© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Luther würde aus dieser Kirche austreten
Der Journalist Markus Spieker kritisiert lebensfremde Kreationisten ebenso wie die Anbiederung der Kirchenfunktionäre an den Zeitgeist
Thorsten Brückner

Mit zeitgenössischen christlichen Büchern ist das so eine Sache. Meist offenbaren sie entweder die abstoßende Seichtigkeit einer postchristlichen Diesseitsreligion oder sind mit einem solchen Potpourri an Bibelzitaten gespickt, daß sie selbst dem frommen Kirchgänger wenig Unterhaltung bieten. Nicht nur in dieser Hinsicht sticht „Gott macht glücklich – und andere fromme Lügen“ des bekennenden Christen und ARD-Hauptstadtkorrespondenten Markus Spieker wohltuend aus dem Kanon intellektueller Unterdurchschnittlichkeit heraus.

Freunde in Kirchenkreisen will sich Spieker mit dem Buch ganz sicher nicht machen. Charismatische Pfingstler, die ihren Glauben auf Heilungswundern aufbauen und mit der Lehre des Wohlstandsevangeliums Gott zur materiellen Glücksmaschine degradieren, bekommen von ihm ebenso ihr Fett weg wie bibeltreue Evangelikale, die die Heilige Schrift wie einen „Teil der Trinität behandeln“.

Seit der sogenannten Chicago-Erklärung von 1978 hat der Streit um die Unfehlbarkeit der Bibel vor allem in vielen freikirchlichen Gemeinden zu einem Klima der Angst geführt, wo jeder Gläubige schon fürchten muß, als Häretiker zu gelten, wenn er Schwierigkeiten mit der etwas weltfremden und wissenschaftlich unhaltbaren Lehrmeinung hat, die Erde sei nicht älter als 6.000 Jahre.

Beschäftigung mit der Bibel ist ein kreativer Prozeß

Geradezu meisterhaft, in ebenso bissiger wie launiger Sprache, arbeitet sich Spieker an dieser protestantischen Version des Unfehlbarkeitsdogmas ab: Ob in der Tat die ganze Schrift zur Lehre nützlich ist (2. Timotheus 3,16) stellt er anhand einiger alttestamentlicher Stellen süffisant in Frage: Kriegsgefangene Mädchen zur Zwangsheirat zu zwingen (5. Mose 21, 10-14) und der angeblich von Gott befohlene Genozid an den Amalekitern (1. Samuel 15) inklusive deren Kindern und Säuglingen scheinen nicht nur für Spieker mit dem Gott der Liebe des Neuen Testaments wenig gemein zu haben. In der Auseinandersetzung mit den „Mullahs des Materialismus“ rät er Christen dann auch, nicht die falschen Schlachten zu schlagen: Während die Nachfolger Jesu bei der Debatte um Schöpfung oder Zufall klar auf der Siegerstraße sind, sei die Faktenlage für die Leugnung des Evolutionsprozesses dürftig.

Der evangelische Pfarrerssohn macht deutlich, daß die Beschäftigung mit der Bibel eben kein stupides Bekennen von Dogmen ist, sondern ein kreativer Prozeß, bei dem jeder einzelne für sich selbst den richtigen Zugang finden muß. Gott, das ist die überraschende Erkenntnis für kirchengeschädigte Gläubige, spricht durch die Bibel mit den Menschen auf Augenhöhe und nimmt mit der Erzählung des Lebens Jesu aus vier Blickwinkeln sogar die Multiperspektivität der Postmoderne vorweg.

Besonders erfrischend ist Spiekers Abrechnung mit der Politischen Korrektheit. Als ARD-Topjournalist weiß er, von was er spricht. Kritik an Homo-Ehe, Masseneinwanderung und der Islamisierung kann oft nur noch hinter vorgehaltener Hand geäußert werden. Der öffentliche Diskurs, so Spieker, finde nur unter der strengen Aufsicht von „Zeitgeist-Gouvernanten“ statt. Besonders betroffen zeigt er sich darüber, daß das „Landeskirchen-Establishment“ hierbei voll mitmischt. Nicht erst seit Festgottesdiensten zum Christopher Street Day heißt es dort: Contra Scriptura statt Sola Scriptura. Spieker ist sich sicher: Luther würde in dieser Kirche keine 95 Thesen an die Tür nageln, sondern erst die Tür zur Kirche ein- und dann aus ihr austreten. Auch bei der Sexualmoral fordert er eine Rückkehr zu klaren Positionierungen: „Christliche Gemeinschaften brauchen Regeln!“ Es dürfe nicht nach dem Motto verfahren werden: „Wenn’s juckt, wird gejodelt.“

Spiekers Buch ist das authentische Zeugnis eines gebildeten, weltoffenen Christen, der mit Gott und der Bibel, aber noch mehr mit manchen Glaubensdogmen freikirchlicher Tugendwächter ringt. Daß er dabei eingestehen kann, nicht über alle Antworten zu verfügen, ehrt ihn. „Hinterfrage mutig alles, sogar die Existenz Gottes, denn wenn es ihn gibt, wird er eher die Huldigung der Vernunft billigen, als blinde Furcht“, sagte einst der spätere US-Präsident Thomas Jefferson. Das Buch regt dazu an, genau diese Furcht zu überwinden. Spiekers Resümee ist ebenso ernüchternd wie ermutigend: Der Glaube befreit nicht von Pleite, Krankheit und frühem Tod: „Gott macht mehr als glücklich. Er macht heil, in Jesus.“

Markus Spieker: Gott macht glücklich und andere fromme Lügen. Verlag SCM Hänssler, Holzgerlingen 2013, gebunden, 176 Seiten, 14,95 Euro

Foto: Einfach mal wieder in die Kirche gehen: „Gott macht mehr als glücklich. Er macht heil, in Jesus.“

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