© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Viele Zeichen des Aufschwungs
Marc Zöllner

Verdörrte Landschaften, Hungersnöte, Krankheiten, Rebellen, die plündernd und brandschatzend durch die Dörfer der meist korrupten, manchmal gescheiterten, jedoch immer wirtschaftlich brachliegenden Länder dies- und jenseits des Äquators marodieren: Nichts könnte stereotyper sein als die in Europa dominierenden Vorstellungen über Schwarzafrika. Dabei hat Afrika weit mehr zu bieten als nur Kriege und Katastrophen. Nicht wenige der 54 Staaten Afrikas, des zweitgrößten Kontinents dieser Erde, haben im letzten Jahrzehnt eine beeindruckende Entwicklung hinter sich gebracht. Kulturell, wirtschaftlich, technologisch und ökologisch befinden sich ihre Einwohner von Dakar am Atlantik bis Daressalam am Indischen Ozean auf dem Sprung, den Anschluß an die moderne Welt des 21. Jahrhunderts zu wagen. Wo genau, darüber erzählen hier sechs Geschichten aus sechs Nationen.

 

Ghana

Seit Beginn der Ölförderung im Jahr 2012 erlebte das Land einen folgenschweren Umbruch in Wirtschaft und Lebensqualität. Ruhte der Binnenmarkt bislang auf dem risikoreichen Export von Rohstoffen wie Gold und Kakao, so generiert sich der Staatshaushalt dank sprudelnder Petrodevisen zur Hälfte aus den Einnahmen des Bau- und Dienstleistungsgewerbes. In den letzten zehn Jahren konnte sich das durchschnittliche Einkommen der Ghanaer verfünffachen. Weil das ghanaische Durchschnittseinkommen mit umgerechnet 1.400 Euro jährlich die zulässige Höchstgrenze überschreitet, darf das Land keine zinslosen Mikrokredite mehr bei der Internationalen Entwicklungsorganisation IDA, einer Tochtergesellschaft der Weltbank, aufnehmen und muß unter anderem auf harte Eurobonds setzen. Hohe Leitzinsen für Binnenkredite sind die Folge, ebenso eine wachsende Inflation von mittlerweile über 13 Prozent auf Nahrung und Verbrauchsgüter. Hohe Wirtschaftswachstumsraten von neun Prozent sollen diesen Verfall nun bremsen.

 

Nigeria

Unweit des Deltas des größten Flusses Westafrikas blüht das Geschäft mit den bewegten Bildern. Bis zu 1.500 Filme werden jährlich in und um Lagos gedreht, viele davon hunderttausendfach auf DVD verkauft. Damit ist Nollywood, wie die schwarzafrikanische Filmszene liebevoll genannt wird, der weltweit zweitgrößte Filmemarkt – nach Bollywood in Indien und noch vor Hollywood in den Vereinigten Staaten. Nigerianische Blockbuster landen von Kairo bis Kapstadt Kassenschlager und finden auch in Europa Absatz: Auf der Berlinale 2014 werden die bedeutendsten Regisseure Nigerias bereits zum zehnten Mal vertreten sein. Auch im durch die Anschläge der Sekte „Boko Haram“ berüchtigt gewordenen Norden des Landes konnte sich mittlerweile eine eigenständige Kinoszene etablieren: Kannywood, benannt nach der Regionalhauptstadt Kano. Über 2.000 Produktionsfirmen waren dort 2012 registriert. Um professionellen Raubkopierern zuvorzukommen, schlägt man dort ganz neue Vertriebswege ein: Filme und Serien, speziell für die Smartphones Schwarzafrikas zurechtgeschnitten.



 

Angola

Die einstige portugiesische Kolonie erlebt derzeit einen ungeahnten Wirtschaftsaufschwung. Allein seit dem Ende des Bürgerkriegs im Jahre 2002 verzehnfachte sich das Bruttoinlandsprodukt von 10 Milliarden Euro jährlich auf über 100 Milliarden Euro. Mit ihren Investitionen in portugiesische Medien und Banken brachte es die angolanische Präsidententochter Isabel dos Santos überdies zur ersten Milliardärin Schwarzafrikas. Der aufkeimende Wohlstand Angolas schafft aber auch neue soziale Probleme: So gilt Luanda, gemessen an den Lebenshaltungskosten, derzeit als teuerste Stadt der Welt. Mietpreise bis zu 6.000 Euro für Zwei-Zimmer-Apartments stellen in der Zehn-Millionen-Metropole keine Seltenheit mehr dar. Und noch immer müssen zwei Drittel der Einwohner Angolas mit weniger als einem Euro fünfzig pro Tag auskommen.

 

Sambia

Im 50. Jahr seiner Unabhängigkeit bereitet sich Sambia auf seine postindustrielle Revolution vor. Galt der 13-Millionen-Staat bislang lediglich als bedeutendes Abbaugebiet für Halbedelmetalle – 75 Prozent der staatlichen Exporteinnahmen kommen aus dem Bergbausektor –, so soll nach den Plänen von Präsident Michael Sata der künftige Schwerpunkt auf die landwirtschaftliche Entwicklung gesetzt werden. Noch immer leben etwa 80 Prozent aller Bürger unter prekären Verhältnissen vom Ackerbau. Umgerechnet 3,7 Milliarden Euro will die Regierung deshalb in ihr Projekt „Link Sambia 8000“ investieren, um bis 2017 rund 8.000 Kilometer Straßen zu errichten. Allein im Baugewerbe sollen so 24.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Das künftig ausgebaute Verkehrsnetz, so der Plan der sozialistischen Regierung, soll überdies den Bauern auch abgelegener Regionen ermöglichen, künftig mit den Anbietern der Nachbarstaaten in Wettbewerb treten zu können. Niedrige Leitzinsen, ein mittlerweile stabiles Wirtschaftswachstum sowie sinkende Inflationsraten von je sieben Prozent scheinen den Kurs der Regierung zu bestätigen.

 

Kenia

Mit High-Tech startet das ostafrikanische Savannenland ins 21. Jahrhundert durch. Für umgerechnet zwölf Milliarden Euro läßt die kenianische Regierung derzeit eine Musterstadt aus Glasfassaden errichten. Ein Konvolut an wissenschaftlichen Anlagen, Kongreßzentren, Hotels, universitären Einrichtungen, Einkaufszentren und medizinischen Laboren ist in den nächsten zwei Jahrzehnten nahe der Stadt Konza, rund 100 Kilometer südlich der Hauptstadt Nairobi, auf gut 2.000 Hektar Fläche geplant. Bis 2030 verspricht man sich mit dem „Silicon Savannah“ getauften Projekt allein über 100.000 neue Arbeitsplätze im IT-Bereich.

Der Bedarf ist da: Seit der Vernetzung Kenias durch Glasfaserkabel mit Europa im Jahre 2009 sprießen die Startup-Firmen in Nairobi förmlich aus dem Boden. Selbst Google-Gründer Eric Smith schwärmt bereits vom „unglaublich kreativen Potential“ der ostafrikanischen Online-Avantgarde und prüft den Einstieg in künftige Projekte. Arabische und chinesische Investoren stehen sowieso schon Schlange.

 

Ruanda

Zwanzig Jahre nach dem Schrecken des Völkermords an den Tutsi erarbeitet sich die Zwergrepublik im Hochland Zentralafrikas ihren Status als Wirtschaftswunderland des Schwarzen Kontinents. Mit rund zwölf Prozent jährlicher Wachstumsrate glänzt nicht nur die Industrie. Auch der Außenhandel (Tee, Kakao, pflanzliche Düngemittel), überwindet trotz sinkender Weltmarktpreise stetig das seit dem Ende der Kolonialzeit klaffende Außenhandelsdefizit. Verdiente ein Ruander um die Jahrtausendwende im Durchschnitt nur etwa 160 Euro jährlich, so waren es acht Jahre später bereits über 450 Euro. Bis spätestens 2020 plant die Regierung eine weitere Verdopplung mit dem Ziel, das erste Land der Region mit mittlerem Welteinkommen zu werden. So wird Ruanda im „Doing Business Report“ der Weltbank ein hervorragender 32. Platz von 179 teilnehmenden Staaten verliehen – als einziges afrikanisches Land in einer Reihe mit der Schweiz und Frankreich.

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