© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Saatgutmultis lassen nicht locker
Genmanipulierter Mais kommt / Synthetische Biologie bringt neue Dimension der Gefährdung
Heiko Urbanzyk

Mit dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen EU und USA droht hierzulande die unkontrollierte Vermarktung von nichtgekennzeichneten gentechnisch veränderten (gv) Lebensmitteln. Während dieser weitgehend geheimen Verhandlungen überschlagen sich die Ereignisse rund um gv-Produkte und die Forschung dazu. Nach dem Patt im EU-Ministerrat am Dienstag vergangener Woche entscheidet nun die Europäische Kommission über die Zulassung von TC 1507, einer genmanipulierten Maissorte der US-Konzerne Pioneer und Mycogen. Stimmt die Kommission wie angekündigt zu, wird TC 1507 der zweite gentechnisch veränderte Mais sein, der in Europa zugelassen ist.

Ende Dezember erklärte der Europäische Gerichtshof die Zulassung des Anbaus der gv-Kartoffel „Amflora“ von BASF für rechtswidrig. Die EU-Kommission hatte die Genehmigung 2010 im Alleingang erteilt. Zuvor hielt sie gegenüber den Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten ein Gutachten der Lebensmittelbehörde EFSA zurück. Österreich und Ungarn ließen sich das nicht gefallen. Sie halten die Kartoffel für gesundheitsgefährdend. Zwar nahm BASF 2012 „Amflora“ aus finanziellen Gründen selbst vom Markt. Der Fall zeigt dennoch, wie unbedarft die EU mit ihren Kompetenzen umgeht.

2.700 Freisetzungsversuche in der Europäischen Union

Kürzlich widerrief außerdem die EFSA nach knapp zwei Jahren eine ursprünglich positive Bewertung des gv-Mais 59122 der US-Konzerne Dow und Dupont. Bienen und Marienkäfer würden nach neuen Erkenntnissen wahrscheinlich doch durch die Gifte, die der Mais selbst erzeugt, gefährdet. Umweltschützer warnen hiervor seit Jahren. Der Rückzieher der EFSA ist bisher einmalig. Die Behörde ist nicht gerade dafür bekannt, kritisch bei der Begutachtung von gv-Pflanzen zu sein. Verbraucherschutzorganisationen enthüllten in den letzten Jahren unzählige Verbindungen und Personalwechsel zwischen der EU-Behörde und der Chemie- und Gentechnikindustrie.

Einer, der bei solchen Enthüllungen an vorderster Front steht, ist Christoph Then, Geschäftsführer von Testbiotech e.V. Im Auftrag des Grünen-Europaparlamentariers Martin Häusling legte er Ende Januar seine Studie „Cyberkrieg auf dem Acker – Was blüht uns da?“ vor. Der gelernte Tierarzt verweist darauf, daß in der EU bis 2012 über 2.700 Freisetzungsversuche stattgefunden haben. Die technische Palette erstrecke sich jedoch auf nur wenige Bereiche, insbesondere die Resistenz gegen Insekten- und Unkrautvernichtungsmittel – mithin Mittel, die von den Konzernen hergestellt werden, welche die gv-Pflanzen vermarkten. Nun drohen Pflanzen, die bis zu sechs Gifte selbst versprühen. Die Gefahren für Mensch und Tier sind jedoch völlig unzureichend erforscht.

Neben bereits bekannter, aber deswegen nicht weniger berechtigter Kritik warnt Then vor einer völlig neuen Dimension der Genmanipulation: der „Synthetischen Biologie“. Sie sei darauf gerichtet, neues Leben am Computer zu programmieren und im Labor zu erwecken. Die Leistungsfähigkeit dieser Disziplin sei heute schon beachtlich. Die Synthetische Biologie wird die Natur nicht mehr brauchen, sondern selbst erschaffen. Erbgut kann am Computer programmiert und nach Belieben umgeschrieben werden. Einige Organismen der Synthetischen Biologie seien bereits marktreif oder kurz davor. So der Mais „SmartStax“ von Monsanto, dessen Einfuhr die EU-Kommission im November 2013 zur Verfütterung an Tiere freigab. Die US-Firma Intrexon arbeite sogar an der Veränderung des Erbgutes von Säugetieren. Sie hält unter anderem Patente an manipulierten Schimpansen, Hunden, Pferden und Lachs.

Freisetzungen in der EU sind in den letzten Jahren rückläufig. Im Jahr 2013 gab es in Deutschland zum erstenmal seit Jahren keine Gentechnikfreisetzung mehr. Die deutsche Scholle ist frei von Gentechnik. Monsanto begründete seinen Rückzug aus Europa mit zu hohen Hürden und der fehlenden Akzeptanz.

Aber Kritiker vermuten, daß der Saatgut- und Pestizidkonzern lediglich darauf warte, sich nach erfolgreichem Abschluß des Freihandelsabkommens mit geringeren Hürden zurückzumelden. Die USA streben an, daß bei ihnen zugelassene gv-Pflanzen ohne weitere Prüfung auch in der EU vermarktet werden dürfen.

www.martin-haeusling.eu

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