Gerade in dem an Italien angrenzenden Kanton gilt die Personenfreizügigkeit als mißlungenes Unterfangen. Angaben der Schweizer Weltwoche zufolge, hat sich die Zahl der italienischen Grenzgänger seit 2002 von 30.000 auf 60.000 Personen verdoppelt.

Dies sei „besorgnisserregend“, erklärte Italiens Außenministerin Emma Bonino und schloß sich der Kritik ihrer EU-Amtskollegen an. Doch nicht die Schweizer Probleme sind gemeint, sondern das Ergebnis der Volksabstimmung, das nicht nur die „Situation der italienischen Arbeiter“ tangiere, sondern ebenso die Verträge mit der EU im allgemeinen.

Dagegen sprach SVP-Parteichef Toni Brunner gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung sichtlich zufrieden von einem „Wendepunkt in der Zuwanderungspolitik“. Nun gehe es darum, daß der Bundesrat Neuverhandlungen mit der EU über das Personenfreizügigkeitsabkommen aufnehme. Innenpolitisch, so die SVP weiter, müsse er „rasch“ Gesetzesanpassungen in die Hand nehmen, die eine Steuerung über „Höchstzahlen und Kontingente ermöglichen, einen Inländervorrang auf dem Arbeitsmarkt statuieren und Ansprüche im Bereich des Aufenthalts, des Familiennachzugs sowie der Sozialleistungen sinnvoll beschränken“.

Der Bundesrat nahm den Ball auf und erklärte, dem Parlament „so rasch als möglich“ sowohl einen Vorschlag für die Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmungen zu unterbreiten sowie parallel dazu das Gespräch mit den zuständigen Gremien der EU und ihren Mitgliedstaaten aufnehmen zu wollen. Für diese Verhandlungen hat der Bundesrat drei Jahre Zeit.

Foto: Die SVP-Vizepräsidenten Nadja Pieren (l.) und Luzi Stamm (r.) feiern in Aarberg mit Parteifreunden den Sieg der Ausländer-Initiative „Maßlosigkeit schadet “: Freude über ein Votum, das kaum einer erwartet hatte

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