© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/14 / 28. Februar 2014

Rom-Pilger mit Rollator
Himmlische und irdische Liebe: Richard Wagners romantische Oper „Tannhäuser“ am Theater Plauen-Zwickau
Sebastian Hennig

Großes Theater in der kleinen Stadt: Im Wagner-Jahr 2013 hat sich das Theater Plauen-Zwickau für die Dresdner Fassung der romantischen Oper „Tannhäuser“ entschieden. Von außen ist hinter der Renaissance-Fassade des Zwickauer Ständehauses keineswegs ein Theatersaal von dieser Größe zu vermuten. Darinnen gilt’s dann ausschließlich der Kunst. Zugunsten der Ausdehnung von Zuschauerraum und Bühne sind die Möglichkeiten der Selbstinszenierung für das Publikum hier aufs äußerste eingeschränkt. Foyer und Treppenhaus erweisen sich von klaustrophobischer Enge. Vor der Garderobentheke den gegriffenen Mantel auch noch anzuziehen, ohne dabei jemanden in die Seite zu boxen, ist fast unmöglich. Aber dort, wo es im Theater wirklich drauf ankommt, befindet sich alles am richtigen Platz.

Bestimmend ist die Achtung vor dem Werk und das Vertrauen auf seine innewohnende Kraft. So wird die Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang gegeben. Das Blech im Philharmonischen Orchester Plauen-Zwickau klingt freilich etwas heiser. Ebenso scheint die erwünschte personelle Verstärkung des Opernchors auf eine Schwächung von dessen künstlerischer Ausdruckskraft hinauszulaufen. Aber es gibt Schlimmeres.

Generalmusikdirektor Lutz de Veer ist ein genauer Sachwalter von Wagners Partitur. Seine Aufmerksamkeit teilt sich gewissenhaft zwischen Orchestergraben und Bühne. Das Ballett, welches neuerdings immer mittun muß, ist hier einmal am rechten Platz. Die Choreographie des Venusberg-Personals mit Kopulationstänzen von missionarisch bis sodomitisch ist hinreichend stilisiert, daß es einerseits unmißverständlich und doch zugehörig bleibt.

Nathalie Senf und Ricardo Tamura geben einen kraftvollen Einstieg in die romantische Oper „Tannhäuser“ als Venus und Tannhäuser. Auch sie singen mit mehr Kraft als Anmut, aber insgesamt richtig und zureichend. Harfenspiel begleitet den Sänger aus einer Proszeniumsloge heraus. Ein Höhepunkt des ersten Akts ist das Sextett von Landgraf und Rittern, das sich selbst auf größeren Bühnen selten in dieser Ausgewogenheit ereignet. Dann streiten die Sänger um den höchsten Preis ihrer Liebe. Als Wolfram von Eschenbach (Hinrich Horn) sich anschickt mit seinem Sang zu beginnen, teilt Tannhäuser die Menge, um sich noch schnell von einer drallen Dirne einen Becher Bier zapfen zu lassen. Elisabeth (Katrin Kapplusch) ist schon etwas zu sehr Bühnenroutinier für diese zart angelegte Rolle. Als die aufgebrachte Ritterschaft den frevelnden Tannhäuser bedrängt, klingt ihr Schrei nicht wirklich durchdringend schmerzlich.

Kostüm, Bühnenbild und Licht sind wohlausgewogen und angenehm zu sehen. Der Bühnenboden zeigt sich im dritten Akt tatsächlich mit dürrem Laub bedeckt, wenn Wolfram singt: „Schon fällt das Laub. Die Heimkehr steht bevor.“ Stahlhelm und Sturmgewehr, noch in den Achtzigern die wichtigsten Bühnenutensilien, sind inzwischen vom Rollator abgelöst worden, mit dem die Rom-Pilger heimwärts schleichen, so invalid wie ihr Chorgesang, der sehr eifrig aber zu schwach ist.

Die reife Dame neben dem kindhaften Jüngling Wolfram wirkt fehlbesetzt, so als hätten Venus und Elisabeth irrtümlich ihre Rollenzuständigkeit verwechselt. Die Tragik der Landgrafennichte besteht nicht in einer alternden Schönheit, sondern in tödlich verletzten Mädchenträumen. Ein Gesicht läßt sich vom Maskenbildner verjüngen, eine Stimme dagegen nicht. Oft glaubt man an der Stelle, wo Tannhäuser singt: „Die Sinne schwinden mir“, nach dreieinhalb Stunden unwillkürlich zu hören: „Die Stimme schwindet mir.“ So zeigte sich zuletzt Herr Tamura bereits etwas erschöpft.

Wolfram beeindruckt mit seiner glaubhaften Treue sowohl zu den Rittern, zu Elisabeth und auch zu Tannhäuser. Diese liebende Treu hat bei Hinrich Horn ihren Aufenthalt in der Stimme, was vom Publikum mit begeistertem Applaus gewürdigt wird. Dramatisch eindrucksvoll gestaltet sich das Tauziehen um Tannhäuser zwischen Frau Venus und Wolfram. Mit dem Ausrufen des Namens „Elisabeth“ reißt der Freund den Freund der Göttin der irdischen Liebe aus den Armen. Während der Chor an diesem großen Augenblick zum Schluß fast über sich hinauswächst, geht ein wirklich schöner Theaterabend zu Ende, dessen Zauber einige kleine Kratzer nichts wirklich anhaben konnten.

Die nächsten„Tannhäuser“- Vorstellungen in Zwickau, Gewandhausstr. 7, finden am 8. März und 25. April sowie in Plauen, Theaterplatz, am 30. März und 3. Mai statt. Kartentelefon: 0375 / 27 411-4647/-4648 www.theater-plauen-zwickau.de

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