© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/14 / 28. Februar 2014

Immer mehr Kokain findet seinen Weg nach Deutschland
Von Mexiko ins Allgäu
Markus Brandstetter

Mexiko ist überall, also auch in Berlin und in Kempten. Mexiko mitten in Berlin sieht so aus: In fünf Berliner Aldi-Filialen wurden im Januar 140 Kilo Kokain in Bananenkisten gefunden. Einfühlsam hat die Presse sofort berichtet, daß das Kokain erstens nicht für Aldi gedacht war und zweitens den Rauschgiftschmugglern offenbar ein logistischer Fehler unterlaufen ist, was natürlich ungemein beruhigend ist. Mexiko im Allgäu gibt es auch, und zwar nicht nur in Burrito-Restaurants mit Sombreros an der Wand und nervender Mariachi-Musik, nein, im Allgäu ist der lateinamerikanische Einfluß beim Chef der Drogenfahndung in Kempten spürbar, der mit eineinhalb Kilo Kokain in seinem Spind erwischt worden war.

Dazu paßt, daß jetzt am 22. Februar in Mexiko Joaquín „El Chapo“ Guzmán von der Polizei festgenommen wurde. El Chapo heißt „Winzling“ auf spanisch, aber der Mann, der diesen Spitznamen trägt, ist zwar vom Körper her klein, aber ansonsten ist alles an ihm groß: Er war bis zu seiner Festnahme der mächtigste Drogenbaron auf der ganzen Welt und der grausamste gleich mit dazu. „Wer Kokain verstehen will, muß Mexiko verstehen“, hat der italienische Mafia-Spezialist Roberto Saviano geschrieben. Und wer Mexiko verstehen will, muß El Chapo verstehen. Ein Großteil der Substanzen, die die Amerikaner inhalieren, schlucken und spritzen, ging und geht durch die Hände von El Chapo und seinen Männern. Weil aber Mexiko die Konzernzentrale des weltweiten Drogenhandels ist, weil die mexikanischen Drogenkartelle gewissermaßen die Wall-Street-Firmen des Drogenhandels bilden und sie auch für Anbau und Logistik der kolumbianischen Kokain-Produktion zuständig sind, spielt El Chapo auch für den deutschen Drogenhandel eine wichtige Rolle.

El Chapo wird 1957 in einem Kuhdorf in den Bergen der Provinz Sinaloa in eine Bauernfamilie hineingeboren, wo er Drogenanbau und den Handel damit von der Pike auf lernt. Mit Schläue, Zuverlässigkeit und jeder Menge an Morden erkämpft er sich den Weg an die Spitze der Kartelle, heiratet viermal, hat neun Kinder, lebt aber unauffällig und zurückgezogen. 1993 wird er verhaftet, 2001 aber gelingt ihm eine wohlvorbereitete Flucht aus einem angeblichen Hochsicherheitsgefängnis, und seitdem hat er den weltweiten Drogenhandel beherrscht und konsolidiert wie keiner vor ihm. An die 60.000 Menschen wurden von 2003 bis heute in Mexiko im Zug der Kämpfe zwischen den Kartellen umgebracht.

Jetzt sitzt El Chapo wieder ein und muß richtig Angst haben, denn er soll an die USA ausgeliefert werden. Wie sagt ein alter Spruch: Lieber ein Grab in Kolumbien als eine Zelle in den Vereinigten Staaten.

Auf den Drogenhandel in Deutschland wird all das kaum eine Auswirkung haben. Die Preise werden kurzzeitig steigen, aber die Nachfrage wird stabil bleiben. In Mexiko werden alle wie zuvor ihrer Wege gehen.

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