© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/14 / 28. Februar 2014

Twitternder Oberleutnant
Wie sich Kai Diekmann seit Jahren immer wieder neu erfindet – und dabei fester denn je im Sattel sitzt
Albrecht Klötzner

Es war eine regelrechte Metamorphose, die der wohl mächtigste Meinungsmacher Deutschlands, wenn nicht Europas, jüngst durchlebte. Mit nach hinten gegeltem Haar und glattrasiertem Kinn stieg Bild-Herausgeber und Chefredakteur Kai Georg Diekmann (49) im September 2012 in den Flieger nach Palo Alto, einer weltweiten Technologie-Hochburg im US-Staat Kalifornien.

Zurück kam nach einem dreiviertel Jahr ein anderer Mensch. Ein Mensch mit mächtigem Bart, Jeans und Pullover statt schwarzem Anzug und einer, der nun offenbar nicht mehr an die Zukunft gedruckter Zeitungen glaubt. Nicht anders ist zu erklären, daß im Sommer vergangenen Jahres per Telefon-Schaltkonferenz alle Bild-Außenredaktionen zum Verkünden der neuen Richtlinien mit Druck „geladen“ wurden.

Diekmann sagte das, was vorher bereits im Spiegel gestanden hatte, im Springer-Verlag intern wenig glaubwürdig dementiert wurde: Alle Bild-Redaktionen werden personell zur Ader gelassen. Vom Abbau von 200 Redakteursstellen war die Rede.

Es gibt keine Sekretariate mehr, die Lokalchefs, bis auf wenige Ausnahmen, werden ihres Amtes enthoben. Wer Glück hatte, durfte, zum Reporter degradiert, weiterarbeiten. Kaum eine Stunde dauerte die Ansage des Chefredakteurs. Angeblich wurde zuvor ein zweistelliger Millionenbetrag für die Kompensation der entmachteten Redakteure bereitgestellt. Es gibt Mitarbeiter, die mit sechsstelligen Summen abgefunden werden.

Bild war ab da nicht mehr die alte. „Dafür“, so Diekmann, werde der „Online-Bereich massiv ausgebaut, es gibt lediglich noch Reporter-Pools“, die von Berlin, Leipzig, Hamburg und München dirigiert werden.

Die vorher eigenständigen Redaktionen wie zum Beispiel Nürnberg, Stuttgart, Dresden, Rostock, Bremen werden nun fremdgesteuert. Zudem gibt es nun auf Diekmanns Wunsch hin ein Bild-Büro in den USA. Natürlich in Kalifornien. Das hat den Vorteil, daß 24 Stunden, rund um die Uhr gearbeitet werden kann. Rund hundert Redakteure rissen sich um den Job in den USA.

So mächtig wie Diekmann, der auch Mitglied der Atlantik-Brücke ist, dürfte bisher keiner der zwölf Vorgänger im Amt des Bild-Chefredakteurs seit 1952 gewesen sein. Diekmann ist nicht nur mit knapp 13 Jahren in dieser Funktion am längsten von allen bisherigen Bild-Chefs am Ruder. Lediglich der ehemalige Kohl-Regierungssprecher, Peter Boenisch, schaffte es von 1961 bis 1971 in ähnliche Sphären.

Diekmann duzt sich mit Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner genauso wie mit Show-Dino Thomas Gottschalk. Und er sonnt sich in seiner Machtrolle. Bei allmorgendlich stattfindenden Blattkritiken saßen neben „dem Kai“, wie er von Untergebenen genannt wird, bereits viele Minister und fast sämtliche Ministerpräsidenten, außerdem Show- und Filmstars oder Spitzensportler. In etwa zehn Minuten dürfen sie bei der Gelegenheit dem Chefredakteur ihre Meinung zum aktuellen Blatt geigen. Diekmann zeigt in diesen Situationen auch dann Größe, wenn er harsch zur Brust genommen wird. Etwa, weil ein wichtiges Thema im Blatt verschlafen oder falsch interpretiert wurde.

Diekmann bemühte sich um Wiedergutmachung für Sebnitz

Als sich allerdings der Rauch beim wohl größten Bild-Mediengau im Jahr 2000 verzogen hatte, zeigte Diekmann Reue und forcierte die Aussöhnung mit der zuvor in Schutt und Asche geschriebenen Stadt Sebnitz im Osten Sachsens.

Sein Vorgänger, Udo Röbel, hatte in mehreren bundesweiten Schlagzeilen berichtet, im dortigen Freibad sei ein Ausländerkind von Neonazis ertränkt worden. Vor den Augen anderer Badbesucher, die allesamt weggesehen hätten. Wenig später kam dann heraus, daß der Tod des Kindes nicht auf das Konto von Neonazis ging. Bild und alle anderen Zeitungen, die unisono berichteten, standen blamiert da. Chefredakteur Röbel mußte kurz darauf gehen, Diekmann kam und entschuldigte sich öffentlich. Er reiste in die Kleinstadt, verschenkte kostenpflichtigen Anzeigenplatz für Sebnitzer Imagekampagnen. Natürlich in der Bild.

Was bei Diekmann im Fall Sebnitz auf der Habenseite steht, muß allerdings dank zweier anderer Kampagnen unter seiner Führung wieder abgebucht werden: Die Rede ist von Eva Herman und Martin Hohmann. Bild beteiligte sich 2003 an der erfolgreichen Hetzjagd auf den Fuldaer CDU-Abgeordneten. Daß dies kein Ausrutscher war, zeigte sich vier Jahre später, als die Zeitung mithalf, Eva Hermans Karriere zu zerstören. Starkolumnist Franz-Josef Wagner charakterisierte die Fernsehmoderatorin und Buchautorin damals penetrant als „dumme Kuh“. Und Bild fragte in einer Überschrift: „Ist Eva Herman braun oder nur doof?“ Diese Kampagnen gehen auf Diekmanns Konto.

Diekmann wurde 1964 in Ravensburg geboren, in Bielefeld wuchs er auf. Er ging auf eine katholische Marienschule, spielte Cello und redigierte eine Schülerzeitung. Früh übt sich!

Diekmann, der Name bedeutet soviel wie Deichmann, also Wächter eines Deiches, ist mit der Bild-Kolumnistin Katja Kessler (45) verheiratet, eine Zahnärztin, die den Arzt-Kittel abwarf, um unter anderem die Lebensgeschichte von Dieter Bohlen, „Nichts als die Wahrheit“, aufzuschreiben. Beide haben vier Kinder und wohnen in einer noblen Potsdamer Villa. Von seiner Veranda aus (aber nicht nur von dort) postet er gerne Landschaftsbilder auf seinem Facebookkonto. Diekmann sammelt auch moderne Kunst. Er ist Oberleutnant der Reserve und Mitglied der schlagenden Verbindung „Münsterer Burschenschaft Franconia“. Ein Spaßvogel ist er obendrein. Als Mitgesellschafter der linken taz tritt er bei Gesellschafterversammlungen schon mal im roten Kapuzenpulli auf. Versehen mit dem eigenen Konterfei auf der Brust im Stile des lateinamerikanischen Revoluzzers Che Guevara.

Im Dauerclinch liegt er seit Jahren mit dem linken Rechtsanwalt Johnny Eisenberg. Diekmann bezeichnete den wenig liebevoll öffentlich als „Alien“, nachdem er gegen Eisenberg vor Gericht unterlag. Die taz hatte auf einer Satireseite behauptet, Diekmann hätte versucht, sich in Miami mit Leichenteilen seinen Penis vergrößern zu lassen. Der klagte auf 30.000 Euro Schmerzensgeld und verlor gegen den manchmal cholerisch auftretenden Anwalt.

Die konservative Seite von Diekmann: In seinem Buch „Der große Selbstbetrug“ rechnete er brillant mit den 68ern ab. „Heute ist der Gutmensch zur Plage geworden“, sagte Diekmann hinterher in der Welt über sein Buch. Bild-Schlagzeilen wie „Die Wahrheit über kriminelle Ausländer“ oder „Dauer-kriminelle Ausländer ausweisen“ ließen ebendiese Gutmenschen aufjaulen.

Clinch mit Eisenberg und Präsident Wulff

Und er steckt die Konkurrenz oft in die Tasche, wenn es um wirklich wichtige Themen geht. Ex-Bundespräsident Christian Wulff wurde letztlich von Bild gestürzt. Diekmann kam dem Spiegel, der ebenfalls nahe an dem Thema war, zuvor. Weltweit Furore machte das Blatt mit der Schlagzeile „Wir sind Papst“, als 2005 Joseph Ratzinger zum Oberhaupt der katholischen Kirche gekürt wurde. Kehrseite der Medaille: Bild verlor seit 1998 rund zwei Millionen Leser. Die Auflage sank von 4,5 auf nunmehr knapp 2,5 Millionen Exemplare.

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