© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

„Afrika wird armregiert“
Ist Afrika arm, weil wir es ausbeuten? Nützt Entwicklungshilfe und die Aufnahme immer mehr afrikanischer Flüchtlinge? Nein, widerspricht der ehemalige deutsche Botschafter Volker Seitz. Sein Buch ist eine Abrechnung mit afrikanischer und europäischer Selbstgefälligkeit.
Moritz Schwarz

Herr Seitz, Entwicklungshilfe kann wirklich ärmer machen?

Seitz: Sie macht arm, weil sie Abhängigkeit schafft. Eigeninitiative und staatliche Innovationsfreudigkeit verkümmern. Solche Länder müssen, wegen der allgegenwärtigen Hilfswerke, ihre Entwicklung nicht in eigene Hände nehmen.

Zum Beispiel?

Seitz: Zum Beispiel Malawi, das im Südosten nahe Tansania liegt. Dort widmen sich sechzig Hilfsorganisationen der Landwirtschaft. Die Regierung muß sich also mit sechzig Organisationen und deren Projekten beschäftigen, das schafft eine riesige Bürokratie und bremst die Entwicklung. Und schließlich verschwinden die meisten Projekte irgendwann, ohne nachhaltige Spuren zu hinterlassen. Abgesehen davon – und obwohl einzelne Entwicklungshelfer natürlich mit großen Idealen kommen –, stabilisiert die Hilfe häufig vor allem korrupte und undemokratische Regime.

Also lieber keine Hilfe?

Seitz: Gegenfrage: Was haben wir in einem halben Jahrhundert Entwicklungshilfe für Afrika denn gelernt? Die deutsche Entwicklungshilfe gab zumeist Geld oder unterstütze Projekte, ohne zu fragen, wie es nach dem Ausstieg weitergehen soll. Immer noch fehlt eine transparente öffentliche Rechenschaftspflicht für die jährlich ausgegebenen Milliarden. Selbst der Bundestag hat keine systematischen Mitwirkungs- und Kontrollrechte.

Was fordern Sie also?

Seitz: Ergebnisse müssen öffentlich – etwa im Internet – zugänglich sein und die Effizienz und Effektivität belegt werden.

Was sollte das nützen? Schließlich kommen Sie in Ihrem Buch zu dem Ergebnis: „Afrika ist arm, weil es armregiert wird.“

Seitz: Ja, dabei ist Afrika ein extrem reicher Kontinent mit einem riesigen, kaum genutzten Potential. Es gibt Rohstoffe und Mineralien in Fülle, viel mehr als etwa in Europa. Dennoch ist Afrika arm – weil Korruption, gewaltige Ungleichheiten und teils schwere Verstöße gegen die Menschenrechte den Afrikanern keine gleichen Chancen zu ökonomischem Wohlstand geben. Die Politik ist nur in seltenen Ausnahmefällen dem Gemeinwohl und einem gerechten Staatswesen verpflichtet. Afrika ist arm, weil unglaublich viel Humankapital ungenutzt bleibt, obwohl man es durch faire Politik aktivieren könnte. Die Menschen sind arm aufgrund einer falschen Politik. Sie haben oft keinen Zugang zu sauberem Wasser, zu Gesundheitsdiensten, zu Bildung und beruflicher Weiterbildung. Ohne Veränderungen im Bildungswesen gibt es keinen Ausweg aus der Armut.

Gern wird argumentiert, schuld am Zustand Afrikas seien die Europäer – Stichwort Kolonialismus. Stimmt das?

Seitz: Zweifellos waren die Versklavung und gewaltsame Kolonialisierung von mehreren Millionen von Afrikanern – die nicht relativiert oder beschönigt werden können – große Verbrechen.

Kein Zweifel, aber das war nicht die Frage.

Seitz: Verantwortlich für das heutige Elend des Kontinents sind nicht mehr Sklaverei und achtzig Jahre Kolonialherrschaft. Ein Satz wie „Der afrikanische Kontinent wird vom Rest der Welt arm gehalten“ des schwedischen Schriftstellers Henning Mankell erscheint wie ein Freibrief für afrikanische Herrscher, die ihre Staaten rücksichtslos geplündert haben oder immer noch plündern. Prinz Asfa-Wossen Asserate von Äthiopien hat ausgerechnet, daß „in der Kolonialzeit weit weniger Menschen gestorben sind als seit der Befreiung vieler Länder“. Der Kolonialismus hatte nicht nur das Gesicht von Ausbeutung und Unterdrückung, er hat auch die Einführung von Rechten und Infrastrukturen gebracht. Die koloniale Vergangenheit kann nicht mehr als Entschuldigung für das Versagen in der Gegenwart herhalten. Sonst gäbe es nicht Länder wie Botswana, Mauritius, Mosambik, Ghana oder Ruanda, das wegen seiner Bildungs-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik zu den Topreformern zählt.

Warum ist die Kolonialismus-These dann so populär, gerade in Europa?

Seitz: Ich kann dies nur mit Unkenntnis erklären. In den letzten fünfzig Jahren hat sich eine neue Feudalklasse gebildet. Als Ghana 1957 unabhängig wurde, war die ehemalige Goldküste nicht nur schuldenfrei, sondern verfügte sogar über Auslandsguthaben. Das Bildungswesen galt als vorbildlich, das Land hatte eine gute Infrastruktur, einen relativ effektiven und unbestechlichen Staatsapparat sowie unabhängige Justiz. Auch Kenia hat eine gute Infra- und Regierungsstruktur aus der Kolonialzeit übernommen.

In Ihrem Buch führen Sie ausgerechnet Tansania als Beleg für das hausgemachte afrikanische Scheitern an.

Seitz: Ja, denn das Land hat an Ressourcen alles, was man braucht, um glücklich zu sein, und nichts von dem, was normalerweise als Enschuldigung angeführt wird, warum es doch nicht klappt: In Tansania gab es keinen Unabhängigkeitskrieg, keinen Diktator, keinen Putsch, es gibt keinen Tribalismus, keine Stammeskonflikte, keine religiösen Auseinandersetzungen, keinen Staat ohne Zugang zum Meer, keine Flut- und Dürrekatastrophen, keine überbordende Kriminalität und auch keinen schädlichen Öl- und Kupferreichtum – aber genügend vielfältige Rohstoffe. Doch trotz dieser günstigen Ausgangslage und der Tatsache, daß Tansania der Liebling der Geber ist, bleibt es eines der zehn ärmsten Länder der Welt.

Wäre es nicht Aufgabe der Afrikanischen Union (AU), so wie in der EU für Förderung armer Länder durch starke zu sorgen?

Seitz: Etwa ein Drittel der afrikanischen Mitgliedstaaten verweigert der AU eine ernsthafte und aktive Mitarbeit. Das fängt damit an, daß die Mitgliedsbeiträge nicht oder nur schleppend bezahlt werden. Die „Afrikanische Charta für Demokratie, Wahlen und Regierungsführung“ von 2007 wurde nach fünf Jahren erst von 15 der 54 Mitgliedstaaten ratifiziert. Andere zentrale Rechtsdokumente über Frauenrechte, Antikorruptionspolitik und verantwortliches staatliches Handeln (NEPAD) werden nicht ernst genommen und verschleppt.

Die Uno will die Entwicklungshilfe verdoppeln, die Armut halbieren. Demnach würde das aber ebensowenig funktionieren, wie durch mehr Hilfe die Zahl der Flüchtlinge nach Europa zu senken?

Seitz: Es ist ein Irrtum zu glauben, daß sich Flüchtlingsströme aus Afrika durch höhere Entwicklungshilfezahlungen verringern lassen. Ein Land mit einer schlechten Regierung kann keine Entwicklung durchlaufen, egal wieviel Zuwendung es erhält. Wir verspielen das Vertrauen der afrikanischen Jugend, weil wir Hilfe nicht von Bedingungen abhängig machen und von den Machthabern nicht verlangen, daß sie die Korruption merklich unter Kontrolle bringen, Rechtsstaatlichkeit nicht nur durch formale Gesetze fördern und die Talente im eigenen Land durch die Qualität der Bildung mehr fördern.

Wäre es das beste, die Hilfe einzustellen?

Seitz: Entwicklungshilfe muß nicht gänzlich eingestellt werden, aber die Initiative muß von Afrika ausgehen. Geholfen wird nur dann, wenn die Menschen mittels Unterstützung eigener Projekte ihre Lebensverhältnisse dauerhaft verbessern. Wenn aber Entwicklungshelfer die Probleme für die Afrikaner lösen wollen, dann ist die Hilfe schädlich, weil sie eigenständiges Handeln lähmt.

Sie sprechen in Ihrem Buch vom „verheerenden Drang der Europäer, Gutes zu tun“.

Seitz: In den Industriestaaten wird immer der Eindruck erweckt, ohne Entwicklungshilfe würde Afrika untergehen. Wenn die Entwicklungshilfe eingestellt würde, wären die politischen Eliten die ersten Opfer, weil ihre Machtstrukturen dadurch gesprengt würden. Die Frage nach einer eigenständigen afrikanischen Lösung wäre dann auf dem Tisch. Eine Einstellung der Hilfe würde an den Tag bringen, daß die meisten internationalen Agenturen die afrikanische Misere dazu genutzt haben, um Spenden zu sammeln, um sich einen humanitären Anstrich zu geben.

Zu jenem „Drang, Gutes zu tun“, gehört wohl auch, sich für eine Öffnung Europas für afrikanische Einwanderer einzusetzen. Aber kommen wirklich die Ärmsten der Armen oder gerade jene, die Afrika eigentlich braucht?

Seitz: Die Gründe, weshalb junge Afrikaner wenig Vertrauen in die Zukunft, besonders in den Großstädten, haben und ihr Heimatland verlassen möchten, werden nicht ernsthaft untersucht. Zumindest die entwicklungspolitisch Eingeweihten wissen seit mehr als drei Jahrzehnten, daß in den Ländern Afrikas bis zu achtzig Prozent der Jugendlichen auf eine Lebensperspektive warten, die sie in Europa zu finden glauben. Die Arbeitslosigkeit explodiert fast überall. Während die große Armut – auch wegen der hohen Geburtenraten – sich dauerhaft festsetzt, konzentrieren sich die fähigsten und aktivsten Afrikaner immer mehr in den westeuropäischen Großstädten. Etwa dreißig Prozent der afrikanischen Ärzte haben in den letzten zwanzig Jahren ihre Heimatländer verlassen. Gründe für die Auswanderung sind schlechte Arbeitsbedingungen und verfallende Krankenhäuser.

Im Klartext, die Auswanderung ist schädlich für Afrika?

Seitz: Neben den Armutsflüchtlingen gibt es eine nicht zu leugnende Emigration von Fachkräften. Die Flucht dieser Talente kommt die Länder mittelfristig teuer zu stehen. Denn gerade besonders engagierte und leistungswillige junge Menschen flüchten nach Europa. Mit diesem „Brain Drain“ gehen wertvolle Impulse zum Aufbau verloren.

Die EU wird wegen der Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer heftig gescholten. Sie dagegen kritisieren: Vor allem Afrika trage die Verantwortung für die Tragödien, doch die AU kümmere das keinen Deut.

Seitz: Während wir uns in der EU zu Recht die Köpfe über die Tragödie heiß reden, lohnt ein Blick nach Afrika in die betroffenen Länder und vor allem auf die offizielle Homepage der Afrikanischen Union. Dort finden Sie dazu kein Wort. Das ist aber auch verständlich, denn dann müßten die Autokraten der Staaten, deren Bevölkerung unter Korruption, Bürokratie und Seilschaften leidet, an den Pranger gestellt werden.

Das heißt, folglich verdeckt die hiesige Debatte über die europäische Schuld die nötige Debatte über die Verantwortung der afrikanischen Politiker?

Seitz: Die Tragödie zeigt auf furchtbare Weise in der Tat zuerst einmal nicht, daß Europas Flüchtlingspolitik gescheitert ist, sondern daß verzweifelte junge Menschen die Hoffnung auf Verbesserungen in ihren Ländern aufgegeben haben. Viele Regierungen in Afrika verstehen nicht, daß man ein Land nicht entwickeln kann, solange die Jugend das Land verläßt und die Kreativität großer Teile der Bevölkerung unterdrückt wird. Es sollte für die Regime ein Anlaß zur Sorge sein, wenn die Staatsbürger zu Zehntausenden das Land verlassen. Statt dessen sind sie froh, wenn die Unzufriedenen gehen, denn mit dem Export der Arbeitslosigkeit werden auch eigene Entwicklungsanstrengungen weniger dringlich.

Und wie kann man „Afrika wirklich helfen“, wie der Untertitel Ihres Buches heißt?

Seitz: An erster Stelle sollten eigene Ideen und nicht die Fremdförderung stehen. In den Genuß unserer Solidarität sollten nur noch Länder gelangen, die nachweislich alle Anstrengungen unternehmen, ihre Schwierigkeiten selbst zu beseitigen. Erst wenn die weithin vernachlässigten Möglichkeiten der Selbsthilfe ausgeschöpft sind, sollten Wege für zeitlich begrenzte Hilfen beschritten werden. Solange wir daran nichts ändern, werden die Probleme Afrikas nur noch größer werden. Es ist meine Überzeugung, daß es der Kontinent selber schaffen kann. Afrika braucht Hilfe bei humanitären Katastrophen, aber keine Entwicklungsgelder, die beliebig und ziellos ausgegeben werden. Die ständig wachsenden Geldströme von außen lösen die Armutsprobleme nicht, im Gegenteil. Hilfe zerstört Anreize, verschüttet lokale Potentiale und verführt gute Leute dazu, ihr Glück mit einer Anstellung in der Entwicklungshilfe statt im Unternehmertum zu suchen. Moritz Schwarz

 

Volker Seitz, der Afrika-Experte diente als deutscher Botschafter in Benin, Kamerun, Äquatorialguinea und Zentralafrika. Seit 1965 im Dienste des Auswärtigen Amtes, war er bis 2008 insgesamt 17 Jahre auf dem dunklen Kontinent im Einsatz. Mit seinem Buch „Afrika wird armregiert. Oder wie man Afrika wirklich helfen kann“ (2009) machte Seitz die Medienöffentlichkeit auf die Entwicklungshilfeproblematik aufmerksam. Über den Band schreibt Rupert Neudeck, der auch das Vorwort beisteuerte: „Dieses Buch gibt dem Gebäude der Entwicklungshilfe einen letzten Stoß.“ Und der NDR lobte das „lesenswerte“ (Berliner Zeitung) „fulminante Plädoyer“ (Rheinischer Merkur) als „wichtig, nachvollziehbar und spannend geschrieben“. Seitz, geboren 1943 und aufgewachsen in Karlsruhe, gehört zum Initiativkreis des „Bonner Aufrufs“, der eine Reform der Entwicklungshilfepolitik fordert.

www.bonner-aufruf.eu

Foto: Hilfe oder Last? – Westliche Mehllieferung für Kenia: „Afrika ist reich – arm sind die Menschen dort wegen einer falschen Politik und weil Entwicklungshilfe abhängig macht.“

 

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