© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Altes Volk in neuem Glanz
Versunkene Welt: Das Linden-Museum in Stuttgart beleuchtet Aufstieg und Niedergang der Inka-Kultur
Felix Dirsch

Die Kultur der Inka bleibt auch knapp fünf Jahrhunderte nach ihrem Untergang faszinierend. Straffe Verwaltungsstrukturen, ein leistungsfähiges Straßennetz, eine bewundernswerte Textilproduktion, komplexe Architektur nicht zuletzt in Form der Sonnentempel – das alles sind nur wenige Beispiele für die kulturellen Besonderheiten eines Staatswesens, die für den Ruf, den die Inka bis heute genießen, mitverantwortlich sind.

Diese Attraktivität für viele heutige Zeitgenossen war wohl einer der Gründe für das völkerkundliche Linden-Museum in Stuttgart unter seiner Leiterin Inés de Castro und der Kuratorin Doris Kurella, über die versunkene Welt eine Sonderausstellung zu initiieren. Eine solche stellte nach Expertenmeinung bisher ein Desiderat dar.

Über die Vorläufer der Inka ist wenig bekannt. Gleichwohl werden Tiahuanaco und Huari, zwei Erobererstaaten, die sich an der südlichen peruanischen Küste herausbildeten, behandelt. Es folgte die Chimú-Kultur. Zu ihren Hinterlassenschaften zählen beispielsweise ein Pektorale aus Spondylus-Perlen und Ohrpflöcke aus der Gold-Kupfer-Legierung Tumbaga, die zu den Sehenswürdigkeiten der Ausstellung gehören.

Zu Beginn des Rundganges wird der Besucher mit einer großen Karte konfrontiert, die einen Einblick in die beeindruckende Ausdehnung des Reiches gibt, das sich von Kolumbien bis Chile erstreckte. Einer der Schwerpunkte ist die Darstellung des königlichen Landsitzes von Machu Picchu. Dieser Ort, dessen Erforschung vor über hundert Jahren begann, hatte die Aufgabe, dem Herrscher die Gelegenheit zur Erholung zu bieten. Weiterhin dienten die Anlagen zur landwirtschaftlichen Produktion.

Ein anderes wichtiges Anliegen der Ausstellung ist die Herausstellung der damals hochmodernen Staatsstrukturen. Diese sollten, wie in vormodernen Kulturen üblich, den Kosmos symbolisieren. Dem Anden-Volk dienten Religion und Riten als soziale Bindemittel. Durch Eroberungen und effiziente Ausbeutung der Untertanen, vor allem mittels spezieller Arbeitsleistungen der Steuerpflichtigen, genannt „mit’a“, gelang eine erstaunliche Mehrung des Wohlstandes.

Natürlich werden die wichtigsten Könige vorgestellt. Unter Inca Viracocha, Pachacútec Inca Yupanqui und seinem Sohn Túpac Inca Yupanqui erzielten die Inka ihre größten Erfolge, weswegen die beiden letztgenannten Regenten den Beinamen „Weltveränderer“ bekamen. Einer der Höhepunkte der Ausstellung besteht in der lebensgroßen Modellierung Pachacútecs Inca Yupanquis, der auf diese Weise einen Ehrenplatz erhält.

Auf die Fülle an Exponaten kann auf begrenztem Raum kaum adäquat eingegangen werden. In spärlicher Auswahl seien lediglich Stoffe mit charakteristischen Motiven wie dem des Schraubenschlüssels genannt. Offiziere trugen oft eine hemdartige Bekleidung mit Schachbrettmuster. Zu den herausragenden Stücken der Ausstellung zählt ein Lama aus Keramik, das wohl aus der Zeit der Huari-Kultur stammt.

Am Ende der Schau wird der Untergang einer bereits im Abstieg begriffenen Kultur thematisiert. Mit einer relativ kleinen Anzahl von Soldaten, die freilich mit modernster Waffentechnik ausgerüstet waren, eroberte der Spanier Pizarro die Hauptstadt Cusco. Die Gier nach Gold kannte keine Grenzen. Angesichts zahlreicher Verbrechen an den Eingeborenen wirkt die Begründung für die Gewalttaten, die Inka hätten durch die Praxis der Menschenopfer jedwede Humanität vermissen lassen, wie Hohn. Der letzte Sapa Inka, den die Untertanen als von den Göttern abstammend besonders verehrten, wurde getötet. Die Konquistadoren schleppten bald Krankheiten ein, die die Bevölkerung sukzessive dezimierten. Die Europäer errichteten eine koloniale Verwaltung, in ihrem Gefolge wirkten christliche Missionare, die die religiösen Herkunftstraditionen der Unterworfenen größtenteils vernichteten. Bei genauerer Betrachtung freilich wird deutlich, daß diese Ausrottungsaktionen nicht gänzlich erfolgreich gewesen sind, lugt doch noch heute aus manchem Bild der Gottesmutter Maria eine alte weibliche Gottheit aus früheren Zeiten hervor.

Der letzte Raum belegt viele Anknüpfungsversuche der Inka-Nachkommen an ihre Vorfahren. Gerade Jüngere pflegen altes Brauchtum. Sie leisten auf diese Weise einen – wie immer begrenzten – Beitrag zur differenzierten Aufarbeitung der Vergangenheit.

Trotz aller Verdienste der aufwendig und ansprechend gestalteten Präsentation bleibt zu bemerken, daß die Begleittexte da und dort mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Eine Überarbeitung in einigen Details ist zu empfehlen, wenn die Ausstellung ihre Pforten in Stuttgart schließt, um sie am 11. April in Rosenheim wieder zu öffnen.

Die Ausstellung „Inka – Könige der Anden“ ist bis zum 16. März im Stuttgarter Linden-Museum, Hegelplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Sa./So. bis 18 Uhr, zu sehen. Telefon: 0711 / 20 22-3 www.lindenmuseum.de

Foto: Mumie eines Inka-Offiziers und Miniaturlama aus Goldblech, Peru, Inka-Kultur, Imperiale Phase, 15.–16. Jahrhundert: Schriftliche Aufzeichnungen, die für andere vormoderne Hochkulturen charakteristisch sind, existieren für die Inka nicht oder sind, wie die Zeugnisse der spanischen Eroberer, nur mit Vorsicht zu handhaben

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