© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Die Freiheit des einzelnen sichern
Der Antisoziologe: Eine Erinnerung an den vor dreißig Jahren verstorbenen Helmut Schelsky
Volker Kempf

Die Soziologie stellt hohe Ansprüche an die, die sie praktizieren. Denn die Versuchung, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Gegenwart einen Anspruch auf Deutungshoheit abzuleiten, ist groß. Für Helmut Schelsky wurde die Massenuniversität zu einem Transmissionsriemen für gewagte Gesellschaftsentwürfe und er selbst darüber zum „Antisoziologen“, wie er sich nannte.

Für Schelsky war es wichtig, als Soziologe allgemein verständlich zu schreiben, um sich nicht über jene zu stellen, über die geschrieben wird. Er wurde mit seinen Texten zwar zum Rufer in der Wüste, aber zu einem, der noch immer gehört wurde. Einem Donnerschlag gleich schlug Schelskys Werk „Die Arbeit tun die anderen“ von 1975 ein. Der Titel besagt, daß eine Schar von Intellektuellen sich zu Ersatzpriestern aufspielen, nachdem auf die Kirchen kaum jemand noch hört. Die Intellektuellen-Priester lebten vom Kultur- und Wissenschaftsbetrieb, den sie immer weiter ausbauten. Heute kommt das einem bekannt vor: Programme zur Gender-Kompetenzförderung werden aufgestellt, Mittel für den „Kampf gegen Rechts“ bewilligt, und das Beauftragten- und Betreuerwesen ufert immer mehr aus. Unterdessen veranstalten die Fußtrupps Krawalle auf den Straßen und terrorisieren Andersdenkende. Im Angesicht eines entstehenden pseudointellektuellen Proletariats wird derweil händeringend nach denen gesucht, die noch die Arbeit machen.

Widerspruch zu Jürgen Habermas

Schelskys Skepsis galt schon früh einer subjektivistischen Sexualmoral. Er legte 1955 seine „Soziologie der Sexualität“ vor, welche bis zu seinem Tode am 24. Februar 1984 sein meistverkauftes Buch wurde. Dieses Buch entlarvt Alfred C. Kinseys und Simone de Beauvoirs Denken als eine pseudowissenschaftliche Doktrin. Diese sei gegen die bestehenden Institutionen gerichtet und damit umstürzlerisch. Institutionen brauche der Mensch, um sein Verhalten an ihnen orientieren zu können. Frei war für Schelsky nicht der Mensch, der geradezu zwanghaft seine Sexualität auslebt. Daß später Vertreter einer subjektivistischen Sexualmoral die Pädophilie diskutabel machten und sogar Spätabtreibungen aus dem Strafrecht streichen wollten und noch immer wollen, ist vor diesem Hintergrund betrachtet nur eine letzte Konsequenz.

Vor allem als Rechtssoziologe machte sich Schelsky einen Namen in der Fachwelt. Er betonte stets die Freiheit des einzelnen, die durch ein effektives Rechtssystem zu garantieren sei. Er warnte vor der Politisierung des Rechtswesens und geriet darüber in Widerspruch zu Jürgen Habermas, dessen „herrschaftsfreier Diskurs“ ihm voller Tücken war.

Besonders tückenreich war Schelsky, wie politische Entscheidungen durch Sprachherrschaft vorweggenommen wurden. Es ist dies ein Problem, das heute unter der Bezeichnung Political Correctness bekannt ist.

Warnung vor einem europäischen Superstaat

So beobachtete Schelsky in den siebziger Jahren eine sprachliche Anpassung der CDU an die linken Bewegungen jener Zeit. Dieser Anpassungskurs wurde von der CDU fortgesetzt, auch gegen Widerstände. Schelsky selbst sprach noch 1973 auf einem CSU-Parteitag über „Der selbständige und der betreute Mensch“ und lieferte mit seinem Aufsatz „Mehr Freiheit oder mehr Demokratie?“ eine Steilvorlage für den CDU-Wahlslogan „Freiheit statt Sozialismus“ von 1976, den Norbert Bolz in einem seiner Bücher als den intelligentesten der letzten Jahrzehnte bezeichnet. Heute gefährdet nicht zuletzt der EU-Zentralismus die Freiheit des einzelnen durch eine von Schelsky stets kritisch hinterfragte Funktionärsherrschaft. Vor einem europäischen Superstaat hatte Schelsky schon wenige Jahre nach dem Krieg in der vormals sozialdemokratischen Zeitschrift Volk und Zeit gewarnt, da sich in einem solchen Gebilde nur einzelne Völker gegen andere würden durchzusetzen versuchen. Gegen eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft formulierte Schelsky hingegen keine Einwände.

Der Marsch durch die Institutionen entfaltet seine Langzeitwirkungen und fordert Gegenkräfte immer wieder neu heraus. Schelsky, der 72 Jahre alt wurde, setzte vor diesem Hintergrund auf die jüngere, heute mittlere Generation der 1960er Jahrgänge einige Hoffnungen. Helmut Schelsky im Geiste nicht zu enttäuschen, das bleibt dreißig Jahre nach seinem Tod ein großer Anspruch.

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