© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Lauter weiße Flecken
NPD: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe versucht zu klären, ob Bundespräsident Joachim Gauck seine Neutralitätspflicht verletzt hat
Taras Maygutiak

Vor allem in Wahlkampfzeiten erwartet man von Ministern mit ihrer staatstragenden Rolle etwas Zurückhaltung, wenn das Gefecht um die Wählerstimmen tobt. Die meisten gehören in der Regel aber einer Partei an. Teilt einer der Amtsträger einmal in Richtung des politischen Gegners aus, ist das allerdings auch keine große Sache. Die Kontrahenten würden es ja ähnlich handhaben. Dazu, wie das rechtlich abgesteckt ist, gibt es auch jede Menge Rechtsprechung.

Doch wie problematisch ist es, wenn der Bundespräsident klare politische Äußerungen in eine bestimmte Richtung macht – und das wenige Wochen vor der Wahl? In der vergangenen Woche stand vor dem 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe die mündliche Verhandlung in der Hauptsache im Organstreitverfahren der NPD gegen den Bundespräsidenten auf der Tagesordnung. Die NPD hatte geklagt, weil sie sich durch Äußerungen von Bundespräsident Joachim Gauck, die dieser im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 gemacht hatte, in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit verletzt sieht.

Stein des Anstoßes ist eine Veranstaltung Ende August vergangenen Jahres in Berlin-Hellersdorf, bei der Bundespräsident Joachim Gauck vor mehreren hundert Schülern eines Schulzentrums sprach. Dabei ging es auch um die Proteste von Mitgliedern und Unterstützern der NPD gegen ein Asylbewerberheim. Laut Medienberichten begrüßte Gauck damals die Gegendemonstrationen dort und sagte: „Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre Grenzen aufweisen und die sagen: bis hierher und nicht weiter. Und dazu sind Sie alle aufgefordert.“ Zudem soll er unter anderem in Richtung NPD gesagt haben, „sie sind unappetitlich und wir müssen sie bekämpfen“.

Das Gericht muß nun klären, ob die NPD sich zu Recht herabgesetzt fühlt und ob der Bundespräsident sowohl die Neutralitätspflicht als auch die Chancengleichheit der Parteien verletzt hat. Zwar sei eine ganze Reihe von Kompetenzen des Bundespräsidenten im Grundgesetz geregelt, „darüber hinaus werden ihm einige ungeschriebene Zuständigkeiten zuerkannt“, erläuterte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle: „Gleichzeitig enthält das Grundgesetz fast gar keine direkten Aussagen zur Art und Weise, wie der Bundespräsident seine Aufgaben erfüllen soll.“ Das Spektrum reiche vom „Staatsnotar“ und „pouvoir neutre“ (neutrale Macht) bis hin zum „politischen Mediator“ und „Hüter der Verfassung“, erklärte Voßkuhle, was bei der Abwägung berücksichtigt werden müsse. „Einigkeit besteht darin, daß der Bundespräsident nicht nur durch Autorität seines Amtes, sondern vor allem kraft seiner Persönlichkeit in Reden und Auftritten wirkt, in denen er seine Meinung kundtut, warnt, mahnt und ermuntert“, beschrieb der Gerichtspräsident das Amt des Staatsoberhauptes.

Der Prozeßbevollmächtigte der NPD, Rechtsanwalt Peter Richter, stellte die Tätigkeit des Bundespräsidenten nicht in Abrede: Natürlich dürfe dieser nicht nur Staatsnotar sein, der Gesetze unterschreibe. „Es kann aber nicht sein, daß er sich zu Gunsten oder zu Lasten politischer Parteien äußern darf“, zumal in einer Diskussionsrunde vor Erstwählern, monierte er. Dazu fehle ihm die Kompetenz. Bei Äußerungen müsse der Präsident die Verhältnismäßigkeit wahren, mahnte Richter. In dem Organstreitverfahren gebe es einige „verfassungsrechtliche weiße Flecken“ aufzuarbeiten, meinte er mit Blick auf die fehlende Rechtsprechung bei Äußerungsbefugnissen des Bundespräsidenten.

Verteidigung des Grundgesetzes als Leitlinie

Gaucks Verhalten und Äußerungen seien im übrigen kein Einzelfall und bezögen sich nicht nur auf die NPD, so Richter: „Auch bei der Alternative für Deutschland gab es eine ähnliche Vorgehensweise.“ Er bezog sich hier auf eine Äußerung Gaucks an der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Er sei „sehr dankbar“, daß es in Deutschland keine solche Partei ins Parlament geschafft habe, hatte Gauck dort wenige Wochen nach der Bundestagswahl zum besten gegeben. Dafür war er nicht nur von AfD-Sprecher Bernd Lucke heftig kritisiert worden.

Auch namhafte Verfassungsrechtler wie Christoph Degenhart aus Leipzig hatten den Bundespräsidenten damals für diese Äußerung scharf kritisiert. Es sei also „eine fragwürdige Verhaltensweise, die öfter vorkommt“, resümierte Richter. Doch kann man dem Staatsoberhaupt einen Maulkorb verpassen? Falls ja, wie könnte der aussehen? Aufschluß gebe der Amtseid des Bundespräsidenten, führte Joachim Wieland, Prozeßbevollmächtigter des Bundespräsidialamtes als Argument an: „Seine Leitlinie ist die Verteidigung des Grundgesetzes. Es gibt keinen Gesetzesvorbehalt, was der Bundespräsident reden darf.“ Das Wort sei ihm anvertraut, nicht dem Gesetzgeber.

Eines wurde deutlich in der Verhandlung, da waren sich die Prozeßparteien sogar teilweise einig: Einfach wird es für das Gericht sicher nicht, in diesem Bereich, der bislang ohne Rechtsprechung ist, eine eindeutige Linie zu ziehen. Einen Eilantrag, den die NPD nach der Gesprächsrunde in Hellersdorf eine Woche vor der Bundestagswahl eingereicht hatte, lehnte Karlsruhe damals ab. Ein Urteil in der Hauptsache wird erst in einigen Monaten erwartet.

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