© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Ein Konservativer auf dem Gelehrtenthron
Ein Erbe Edmund Burkes: Der englische Philosoph und Autor Roger Scruton steht für tradionelle Werte / In Deutschland ist er noch zu wenig bekannt
Felix Dirsch

Es dürfte kaum einen überzeugten Konservativen in Europa geben, dessen Œuvre vielfältiger und gelehrter ist als dasjenige des britischen Philosophen Roger Scruton. Wer unter den Protagonisten der konstitutionellen Rechten kann schon von sich behaupten, mehr als dreißig Bücher und Hunderte von Beiträgen zu den verschiedensten Themen (von Landwirtschaft über Tierrechte, Architektur und Sexualität bis zur Religion) vorgelegt zu haben und darüber hinaus noch als Volljurist eine Zulassung zum Anwaltsberuf zu besitzen?

Der 1944 geborene Scruton hätte in mehreren Metiers eine glänzende Karriere machen können. Er entschied sich für die Philosophie. So vertrat er diese Disziplin als Professor in London, Boston, Arlington (Virginia) und Washington. Mit höchsten Auszeichnungen wurde er für sein Werk geehrt. Von 1982 bis 2001 war er Herausgeber der konservativen Zeitschrift The Salisbury Review. Heute wirkt er als freier Autor.

Seine Kritik gilt vor allem Descartes

Zu Scrutons publizistischen Schwerpunkten zählt die Fundierung konservativen Denkens. Wiederkehrende Stichworte seiner Begründungsversuche lauten: Freiheit, Mäßigung, institutionelle Garantien, Geschichte, konkrete Lebenswelten, Gemeinschaft. Er nähert sich vor dem Hintergrund englischer Traditionen diesen Phänomenen an. Folgerichtig spielen Aristoteles, David Hume, Edmund Burke, T.S. Eliot und andere in seinem Konzept eine zentrale Rolle.

In „Grüne Philosophie. Ein konservativer Denkansatz“ (2013) würdigt Scruton traditionelle Prinzipien als wirksamste Mittel, den Erhalt unseres Planeten zu sichern. Lokalismus und Bürgerverantwortung kommen prioritäre Bedeutung zu. Bestanden früher Gefahren eines ungehemmten staatlichen Zugriffs, sind es heute oft schwerfällige Nichtregierungsorganisationen, die den globalen Umweltschutz nach ihrem Gusto lenken wollen – nicht selten zum Schaden der Natur.

Scruton ist einer der wenigen Gelehrten, die sich mit den Wurzeln des neuzeitlichen Denkens und seinen Konsequenzen offensiv auseinander setzen. Hierin erinnert er an renommierte Geistesgrößen wie Eric Voegelin, Leo Strauss und Panajotis Kondylis.

Scrutons Kritik gilt vor allem Descartes, der als Vater des subjektivitätsphilosophischen Paradigmas der Moderne gilt. Das „Cogito ergo sum“ des Franzosen, das eine scharfe Grenze zwischen der unmittelbaren Gewißheit des Bewußtseins und den Unsicherheiten der äußeren Eindrücke zieht, ist weithin bekannt. Der berühmte Geistesblitz ist freilich weniger harmlos, als man meinen könnte. Nicht von ungefähr standen die Werke des Descartes seit 1663 auf dem Index der katholischen Kirche. Grund genug für Scruton, tiefer zu bohren. Seine Argumentation zeigt, daß das Soziale Voraussetzung für das Ich ist und nicht umgekehrt.

Grundsätzliche Erörterungen finden sich auch in anderen Büchern Scrutons, etwa in seiner Ästhetik. Die „Krise der Geisteswissenschaften“ manifestiert sich für ihn in erster Linie darin, daß Urteile im Hinblick auf das künstlerische und kulturelle Erbe gemäß einer landläufigen Meinung keine rationale Grundlage besitzen. Schönheit, so lautet Scrutons These im Gegensatz dazu, sei real und ein kultureller Wert, fundiert in unserer Vernunftbegabtheit. Relativismus und Skeptizismus – methodische Steckenpferde antikonservativer Liberaler – werden frontal angegriffen.

Verwandter im Geiste Samuel P. Huntingtons

Bald nach den Anschlägen in New York am 11. September 2001 brachte Scruton seine Schrift „The West und the Rest“ auf den Markt. In dieser Veröffentlichung gibt er sich als Verwandter im Geiste Samuel P. Huntingtons und (wenngleich etwas entfernt) Carl Schmitts zu erkennen. Gegen eine ganze Phalanx europäischer und linksliberal-amerikanischer Kommentatoren arbeitet er die Unterschiede zwischen den freiheitlichen Traditionen Europas und der USA auf der einen Seite und den übrigen politischen Systemen auf der anderen heraus. Wer „Hingabe in Gott“ – so die Übersetzung für Islam – als obersten Wert propagiert, muß bestimmte Freiheitsrechte sowie Demokratie als maßgebliche Richtschnur leugnen. Wie Huntington ist er so realistisch, die Anzeichen für einen „clash of civilizations“ nicht als „Mythos“ (Gazi Caglar) zu verharmlosen.

Auch innenpolitisch legt sich Scruton mit den linksliberalen Gutmenschen an – nicht zuletzt im Disput über die Bewertung des Multikulturalismus, der seine gewalttätigen Auswirkungen schon öfter unter Beweis gestellt hat. Die britische Hauptstadt kann ein Lied davon singen!

Wer eher locker Geschriebenes bevorzugt, soll zur Abhandlung „Ich trinke, also bin ich. Eine philosophische Verführung zum Wein“ greifen, die dennoch Tiefgang offenbart. Der Verfasser nimmt die alte Sentenz „in vino veritas“ beim Wort.

In Deutschland ist die Rezeption des Jubilars bisher überschaubar. In den letzten Jahren erschienen immerhin kürzere Beiträge unter anderem von Ulrich E. Zellenberg, Till Kinzel und Harald Bergbauer. Sie ersetzen zwar keine detaillierte Monographie, bringen aber zumindest eine intensivere Aufarbeitung in Gang. Scruton hätte eine solche Aufmerksamkeit verdient, dürfen seine Publikationen doch mit Recht als „herausragendes Kompendium konservativen Denkens und Fühlens“ (Kinzel) gelten.

www.roger-scruton.com

Roger Scruton: Grüne Philosophie. Ein konservativer Denkansatz. Diederichs, München 2013, gebunden, 448 Seiten, 26,99 Euro

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