© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Dorn im Auge
Christian Dorn

Spätabends mit der U-Bahn auf dem Heimweg, Stadtmitte steigt ein benachbarter Künstler zu, wie ich aus der Zone kommend und etwa mein Jahrgang. Vor unseren Haustüren bleiben wir in der Szenekneipe hängen, über Politik und Gesellschaft diskutierend. Während wir weitgehend Übereinstimmung finden bei der politisch-korrekten Konformität der Gegenwart, tut sich dann doch ein unglaublicher Widerspruch auf: Der Künstler erklärt mir, er fühle sich durch Apple und Windows heute genauso reglementiert und eingeschränkt wie damals in der Diktatur der DDR. Meine Entgegnung: Da hätten wir nun aber einen solch fundamentalen Unterschied zwischen uns herausgearbeitet, mehr könnten wir heute nicht erreichen, weshalb das jetzt doch der beste Moment für die Verabschiedung sei.

Parallel zu den ersten Berichten über die sogenannte Zwickauer Terrorzelle fand sich am Fehrbelliner Platz plötzlich ein an ein Verkehrsschild gekettetes metallicblaues Rennrad der Marke „NSU“. Winter wie Sommer stand es dort, als wäre dessen Eigentümer spurlos verschwunden. Auf einmal war es weg. Doch im türkischen Trödelladen, unterhalb des Platzes, werde ich fündig: In den CD-Stapeln, das Stück für 50 Cent, stoße ich neben diversen Hit-Compilations auf eine in diesem Zusammenhang bemerkenswerte Trouvaille: Die unautorisierte und indizierte CD „Commando Pernod BRESLAU“ (NS Records 02), auf deren Rückseite es heißt: „Ein Teil des Erlöses dieser CD kommt der Anti-Antifa zugute, wir werden mit Eurer Hilfe im Untergrund kämpfende Kameraden unterstützen.“

Die „Lieder“ dieser Pressung sind zufällig das passende Beispiel zum so lebensweisen wie unterhaltsamen Roman „Mensch Nazi“ von Stephan Krawczyk, der autobiographisch grundiert ist. Der Liedermacher zu dieser Art Musik: „Ein Sänger, der nicht singt, sondern brüllt – den nennt der Sänger in mir einen bösen Sänger.“

Dasselbe Urteil stellt sich bei mir ein, als ich kurz darauf das Frei.Wild-Video „Das Land der Vollidioten“ anklicke. Die Wahrnehmung wiederholt sich beim „Funkenflug“, der neuen CD des Musikers Sacha Korn, dessen Lieder vielleicht anders „rüberkämen“, würden sie zu einer akustischen Gitarre vorgetragen, das heißt: gesungen. So aber ist es oft nur hörbarer Haß, kurz vor der Selbstverbrennung: Nicht zufällig zeigt das Cover Einzelkämpfer Korn mit Maßanzug und Schlips, sich am geöffneten Benzinkanister eine Zigarre anzündend. Ein Talent, das sich verrennt.

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