© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/14 / 28. Februar 2014

„Bombengate“ löst Richtungsstreit aus
Piraten: Eine Danksagung für die Bombardierung Dresdens bringt den linksextremen Flügel der Partei in die Defensive
Henning Hoffgaard

Wer im Lexikon nach „schlechter Öffentlichkeitsarbeit“ sucht, könnte dort auf einen Artikel zur Piratenpartei stoßen. Eigentlich wollte die Partei ihr „antifaschistisches“ Profil schärfen und rief über ihren Dresdener Stadtverband zur Unterstützung von linken Demonstrationen am Jahrestag der Bombardierung Dresdens 1945 auf. So weit, so unspektakulär. Was darauf folgte, war eine Lehrstunde zum Thema Selbstzerfleischung.

Am 13. Februar tauchte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ein Foto von zwei vermummten Frauen auf, die sich auf den nackten Oberkörper „Antifa Action“ und „Thanks Bomber Harris“ geschrieben hatten. Eine Danksagung an den britischen Luftwaffengeneral Arthur Harris, dessen Bomberflotte noch in den letzten Kriegsmonaten zahlreiche deutsche Städte dem Erdboden gleichmachte. Darunter auch Dresden. In der linksextremen Szene gehört die Danksagung an Harris seit langem fest zum Kanon.

Aber bei den Piraten? Ja, dachten sich die beiden Berliner Piraten-Politikerinnen Anne Helm und Mercedes Reichstein. Helm ist nicht irgendwer. Sie steht auf Listenplatz sieben der Partei für die Europawahl und sitzt in der Bezirksverordnetenversammlung Neuköllns. Während Reichstein, die Anfang Februar damit aufgefallen war, brennende Gegenstände auf die russische Botschaft zu werfen, ihre Beteiligung sofort eingestand, leugnete Helm ihre Teilnahme zehn Tage lang. Schließlich gab sie dem wachsenden parteinternen Druck nach und entschuldigte sich. Die Piratenpartei hat nun ein Problem: Vielen Mitgliedern ist der radikal linke Kurs des Berliner Landesverbands längst ein Dorn im Auge. Die Verhöhnung von Zehntausenden ermordeten Zivilisten hat das Faß für viele Anhänger zum Überlaufen gebracht.

Mehrere Landesverbände der Partei distanzierten sich in der vergangenen Woche von der Aktion, die mittlerweile unter dem Schlagwort „Bombengate“ läuft. „Wir lehnen die Verächtlichmachung und Verhöhnung von Opfern gewaltsamer Auseinandersetzungen ab. Dieses gutzuheißen zeugt nicht nur von einem Mangel an Empathie gegenüber den Opfern jeder Form von Gewalt, sondern auch von ideologischer Verblendung, daß es bei Gewalt doch Gewinner geben könnte. Es gibt keine besseren oder schlechteren Opfer“, teilte der bayerische Landesvorstand mit. Ähnlich äußerten sich die Vorstände in Niedersachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz.

Die Wut auf Helm und den sie deckenden Berliner Landesverband ist groß. Noch größer allerdings ist der Unmut über die Parteispitze um Thorsten Wirth. Die weigerte sich strikt, die Aktion zu verurteilen, sondern bot Helm auch noch den Platz für eine Mitteilung in eigener Sache. Dort rechtfertigte sie die Bombardierung der Stadt erneut.

Piratenchef Wirth selbst hat offenbar große Sympathie für die Aktion. Das entsprechende Foto „favorisierte“ der Parteivorsitzende über seinen Twitter-Account. Selbst nach dem Eingeständnis von Helm gab es keine Distanzierung. Öl ins Feuer goß das frühere Bundesvorstandsmitglied Julia Schramm. Sie schrieb auf Twitter: „Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber Harris, Feuer frei!“ sowie „Bomber Harris Flächenbrand – Deutschland wieder Ackerland!“

Pressesprecherin Anita Möllering versucht sich seitdem in Schadensbegrenzung. Dem Berliner Kurier und der taz warf sie vor, Helm fälschlicherweise identifiziert zu haben. Der Kurier-Journalist Gerhard Lehrke ließ die überforderte Möllering allerdings abblitzen und antwortete ihr öffentlich: „Hören Sie auf, Leute für dumm zu verkaufen.“

Neben der Bundesspitze erhält Helm nur noch von ihrem Berliner Landesverband nennenswerte Unterstützung: „Wir, der Landesvorstand der Piratenpartei Berlin, stellen uns mit aller Solidarität und Geschlossenheit hinter unsere Mandatsträgerin Anne Helm.“ Diese werde derzeit heftig bedroht und müsse um ihre Gesundheit fürchten. Tenor: Nicht die Opfer von Dresden sind Opfer, sondern Anne Helm. Alles andere grenze gefährlich an „Geschichtsrevisionismus“.

Zum ersten Mal verfängt diese Argumentation nicht mehr. Mehrere Landesverbände berichten von einer Austrittswelle. Darunter auch der ehemalige Parteichef Sebastian Nerz. Leisten kann sich die Partei das nicht. Seit Monaten befinden sich die Mitgliederzahlen im Sinkflug. Von den 35.000 Mitgliedern Mitte 2013 sind noch 29.000 geblieben. Nur 23 Prozent davon zahlen ihre Mitgliedsbeiträge. Besonders schlecht ist die Zahlungsmoral mit 13 Prozent ausgerechnet in Berlin. Nun ist guter Rat teuer. Die Thüringer Linkspartei-Politikerin Katharina König etwa schrieb: „Piraten: ‘Bomber Harris do it again’ ist längst kein Aufreger mehr.“ Wenn sie sich da mal nicht getäuscht hat.

Kommentar Seite 2

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