© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/14 / 28. Februar 2014

Mensch in der Revolte
Überfällige Neuentdeckung: Paulus Buschers vor einem Vierteljahrhundert erschienenes Buch „Das Stigma“
Rolf Stolz

Es ist ein Vierteljahrhundert her, daß dieses Buch herauskam. Paul Buschers „Das Stigma: Edelweiß-Pirat“ erschien 1988 im Koblenzer Verlag Siegfried Bublies. 25 Jahre danach ist es immer noch für die meisten eine Terra incognita – vollkommen zu Unrecht. Schon deshalb, weil dieses Buch eines Bündischen, der Verfolgung und Krieg überlebt hat, geschichtliche Lebenszeugnisse dokumentiert und sammelt.

Aber Buscher, Jahrgang 1928, ist mehr als ein natursehnsüchtiger Wanderer zwischen den Welten mit Edelweiß und fünfzackigem Stern: Er ist Künstler, Kamerad, Liebender, scharfer Beobachter, politisch Handelnder und Opfer der politischen Selbstversorger, Glaubender und Zweifelnder, Friedenskämpfer und Streiterreger. In keinem Buch ist tiefer und präziser ausgedrückt, was den Nationalsozialismus und den Widerstand gegen ihn ausmachte, wie kompliziert und kleinteilig die Fronten verliefen und sich veränderten. Zugleich ist „Das Stigma“ weit über den autobiographischen und historiographischen Rahmen hinaus ein Epos des Menschen in der Revolte – nur vergleichbar mit Werken wie Hans Henny Jahnns „Das Holzschiff“ oder mit Anna Seghers „Das siebte Kreuz“.

Buschers Buch hat Weite und Widersprüche, aber zugleich eine strenge Form. Es ist gegliedert in 175 Passagen, die der Autor „Stücke“ nennt. Sie folgen keiner simplen Chronologie, aber einer inneren Systematik und sind deshalb alles andere als zerstückt und ins Beliebige zerlaufend. Jahreszahlen am Rande erleichtern dem flüchtigen Leser die Orientierung, aber wer den roten Fäden aufmerksam folgt, benötigt sie nicht, um zu erfassen, welche historische Stunde gerade aufgerufen wird. Aus den autobiographischen Erzählungen formt sich ein Roman, ein moderner Roman auf der Höhe der Zeit, der welthaltigen Kunst (nicht dem marktgängigen Schund weltflüchtiger Kitschexperimente) angemessen.

Ein ungeheurer Mut zeichnet diesen Wort-Künstler aus, der alles richtig macht, weil er scheinbar alles falsch macht: Er schreibt einen nicht als Roman gekennzeichneten Roman, der prall gefüllt ist mit Tatsachen wie mit philosophischen Überlegungen und poetischen Arabesken. Er nimmt vielfältige Elemente hinein wie ein Collageur in ein Material-Bild: Zitate aus Texten von Walt Whitman bis Eberhard Koebel (tusk), Fahrtenlieder mit Noten, photographische Dokumente, dazu noch exakte Angaben in einem Anmerkungsteil, der geradezu wissenschaftlich-pädagogisch wirkt.

Denkfaule Schnell-Leser und Soforturteiler werden an diesem Buch keine Freude haben. Diejenigen, die alles nach Schema in separate Schubladen einsortieren wollen, können hier nur verzweifeln. Da ist ein Autor, der als Sohn eines SS-Mannes gegen den Vater kämpft und ihn doch zu verstehen sucht, der mit Zuneigung von Freikorps- und Rotfrontkämpfern spricht, selbst zum bald schon dissidentischen Kommunisten wird und sich weiterhin ehrfürchtig auch vor den nationalrevolutionären Wanderern ins Nichts wie Albert Leo Schlageter verneigt.

Rechte Hohlköpfe, strukturkonservative Musealfanatiker und die Antifanten-Menagerie der linken Wanderzirkusse werden dieses Buch entweder verabscheuen oder sich allenfalls ein paar ihnen passende Zitate ausborgen. Es ist ein Buch für freie Geister, für autonom Denkende unter den wenigen Oppositionellen, denen Erkenntnis, Selbstbeherrschung und Freiheitswille über alles gehen.

Paulus Buscher starb 2011 in Ko-blenz. Wie gern möchte man ihn fragen, ob die letzten Worte des „Stigmas“, die aus dem „Baikal-Lied“ stammen, sein letztes Wort an die Nachgeborenen sind: „Rettung, sie muß mir gelingen!“

Paulus Buscher: Das Stigma. Bublies Verlag, Schnellbach, 1988, gebunden, 416 Seiten, Abbildungen, 20,50 Euro

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