© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Von Heuchlern regiert
Die Affäre Edathy zeigt, daß die politische Klasse ihr Wohl mit den Interessen des Landes gleichsetzt
Michael Paulwitz

Kleinkariert, glanzlos und unappetitlich – so kommen politische Skandale in Deutschland üblicherweise daher. Und so haben sich die Bundesbürger daran gewöhnt, daß ihre Politiker selbst im Scheitern oft das Mindestmaß an Größe und Anspruch auf Respekt vermissen lassen.

Im Fall des in der kinderpornographischen Schmuddelecke versunkenen SPD-Stars Sebastian Edathy liegt indes mehr auf dem Tisch als die, wenn nicht strafrechtlichen, so doch sittlichen Verfehlungen eines abgestürzten Moralapostels. Der Umgang der etablierten Parteienoligarchie mit der ans Tageslicht gekommenen Affäre zeichnet das Bild einer inwendig verkommenen politischen Klasse, die in ihrem grenzenlosen Gruppenegoismus über den Regeln zu stehen glaubt und keine Hemmungen hat, sich den Rechtsstaat zur Beute zu machen.

Bereits der Aufstieg des Sebastian Edathy war keine Ausnahmeerscheinung, sondern symptomatisch für den Stoff, aus dem heutzutage Politkarrieren geschneidert werden. Der schnelle Weg nach oben führt nicht über fachliche Qualifikation und charakterliche Integrität, sondern verlangt von keinem Zweifel angekränkelte moralische Selbsterhöhung – und Sebastian Edathy, der Pastorensohn mit indischem Vater, der vom Soziologiestudenten bruchlos zum Berufssozialdemokraten wurde, teilte mit den dazugehörigen Totschlagkeulen großzügig aus. Überall witterte er böse „Revisionisten“, „Völkische“ und „Rassisten“ – von Parteifreund Thilo Sarrazin über die lieben Bundestagskollegen bis zum einfachen Volk, sowieso. Im NSU-Untersuchungsausschuß nahm er, von den Medien verhätschelt, die Pose des unerbittlichen Großinquisitors ein, der es mit einem halluzinierten allgegenwärtigen rechtsextremen Sumpf aufnimmt.

Man mag eine ausgleichende Ironie darin erkennen, daß – wie Michael Klonovsky in seinem Netztagebuch notiert – „Leute, die in der Öffentlichkeit mit dem Zeigefinger wedeln und andere Menschen mit ihrer Moralisiererei belästigen (…), nicht nur in der Regel einen an der Waffel, sondern vermutlich überdurchschnittlich oder gar signifikant häufig Dreck am Stecken haben“. Jedenfalls gibt es in sämtlichen Parteien reichlich Nachwuchs an neuen Edathys, die nur darauf brennen, mit erhobenem Zeigefinger und einem übersichtlichen schwarzweißen Weltbild Karriere zu machen.

Im luftdicht abgekapselten Berliner Politikbetrieb sind die Antreiber auf den hohen Moralrössern manchmal lästig, meistens aber nützlich und willkommen. Sebastian, der Moralist, hatte sich durch sein bisheriges Treiben für einen Posten in der Großen Koalition empfohlen. Dieser einen Imageschaden zu ersparen, schien während der Koalitionsverhandlungen dem damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wichtiger, als Schaden vom Rechtsstaat abzuwenden und der Justiz ihren Lauf zu lassen – also verriet er das Dienstgeheimnis des Ermittlerverdachts gegen Edathy brühwarm an Sigmar Gabriel. Der nutzte das ihm zugefallene Wissen rücksichtslos zum Vorteil der eigenen Partei, plauderte es an wichtige Strippenzieher weiter und nahm damit zumindest billigend in Kauf, daß früher oder später der Beschuldigte selbst davon Wind bekam und dem Staatsanwalt eine lange Nase drehte.

Die vorläufige Bilanz der schmierigen Affäre, in der kein Tag vergeht, an dem nicht eine neue Lüge oder Scheinheiligkeit aufgedeckt wird, könnte verheerender nicht sein: Ein in Ungnade gefallener Moralisierer, der ohne jeden Anflug von Selbstkritik Fehler unverdrossen nur bei den anderen sieht, sich rechtzeitig abgesetzt, vorher allem Anschein nach noch Belastungsmaterial beseitigt hat und nun von unbekanntem Aufenthaltsort die Ermittlungsbehörden mit Vorwürfen und Anzeigen überzieht. Und düpierte Staatsanwälte, die – wohl aus Sorge, eine öffentliche Person zu beschädigen, und vielleicht dazu angehalten – zu lange gezögert haben, gegenüber einer stetig angewachsenen Zahl politischer Mitwisser hoffnungslos ins Hintertreffen geraten sind und ihre Ermittlungen vermutlich niemals befriedigend abschließen können.

Bedanken können sie sich dafür nicht zuletzt bei einer SPD-Führung, auf der der Verdacht der Strafvereitelung liegt, die in ihrer anmaßenden „Recht ist, was der Politik nützt“-Mentalität aber so wenig Unrechtsbewußtsein zeigt wie Edathy, den sie jetzt so schnell wie möglich aus ihren Reihen entsorgen möchte, und die den CSU-Minister, der ihr einen wertvollen Dienst geleistet hat, eiskalt per Pressemitteilung ans Messer lieferte. Der wiederum will seinen Fehler ebenfalls nicht einsehen, sondern ist beleidigt: Weil er zunächst als einziger den Hut nehmen mußte und weil die Kanzlerin und sein eigener Parteichef ihn sofort fallenließen – nicht weil er rechtswidrig gehandelt hat, sondern weil es herauskam und weil seine Opferung einen taktischen Vorteil versprach.

Immerhin wurde Friedrich für sein gehorsames Mitspielen mit einem Auffangposten in der Fraktionsführung und Krokodilstränen von allen Seiten belohnt. Und über den einander belauernden und doch verschworen aneinander und an der Macht klebenden Koalitionsparteien führt die Kanzlerin Regie, die im selben Atemzug das „Vertrauen in der Koalition“ und das „Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat“ beschwört.

Wenn der beschädigt wurde, dann in diesem Fall durch die gesamte politische Klasse. „Edathygate“ eröffnet tiefe Einblicke in einen Abgrund an Heuchelei und Doppelmoral. Zu sehen ist darin eine Parteienkaste, die ihr eigenes Wohl mit dem des Gemeinwesens gleichsetzt, die parteienübergreifend glaubt, der Zweck, ihr eigenes Ansehen und ihre ungestörte Machtausübung zu schützen, rechtfertige alle Mittel bis hin zur Sabotage juristischer Verfahren. Rücktritte und Parteiengezänk sind Teil der Inszenierung, sie stabilisieren den Korpsgeist der politischen Klasse und halten das Publikum ruhig. So lange jedenfalls, wie es sich dieses Schmierentheater bieten läßt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen