© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Ein bißchen Kalter Krieg
Ukraine: Wladimir Putin hat Truppen auf die Krim entsandt, die Übergangsregierung der Ukraine spricht von einer Invasion. Westliche Politiker fordern beide Seiten zur Mäßigung auf. Welche Interessen treffen hier aufeinander? Eine Krise, zwei Blickwinkel
Thorsten Brückner / Thomas Fasbender

Thorsten Brückner, Berlin

Was wir jetzt nicht brauchen ist eine alte Konfrontation nach Art des Kalten Krieges“, warnte Amerikas Außenminister John Kerry. Kein kalter Krieg also, keine neue Konfrontation mit Rußland. Aber was sind die Interessen des Westens in der Ukraine?

Anders als noch während der Orangenen Revolution 2005, die Viktor Juschtschenko in den Präsidentenpalast spülte, der damals von der Bush-Regierung als Galionsfigur der Demokratiebewegung im Weißen Haus ein und aus ging, halten sich die Vereinigten Staaten diesmal bedeckt. Zwar erließ Präsident Barack Obama bereits Sanktionen gegen die Regierung von Viktor Janukowitsch, als die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton auf ihrer Vermittlungsmission in Kiew den Ereignissen noch hilflos hinterherhechelte.

Die EU konnte die Lücke bisher nicht füllen

Obamas Herangehensweise zeigt jedoch den relativen Bedeutungsverlust Osteuropas für die amerikanische Außenpolitik. Während sein Vorgänger George W. Bush noch einen gegen Rußland gerichteten Raketenabwehrschirm der Nato in Polen und Tschechien errichten wollte und eine Nato-Vollmitgliedschaft der Ukraine und Georgiens vorantrieb, schielt das geostrategische Auge Washingtons derzeit eher auf Südostasien und Lateinamerika.

Der Europäischen Union ist es bisher nicht gelungen, diese Lücke zu füllen. Die Ukraine-Politik der EU ist der Offenbarungseid einer gescheiterten gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Schon lange vor jener Nacht-und-Nebel-Initiative der Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands, die in Kiew mit Janukowitsch ein Abkommen schlossen, das nach wenigen Stunden und mehreren Schüssen am Maidan schon wieder obsolet war, fehlt der EU eine klare Definition der eigenen Ziele. Diese erschöpften sich in der Losung, irgendwie eine Eskalation zu vermeiden.

Die Ukraine hat für Europa keinen größeren strategischen Wert. Mit einer engeren Bindung des Landes an den Westen kann die EU nichts gewinnen, wohl aber viel verlieren. Die Ukraine ist Jahrzehnte von einem Beitritt zur Union entfernt. Gleichzeitig ist besonders Deutschland auf russisches Gas angewiesen. Ein nicht unerheblicher Teil davon fließt durch die Ukraine, die ihrerseits von russischen Lieferungen abhängig ist.

Die EU ist in der Ukraine-Frage gespalten. Einer außenpolitischen Realo-Fraktion, die eine regionale Stabilität in Mittel- und Osteuropa nur mit, aber nicht gegen Rußland zu erreichen sieht, stehen Staaten gegenüber, die ein Denken in Einflußsphären für überholt halten und die Demokratiebewegung unterstützen beziehungsweise eine historische Abneigung gegen Rußland hegen: Zusammen mit Schweden waren die ehemaligen Ostblockländer Polen, Slowakei und Litauen die Wortführer bei der Ausarbeitung des Freihandels- und Assoziierungsabkommens, das die Ukraine näher an die EU führen sollte und an dem sich im November der Konflikt entzündete. Länder wie Spanien, Italien oder Großbritannien blieben skeptisch und setzten eher darauf, nach der russischen Georgien-Intervention von 2008 das Verhältnis zu Moskau zu reparieren.

EU und USA haben seit Beginn der Auseinandersetzungen stets erklärt, daß sie alles daransetzen, die territoriale Einheit der Ukraine zu wahren. Dies wird den Westen über den Internationalen Währungsfonds einiges an Geld kosten. Ob Rußland seinerseits zur finanziellen Sanierung beiträgt, ist alles andere als sicher. An der Frage der territorialen Integrität kristallisiert sich einer der wesentlichen Interessensunterschiede zwischen dem Westen und Rußland heraus. Zwar wollen hochrangige EU-Diplomaten aus Moskau erfahren haben, daß auch Rußland die Ukraine als Gesamtstaat erhalten will. Die Politik Moskaus auf der Krim-Halbinsel läßt daran aber, zumindest was die ehemals russische Halbinsel angeht, Zweifel aufkommen und schürt Ängste, Rußland könnte womöglich auch an einer Destabilisierung des Ostteils des Landes gelegen sein.

Gerade im Hinblick auf das Freihandels- und Assoziierungsabkommen warnen EU-Diplomaten vor voreiligen Schritten. Zwar bestünde das Angebot an Kiew weiterhin. In Brüssel herrscht jedoch die Sorge, Rußland könnte sich nach seiner Niederlage vom Maidan durch die Unterzeichnung des Abkommens weiter provoziert fühlen. Debatten um eine eventuelle Nato-Mitgliedschaft der Ukraine haben sich ohnehin längst erledigt. Zwar ist das Land seit Präsident Bushs „Membership Action Plan“ ebenso wie Georgien auf dem Papier weiterhin Nato-Anwärter. Das ukrainische Parlament hat aber auf Betreiben Janukowitschs das Ziel des Beitritts 2010 aus der nationalen Sicherheitsstrategie gestrichen. Dennoch hat sich auch der gestürzte Präsident während seiner Amtszeit an jedes Komma des Nato-Ukraine-Aktions-Plans von 2002 gehalten. Weiterhin stellt die Ukraine Kontingente für Nato-Missionen wie im Kosovo und nimmt an gemeinsamen Übungen mit der Nato teil.

Experten glauben, daß diese Kooperation maßgeblich zur Entpolitisierung der ukrainischen Streitkräfte beigetragen hat: Während der Aufstände am Maidan blieb die Armee in den Kasernen. Die regionalpolitischen Konsequenzen aus den Entwicklungen in der Ukraine für die weitere Strategie von EU und Nato sind offensichtlich. Bestrebungen, Georgien näher an das Bündnis zu führen, haben auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew einen ebenso herben Rückschlag erlitten wie die Annäherung Georgiens und Moldawiens an die EU. Rußland, das bereits die moldawische Teilrepublik Transnistrien und die nordwestgeorgischen Landesteile Südossetien und Abchasien besetzt hält, kann sich momentan keinen weiteren Gesichtsverlust leisten. Ebenso wie die Ukraine rechnet Moskau die beiden Ex-Sowjetrepubliken zu seiner natürlichen Einflußzone.

 

Thomas Fasbender, Moskau

Wladimir Schirinowski, Vorsitzender der rechten Liberal-Demokratischen Partei und in der russischen Politik seit Jahren der Haudrauf vom Dienst, wußte schon am Morgen nach dem Kiewer Umsturz Bescheid. In voller Übereinstimmung mit internationalem Recht, so seine erste öffentliche Reaktion, könne Rußland jetzt beim ukrainischen Nachbarn einmarschieren und für Recht und Ordnung sorgen.

Dabei sah es in den Tagen nach der Flucht des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch aus Kiew eher so aus, als sei der Kreml von den Ereignissen auf dem falschen Fuß erwischt worden. Auf offizieller Seite herrschte in der ersten Woche jedenfalls weitgehend Funkstille.

Welle des Patriotismus erfaßt auch Putin-Gegner

Um so heftiger wurde in den Medien diskutiert. Wie würde Rußland reagieren, und vor allem: Wie sollte Rußland reagieren? Übereinstimmung gab es nur in zweierlei Hinsicht: gründliche Verachtung für den geflüchteten ukrainischen Präsidenten und eine einheitliche Bewertung der Opposition, also vor allem der den Maidan bestimmenden Kräfte, als radikal nationalistisch, wenn nicht sogar profaschistisch. Die Abschaffung des erst 2012 erlassenen Sprachengesetzes als eine der ersten Aktionen der neuen Herren in Kiew war in dieser Situation nur Öl ins Feuer, auch wenn der Chef der ukrainischen Übergangsregierung, Arsenij Jazenjuk, nicht zuletzt auf Druck der EU umgehend sein Veto gegen das Verbot von Russisch als zweiter Amtssprache einlegte.

Die Spannung im Verhältnis zum Westen ist in der russischen Öffentlichkeit mit Händen greifbar. Es ist die Stunde der intellektuellen Scharfmacher auf beiden Seiten. Russische Publizisten und Politiker stehen den westlichen Journalisten, die Putin in eine Reihe mit Gaddafi, Kim Jong-un und Stalin stellen, in nichts nach. Der Fernsehkommentator Michail Leontiew spricht nur noch von „Eurofaschisten“ und interpretiert die Integration Osteuropas in die EU als Fortsetzung von Hitlers „Drang nach Osten“.

Schon vor Jahren schwappte eine Welle des Patriotismus, die auch ausgemachte Putin-Gegner erfaßte, durchs Land. Entsprechend aufgewühlt und konfrontativ ist die Behandlung des Themas Ukraine in der Öffentlichkeit. Verglichen mit russischen Fernsehdiskussionen dieser Tage wirken deutsche Talkshows wie gleichgeschaltete Kaffeekränzchen.

Mit der Entsendung von Soldaten auf die Krim, wo Rußland für seine Schwarzmeerflotte eine große Marinebasis in Sewastopol unterhält, hat der Kreml das Heft inzwischen wieder in der Hand. Hinsichtlich der russischen Strategie und der russischen Ziele gehen die Einschätzungen allerdings auseinander. Dmitrij Trenin, Leiter des Moskauer Carnegie-Zentrums und ehemaliger Oberst der russischen Armee, sieht den Schlüssel im Szenario eines möglichen Nato-Beitritts der Ukraine.

In der Tat ist die russische Elite überzeugt, daß die globale „Grand Strategy“ der Vereinigten Staaten für das 21. Jahrhundert vorsieht, ihr Land als weltpolitischen Faktor weitestgehend zu neutralisieren. Dazu gehört das „Containment“ im Westen, also die Politik der Eindämmung, die der ehemalige amerikanische Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski Anfang der neunziger Jahre entworfen hat. Die Erfahrung seither scheint die russischen Sorgen zu bestätigen: Sämtliche osteuropäischen Länder bis auf Weißrußland, die Ukraine und Moldawien sind dem westlichen Militärbündnis angegliedert.

Ein Nato-Beitritt der Ukraine ist für Rußland eingestandenermaßen die rote Linie. Das ostslawische Herzland als Teil der US-Kommandostruktur, amerikanische Marineinfanteristen auf der Krim und Mittelstreckenraketen keine hundert Kilometer vor Kursk – ein solches Szenario ist weder dem Russen in der Provinz noch der urbanen Mittel- und Oberschichten vermittelbar. Um dies zu verhindern, nimmt der Kreml auch herbe Spannungen mit dem Westen in Kauf. Der Verlust der G8-Mitgliedschaft oder Putins internationales Image sind vor diesem Hintergrund nur Petitessen.

Pragmatiker befürworten Föderalisierung der Ukraine

Nicht slawische Bruderliebe und auch nicht russischer Imperialismus motivieren die Moskauer Entscheidungen, sondern die Furcht vor einer Nato-Ausdehnung fast bis vor die Tore der Stadt. Das Chaos nach dem Kiewer Umsturz bot die ideale Gelegenheit, rasch und unblutig einen Fuß in die Tür zu bekommen. Die Krim ist das Faustpfand, mit dem Rußland seinen Einfluß in der Ukraine sichern kann.

Wirtschaftliche Faktoren, die Zugehörigkeit zur Zollunion (Rußland, Weißrußland, Kasachstan) oder die Bedeutung der Ukraine für Putins Eurasien-Strategie hält Trenin für nachrangig. Im Gegenteil, er sieht für Rußland sogar einen „versteckten Segen“ darin, wenn der Westen das marode Milliardengrab Ukraine subventioniert.

Und wie geht es weiter? Trenin favorisiert eine verfassungsmäßige Föderalisierung der Ukraine – ein Gedanke, der unter russischen Pragmatikern viele Freunde hat. Noch sind Kiew und der Westen dagegen. Beide interpretieren eine Schwächung der Zentralregierung als ersten Schritt zur Teilung des Landes. Dabei böte die Föderalisierung des kleinen Nachbarn den Russen die Gelegenheit, ihren Einfluß durch ein enges Zusammenwirken mit dem Südosten der Ukraine zu sichern, ohne deren territoriale Integrität anzutasten.

Ein weiterer Vorschlag stammt im übrigen vom Schöpfer der amerikanischen Eindämmungsidee, Brzezinski: die allseits garantierte Neutralität der Ukraine nach dem Vorbild Finnlands zur Zeit des Kalten Krieges.

Foto: Leningrads Cowboys? Russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen haben auf der Krim eine Straßensperre errichtet. Moskau hat Spannungen mit dem Westen in Kauf genommen

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