© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/14 / 28. Februar 2014

Facebook schluckt WhatsApp
Sozialnetzwerke: Was die Übernahme von WhatsApp durch Facebook bedeutet und welche Alternativen es gibt
Markus Brandstetter

Manchmal ereignen sich noch Märchen, zum Beispiel dieses hier: 1993 kommen ein 16jähriger und seine Mutter aus der Ukraine in die USA. Sie haben kein Geld, keine Wohnung, keine Freunde und sprechen kein Englisch. Die Mutter hat ihren Koffer mit Kugelschreibern und Schreibblöcken aus der Sowjetunion vollgestopft, damit sie in Amerika keine Schreibwaren kaufen muß. Das Schicksal will es, daß die zwei in Kalifornien landen, wo sie in eine Sozialwohnung ziehen und von Stütze leben. Er putzt in einem Discounter, sie arbeitet als Babysitter.

Wenn die Mutter sich gedacht hat, sie hätte in Amerika das große Los gezogen, dann hat sie sich getäuscht, denn nach ein paar Jahren stirbt sie an Krebs. Der junge Mann ist jetzt ganz allein. Er hat Probleme in der Schule, putzt abends immer noch in seinem Discounter und träumt dabei von den Flüssen und Seen, den Wintern und Wäldern der Heimat. Obwohl seine Eltern in der Sowjetunion bettelarm waren, erinnert der Junge sich voller Sehnsucht an gute Bekannte, intensive Freundschaften und ein Leben, in dem einem wenig viel bedeutete.

Nach außen hin wirkt er wie ein gestrandeter Versager, in Wahrheit jedoch ist er intelligent, zielstrebig und fleißig. Mit Leihbüchern bringt er sich die Verwaltung von Computer-Netzwerken bei. Er wird Mitglied einer Hacker-Gruppe, besucht Kurse an der San José State University und überprüft als Praktikant die Netzwerke der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. Und dann geht er den rechten Weg, der ihm in seinem dunklen Drang wohl immer schon bewußt gewesen ist: Neun Jahre arbeitet er bei Yahoo!, einem der kalifornischen Vorzeige-Unternehmen schlechthin, damals größer und besser als Apple und der größte Name in der Welt des Internets vor Google und Facebook. Damals lernt der junge Mann alles, was es über Internet und Big Business zu lernen gibt, arbeitet Tag und Nacht und spart sich eine halbe Million Dollar zusammen.

WhatsApp änderte mit einem Schlag die Regeln

2009 kauft der junge Mann sein erstes iPhone, und da weiß er auf einen Schlag, was er fortan tun wird. Er denkt noch einmal zurück an seine Kindheit in der Sowjetunion, erinnert sich, daß dort einige wenige Menschen oft ihr Leben lang befreundet waren, weshalb sie immer wußten, was der andere tat, sich ständig trafen, miteinander redeten, diskutierten und sich unterstützten. Um informiert zu sein, um zu überleben, um in der grauesten aller kommunistischen Diktaturen ein bißchen Freude zu haben.

Und da kommt ihm die Idee: Was, wenn es einen Dienst auf dem Smartphone gäbe, durch den Menschen ständig, interaktiv und billig miteinander in Kontakt stehen könnten – überall, jederzeit und weltweit? Als diese Idee geboren ist, geht es Schlag auf Schlag.

Der erste Geniestreich ist die Wahl des Namens: What’s up? bedeutet auf englisch: Was läuft? ein üblicher Gruß zwischen jungen Menschen. Ein kleines Softwareprogramm, das man auf einem Smartphone installieren kann, heißt Application (Anwendung), kurz: App. Beides kombiniert ergibt: WhatsApp. Im Februar 2009 wird die gleichnamige Firma gegründet.

Die ersten Programmierer fangen an, aber die neue Software stürzt so oft ab, daß der junge Mann und zwei Kumpels, die früher auch bei Yahoo! waren, sich schon wieder nach Jobs umschauen. Aber die Gründer sind hartnäckig, und die Zeit arbeitet für sie. Jeden Tag werden eine Milliarde SMS-Nachrichten von Handy zu Handy um den Erdball geschickt. Diese kurzen Texte machen die Telefongesellschaften reich und die Nutzer arm, manche Dienste wie Black Berrys BBM erlauben nur Nachrichten für einen Geräte-Typ, Bilder und Filme verschicken geht gar nicht.

WhatsApp ändert all das auf einen Schlag. Das Programm kostet pro Jahr 89 Cent, also fast nichts. Es funktioniert weltweit auf allen intelligenten Handys, jeder Benutzer sieht immer, wer wann, wie und wo online ist, und die ganze Welt des Internets kann darüber verschickt werden. Nach zwei harten Jahren, während derer die Firmengründer von ihren Ersparnissen leben, kommt der Erfolg schnell und weltweit. Im Oktober 2011 wird bereits jeden Tag eine Milliarde Nachrichten über WhatsApp verschickt. Derzeit sind es gar 30 Milliarden.

Am 19. Februar besuchte der junge Mann, der übrigens Jan Koum heißt, wieder einmal das Sozialamt der Stadt Mountain View, wo er und seine Mutter vor 16 Jahren die Lebensmittelmarken erhielten. Diesmal kam er, um Milliardär zu werden. Auf den Treppenstufen des Sozialamtes unterzeichnete Koum einen Kaufvertrag: Facebook – das größte soziale Netzwerk der Welt – kauft WhatsApp für neunzehn Milliarden US-Dollar.

Warum nun soll ein Internet-Gigant wie Facebook, der sechstausend Mitarbeiter, einen Jahresumsatz von fast acht Milliarden US-Dollar und mehr als eine Milliarde Mitglieder hat und im Jahr eineinhalb Milliarden US-Dollar verdient, ein Unternehmen kaufen, das mit 50 Mitarbeitern in gemieteten Räumen ohne Firmenschild sitzt und kein Geld verdient? Die Antwort lautet: Weil WhatsApp 450 Millionen junge Nutzer hat, die darüber am Tag Milliarden Nachrichten versenden, während Facebook, dessen Mitglieder im Schnitt vierzig Jahre alt sind, kaum noch wächst. Facebook kauft nicht Umsatz und Gewinne, sondern junge Nutzer auf der ganzen Welt und nimmt einen potentiell extrem gefährlichen Konkurrenten aus dem Markt.

Das wird sich nochmal als ein sehr geschickter Schachzug erweisen.

 

Die wichtigsten Konkurrenten

Threema

Bei Threema explodieren wegen der WhatsApp-Übernahme die Anmeldungen. Die Server stehen in der Schweiz, Nachrichten werden verschlüsselt.

 

Telegram Messenger

Auch dieser WhatsApp-Konkurrent ist dem großen Marktführer nachempfunden. Größter Vorteil: Es gibt verschlüsselte Chaträume.

 

Snapchat

Mit Snapchat werden Bilder und Videos versendet, die sich nach einer Weile von selbst zerstören. Die Firma hat die Übernahme durch Facebook abgelehnt.

 

Hike Messenger

Diese indische App versendet auch Sprachnachrichten und benutzt keine Imei-Daten, macht die Handy-Identifizierung damit schwerer.

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