© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/14 / 28. Februar 2014

Eine freiheitsfördernde Grundtendenz des Glaubens
Der katholische Philosoph Martin Rhonheimer arbeitet die Beziehung von Christentum und säkularem Staat jenseits aller Fundamentalismen heraus
Felix Dirsch

Zwar sind über das Verhältnis von Religion zu Politik und Moderne seit jeher hochkarätige sozialwissenschaftliche und philosophische Studien erschienen. Man darf aber annehmen, daß Zahl, Dichte und Qualität der Publikationen dazu nach der Zäsur vom 11. September 2001 noch zugenommen haben. Zu erinnern sei lediglich an Jürgen Habermas’ Rede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2001 oder an seine Diskussion mit Joseph Ratzinger in der Münchner Katholischen Akademie 2004, aber auch an die Ansprache von Papst Benedikt XVI. vor dem Deutschen Bundestag 2011.

Angesichts der Publikationsfülle, die die angebliche „Renaissance der Religion“ ausgelöst hat, kann man dankbar sein, daß mit Martin Rhonheimer ein Experte die zahllosen Veröffentlichungen in einem lesenswerten Entwurf gebündelt hat. Gleichzeitig verfolgt er maßgebliche Anregungen weiter, die besonders von zwei älteren Gelehrten stammen: So haben Rhonheimers Lehrer, der Philosoph Hermann Lübbe und der Staatsrechtslehrer Ernst-Wolfgang Böckenförde, auf pointierte Weise die Bedeutung des Christentums für die moderne Welt herausgestellt. Letzterer wenigstens indirekt durch das berühmte, nach ihm benannte Theorem; ersterer durch das Insistieren auf den Zusammenhang zwischen der Genese der neuzeitlichen Kultur und deren Flankierung durch die „Religion nach der Aufklärung“.

Unterscheidung, „was Gottes und was des Kaisers ist“

Rhonheimer gliedert seine Monographie in die Abschnitte „Geschichte – Gegenwart – Zukunft“. So wird deutlich, daß man die Vergangenheit der Relation von Religion und Politik – in den nächsten Jahrzehnten werden in Europa die nichtchristlichen Glaubensgemeinschaften erheblich an Bedeutung gewinnen – kennen muß, um ihre Zukunft abschätzen zu können. Der vom Judentum konvertierte katholische Priester zeigt, daß die Verschiedenheit von Religion und Politik im ursprünglichen Christentum bereits angelegt ist. Dem bekannten biblischen Wort von der Unterscheidung zwischen dem, „was Gottes ist“, und dem, „was des Kaisers ist“, wird eine lange Rezeptionsgeschichte zuteil.

Trotz aller Rückfälle in theokratische Modelle läßt es sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Nicht zuletzt im Investiturstreit pocht die päpstliche Richtung auf Autonomie in geistlichen Angelegenheiten. Jahrhunderte vorher differenziert bereits Augustinus zwischen „civitas dei“ und „civitas terrena“. Zu diesen Formen von (beabsichtigter oder unbeabsichtigter) innerkirchlicher Säkularität gesellt sich ein „weltlicher Säkularismus“, der sich insbesondere nach der Französischen Revolution nicht übersehen läßt.

Rhonheimer ist gegenüber manchen traditionellen Lehrmeinungen der Kirche ebenso kritisch eingestellt wie gegenüber einem säkularistischen Integralismus, dessen Ziel es ist, jegliche Meinungsäußerung von Christen aus dem politischen Diskurs auszugrenzen. Das Mitglied der Organisation „Opus Dei“ findet – ungeachtet diverser Spannungen in der Vergangenheit – viele Belege für die enge Zusammengehörigkeit von Christentum und säkularem Staat. Auffallend ist, wie sehr er basalen Konzeptionen der politischen Philosophie der Gegenwart, etwa dem epochalen Gerechtigkeitsentwurf von John Rawls, Aufmerksamkeit schenkt.

Die Auseinandersetzung mit dem Islam ist wesentlich für den Abschnitt „Zukunft“. Der Verfasser zeigt, daß nicht nur herkömmliche Hauptrichtungen dieser Religion mit moderner Wissenschaft und weltlichem Verfassungsstaat im Grunde genommen nichts anzufangen wissen, sondern sich auch heute wesentliche Strömungen zum Teil explizit weigern, ihre „primäre Identität“ von dort her zu gewinnen. Angesichts weitverbreiteter „Leisetreterei“ auch im katholischen Lager sind solche klaren Aussagen erfrischend.

Ein Exkurs über „Demokratie und Naturrecht“ rundet die Erörterungen ab. Der „katholische Liberale“ Rhonheimer wählt in seinen Darlegungen einen Mittelweg zwischen Auffassungen, wie sie von Protagonisten der althergebrachten „katholischen“ Naturrechtslehre und Staatsdoktrin verfochten werden, etwa dem österreichischen Juristen Wolfgang Waldstein, und Lehrmeinungen, die ein letztlich dem Wertrelativismus verpflichteter liberaler Katholizismus vertritt. Das wissenschaftliche Niveau der gut lesbaren Studie besticht. Man muß kein Prophet sein, um festzustellen, daß es nicht lange dauern wird, bis sie zum Standardwerk avanciert.

Martin Rhonheimer: Christentum und säkularer Staat: Geschichte–Gegenwart–Zukunft. Herder Verlag, Freiburg 2013, gebunden, 473 Seiten, 29 Euro

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