© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

„Ich belehre nicht, ich erzähle“
Jubiläum: Peter Scholl-Latour brilliert als Grandseigneur der Weltpolitik und Tabubrecher / Am Sonntag feiert er seinen 90. Geburtstag
Jürgen Liminski

Mitte der achtziger Jahre tauchte in der Redaktion der Welt das Gerücht auf, Peter Scholl-Latour sei zum Islam konvertiert. Herbert Kremp, der damalige Chefredakteur und Freund von Scholl-Latour, erklärte den jungen Redakteuren den Sachverhalt mit einem Satz: „Meine Herren, ihr verwechselt Wissen mit Identität.“

Scholl-Latour wisse so viel über den Islam, daß unkundige Beobachter meinen könnten, er identifiziere sich mit ihm, und für schlichtere Gemüter bedeute das eben, er sei konvertiert. Journalisten sollten Wissen und Sein aber auseinanderhalten können. In der Tat, wer das nicht kann, der muß Peter Roman Scholl-Latour für einen Moslem, mal Sunnit, mal Schiit, für einen Juden, einen Maroniten, einen Orthodoxen oder sonst einen Russen, einen Araber, Afrikaner, Vietcong, Libanesen, Palästinenser, einen Chinesen, Kurden, Tartaren oder Fremdenlegionär halten, für einen Franzosen sowieso.

Begegnungen mit Menschen stehen im Vordergrund

Über all diese Völker und viel mehr hat er jahrzehntelang in Bild und Ton berichtet, unzählige Artikel und später Bücher geschrieben. Er ist ein Kosmopolit, ein Connaisseur aus eigener Anschauung, ein Gelehrter aus Erfahrung. Das macht seine Identität aus, das macht ihn zum Grandseigneur des Journalismus.

Es gibt vermutlich kein Land dieser Welt, das er nicht bereist oder aus dem er nicht mit Persönlichkeiten gesprochen hätte. Dennoch ist er kein Weltenbummler, denn er reiste nicht einfach so durch die Gegend, sondern er recherchierte, und das bedeutete für ihn immer Begegnung mit Menschen, lange Gespräche und Teilnahme an deren Leben.

Nur so kann man Land und Leute verstehen. Das ist Scholl-Latours Methode: Begegnung mit Menschen an deren Lebens- und Wirkungsstätte. Er hat die so gesammelte Erfahrung aufbereitet und in Geschichten für alle, in Beispiele des Lebens verwandelt. Sein Ansatz ist, die Mentalität der Menschen zu erkennen und in geopolitische Umstände einzuordnen. So hat er Wissen verdichtet und Denkern wie Schopenhauer widersprochen, die meinten, Journalisten seien nur Tagelöhner des Geistes.

Scholl-Latour ist Geistesarbeiter, sicher, aber nicht nur für den Tag oder die Stunde. Er sah bei seinen Berichten und Büchern die Menschen nicht nur als Akteure des Moments, er sieht auch ihre Potentiale und Perspektiven, und das hebt ihn aus der Masse der fabulierenden, kommentierenden und unreflektiert moralisierenden Journalisten hinaus. Solche Tagelöhner findet man häufig in öffentlich-rechtlichen Sendern, sie schwimmen und treiben im Mainstream.

Scholl-Latour würde sie nicht als Tagelöhner, eher als Jakobiner bezeichnen. Denn seine französisch geprägte Herkunft – der Vater in Lothringen aufgewachsen, die Mutter aus dem Elsaß, er selbst Fallschirmjäger bei einer französischen Einheit in Indochina – kultivierte er regelrecht mit einem Studium an der Sorbonne, wo er auch 1954 promovierte, nachdem er bereits drei Jahre zuvor ein Diplom am Institut National des Sciences Politiques erworben hatte.

Vielleicht ist es diese Prägung französischer Weltläufigkeit, die ihn über den kleinen Tellerrand deutscher Sorgen hinausblicken und zum Beispiel die Klimaschutzdiskussion als „Modethema“ bezeichnen läßt. Auf jeden Fall ist er kein Freund politischer Korrektheiten und ängstlicher Beachtung, daß man ja im „behaglichen Gefühl der Majorität“ verbleibe, wie Goethe schon seinem treuen Freund Eckermann das Verhalten der Mainstream-Masse beschrieb.

In einem seiner Bücher („Lügen im Heiligen Land“) gibt PS-L (so zeichnet Peter Scholl-Latour) im Vorwort einiges von sich und seinem Denken preis, wenn er schreibt: „Dieses ist ein kontroverses Buch und der Autor ist sich dessen voll bewußt. Um eine Enthüllungs-Story handelt es sich nicht, wohl aber um die Darstellung der Ereignisse im Nahen Osten, die den üblichen Schablonen der ‘political correctness’ den Rücken kehrt und sich über manches Tabu hinwegsetzt. Damit werde ich nirgendwo auf ungeteilte Zustimmung stoßen und manchen Leser schockieren. Am sogenannten investigativen Journalismus war mir nie gelegen, und noch weniger will ich mich in jene Kategorie von Rechercheuren einreihen, die die Franzosen mit dem drastischen Ausdruck ‘les fouille-merde’ bezeichnen.“

Lebenspralle Bücher statt blasse Nachschlagwerte

Das ist PS-L pur. So zieht er seine Wissensfurchen durch die Welt, so tritt er auf in Talkshows und schockiert Mitdiskutanten mit tabufreien Urteilen, gelegentlich auch mit persönlichen Zurechtweisungen. So schreibt er seit Jahren in der JUNGEN FREIHEIT.

Scholl-Latour ist eine Institution. Natürlich haben Neider und ideologisch Verärgerte versucht, sie zu schleifen. Das geschieht vorzugsweise mit angeblich wissenschaftlichen Methoden.

Aber was sind Zahlen, Statistiken, Momentaufnahmen gegen Vielfalt und Mentalitäten des Lebens? Zurück bleibt, daß die einen ein blasses, korrektes Nahost-Lexikon mit dem Vorwort eines palästinensischen Lobbyisten herausgeben und Scholl-Latour lebenspralle Bücher schreibt: „Machtproben zwischen Euphrat und Nil“, „Kampf dem Terror – Kampf dem Islam? Chronik eines unbegrenzten Krieges“, „Das Schwert des Islam – Revolution im Namen Allahs“, oder auch „Den Gottlosen die Hölle – Der Islam im zerfallenden Sowjetreich“.

Die Karawane zieht weiter, wird sich Scholl-Latour gedacht haben, als man ihn vor Jahren schon anbellte, und wird er jetzt wieder denken, wenn man erneut mit blutleeren Argumenten versucht, seine Verdienste zu schmälern. Es reicht eigentlich, sich nur mal die Liste der Auszeichnungen anzuschauen: zwei Ehrenprofessuren, Adolf-Grimme-Preis, Goldener Bambi, Goldene Kamera, Henri-Nannen-Preis, Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis für Publizisten, Ehrenlegion, Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, insgesamt ein Dutzend Auszeichnungen für sein Gesamtwerk, seine journalistischen Tugenden, seine Beiträge zur Klärung von Begriffen wie Sicherheit, Frieden, deutsch-französische Freundschaft.

In den letzten Jahren hat sich Scholl-Latour vorwiegend mit dem Zustand der „Welt aus den Fugen“ beschäftigt, mit den Schlachtfeldern der Zukunft und der „Welt in Auflösung – vor den Trümmern der Neuen Friedensordnung“. Das ist in gewissem Sinn eine Rückkehr zum gaullistischen Denken.

Sein Blick auf die Weltmacht USA bleibt kritisch, vor allem wenn es um den Nahen Osten geht. Ebenfalls kritisch, aber verständnisvoll der Blick auf Rußland. Die Entwicklung der geopolitischen Machtverhältnisse bestätigt seine Einschätzungen und bei allem bleibt er sich und seiner Methode treu. Er definiert sie selbst mit einem Wort von Michel Montaigne: „Ich belehre nicht, ich erzähle.“ Montaigne ist der erste, der in seinen „Essais“ vor knapp fünfhundert Jahren als erster den Begriff „öffentliche Meinung“ gebrauchte. Es ist wie ein Lächeln der Geschichte, daß PS-L, der jahrzehntelang den öffentlichen Diskurs in Deutschland über Frankreich und die Weltpolitik mitbestimmte, ausgerechnet Montaigne zitiert.

Der französische Landedelmann zog sich auf sein Gut zurück, um zu denken und zu schreiben und den Lauf der Geschichte zu beobachten. Scholl-Latour lebt heute zwischen Bonn, Berlin, Paris und Nizza, halb zurückgezogen, halb bereit zum Schlagabtausch. Denn die „europäische Selbstbehauptung gegenüber den Supermächten und mehr noch gegenüber dem beängstigenden Gären der Dritten Welt“ läßt ihm keine Ruhe. Man kann sich nur wünschen, daß er noch viele Jahre Geschichte erzählt. Erstmal jedoch feiert Scholl-Latour am 9. März seinen 90. Geburtstag.

Foto: Peter Scholl-Latour: Ob in der TV-Diskussion oder bei der Buch-präsentation in Frankfurt – PS-L zeigt sich stets bestens informiert

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