© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/14 / 28. Februar 2014

Viel Aktionismus, kaum Erfolge
Trotz UN-Konvention zur biologischen Vielfalt geht das Artensterben rasant weiter
Justus Lobeck

Der Bundeshaushalt hält seit 2009 jährlich 500 Millionen Euro für Maßnahmen zur Erhaltung der globalen Biodiversität bereit. Mit dieser finanziellen Kraftanstrengung will die Regierung sich einmal mehr als ökologischer Musterknabe profilieren. Wie bei der UN-Klimarahmenkonvention zählen die Deutschen auch bei der Umsetzung der zweiten großen Rio-Konvention von 1992, die der Bewahrung der biologischen Vielfalt des Planeten gilt, international zur jener Avantgarde, die sich der politischen Vision verschrieben hat, der Menschheit bis 2050 ein „Leben im Einklang mit der Natur“ zu ermöglichen. Die Basis dafür soll nach dem Willen der UN, die das Jahrzehnt von 2011 bis 2020 zur „Dekade der biologischen Vielfalt“ ausriefen, derzeit geschaffen werden.

Mit gewohntem Enthusiasmus hat das Bundesumweltministerium (BMU) die UN-Initiative aufgegriffen und zieht nach erst drei Jahren eine rundum positive Bilanz (Umwelt 1/2014). Eigens sei eine Geschäftsstelle eingerichtet worden, um die nationalen strategischen Ziele zur biologischen Vielfalt zu fördern und sie „gesamtgesellschaftlich“ zu vermitteln.

Im Zentrum steht dabei ein Wettbewerb regionaler Biodiversitätsprojekte. Mehr als 300 Unternehmungen haben sich bisher um das offizielle Prädikat „Ausgezeichnetes Projekt UN-Dekade Biologische Vielfalt“ beworben, 130 von ihnen mit Erfolg. Um die propagandistische Durchschlagskraft des Schutzgedankens zu erhöhen, ließ sich viel Medienprominenz einspannen, darunter die Köchin Sarah Wiener, der „Abenteurer“ Arved Fuchs oder der Sänger Peter Maffay, die als ehrenamtliche „Dekade-Botschafter“ dafür werben, möglichst wenig zu tun, zu kaufen oder zu essen, „was der Vielfalt auf diesem Planeten schadet“.

Drückt sich in diesem BMU-Aktivismus eher die Hochglanzseite der Anstrengungen um den Erhalt von Artenvielfalt aus, verschweigt Horst Korn von der Außenstelle Insel Vilm des Bundesamtes für Naturschutz die Mühen der Ebene nicht, die seit 20 Jahren mit der Aufgabe verbunden sind, den gravierenden globalen Artenschwund zu stoppen (Natur und Landschaft, 11/2013). Korn und seine Vilmer Mitarbeiter räumen in ihrer Rückschau auf die Entwicklung von den ersten Warnungen vor Artenschwund in den achtziger Jahren bis zur „Dekade“-Proklamation der UN gerade aus deutscher Sicht herbe Enttäuschungen und Frustrationen ein. Die „offensichtliche Trägheit“ bei der Umsetzung der Biodiversitätskonvention (CBD), die mittlerweile 193 Staaten unterzeichnet haben, sei gar nicht zu bestreiten.

Ebensowenig die Diskreditierung, die das CBD-Anliegen dadurch erfuhr, daß man 2002 auf einer Vertragsstaatenkonferenz ein wolkiges „2010-Ziel“ beschloß, die versprochene „signifikante Reduzierung des Verlustes an biologischer Vielfalt“ aber nicht nur nicht erreicht wurde, sondern 2010 ein forcierter Artenschwund zu registrieren war. Fast im Wochentakt veröffentlichen wissenschaftliche Zeitschriften seither alarmierende Befunde wie den unlängst in Science erschienenen Report von William Ripple (Oregon State University), der die Populationen von 75 Prozent einiger „Großräuber“-Arten, darunter Löwe, Luchs, Leopard, Puma, Wolf, Dingo und Seeotter, vom Aussterben bedroht sieht.

Die Vilmer Biologen erkennen in derartigen Rückschlägen keinen Einwand gegen die UN-Umweltpolitik. Geduld sei erforderlich, wie das Nagoya-Protokoll von 2010 beweise, das sie als eines „der größten Erfolge“ in der CBD-Geschichte verbuchen. Noch haben es nicht die notwendigen 50 Staaten ratifiziert, damit es in Kraft treten kann. Vielleicht gelinge dies auf der Vertragsstaatenkonferenz im Oktober 2014. Aber selbst wenn mehr Zeit vergehe – wichtiger sei die im Protokoll fixierte und konkretisierte Idee der „Inwertsetzung“ genetischer Ressourcen, der fairen und gerechten Verteilung der Vorteile, die sich aus ihrer Nutzung ergeben.

Annäherung zwischen Nord und Süd

Für die Staaten des Südens resultieren daraus beträchtliche Anreize zur Erhaltung ihren artenreichen Ökosysteme. Akzeptanz fänden derartige Abkommen oft nur um den Preis von Minimalkonsensen.

Indes gebe es dazu keine Alternative, da beim Wechsel von einstimmiger zur Mehrheitsabstimmung manche Staaten sich aus dem CBD-Prozeß verabschieden und Beschlüsse einfach ignorieren würden. Entscheidend sei darum, daß im CBD-Rahmen überhaupt eine Annäherung zwischen Nord und Süd erreicht worden sei und die Konsequenzen des Artenschwundes „weltweit zunehmend ins Bewußtsein der Bevölkerung gerückt“ sind.

Foto: Gebänderte Prachtlibelle: In Deutschland unter Naturschutz, der Bestand rückläufig

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