© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Ein Fremdkörper
Ausstellung: Skulpturen von Renée Sintenis in Berlin
Fabian Schmidt-Ahmad

Renée Sintenis – heute fast vergessen, war die Bildhauerin und Grafikerin in den „Goldenen Zwanzigern“ eine der bekanntesten Frauen der Weimarer Republik. Als scheu galt sie, die Sintenis, eigentlich ein Fremdkörper in der turbulenten Kunstszene der Zwischenkriegszeit. Doch Emil Nolde malte sie, und natürlich ihr Mann, der Maler und Illustrator Emil Rudolf Weiß. Georg Kolbe stand sie ebenso Modell, wie der Fotografin Käthe Augenstein.

Am 20. März jährt sich der Geburtstag der Künstlerin zum 125. Mal, die als eine der ersten Frauen in das von Männern dominierte Metier der Plastik eindrang – und hier zum überaus erfolgreichen Aushängeschild wurde. Anlaß genug für das Georg-Kolbe-Museum in Berlin, ihr eine rund hundert Plastiken umfassende Retrospektive zu widmen, ergänzt durch Grafik, Fotos und einen kurzen Dokumentarfilm. Ab April wird die Ausstellung im Kulturspeicher Würzburg zu sehen sein.

Eine Ausbildung zur Bildhauerin am Berliner Kunstgewerbemuseum mußte Sintenis auf Druck ihrer Familie 1910 abbrechen. Geblieben ist ihr die Abneigung gegen Monumentalplastik und ein gespanntes Verhältnis zum Vater, der seine Tochter in einem soliden Beruf sehen wollte. 1915 findet die im ländlichen Neuruppin aufgewachsene Sintenis zu ihrem Lebensthema: der Darstellung von Tieren in zumeist kleinteiligen Figuren. Ein Verkaufsschlager – wer etwas auf sich hielt, Geld und Geschmack zeigen wollte, hatte eine kleine Bronzeplastik der Sintenis auf dem Kamin.

Niemand Geringeres als der Kunsthändler und Förderer avantgardistischer Kunst Alfred Flechtheim verschaffte ihr ab 1920 den Zutritt zur höheren Gesellschaft. Die langen Haare waren da einer Kurzhaarfrisur gewichen, die ihr markantes, androgynes Profil betonte. Die Sintenis, sie wurde eines der meistfotografierten Gesichter ihrer Zeit. Die Sintenis beim Ausritt mit ihrem Pferd, beim Ausflug mit ihrem Studebaker – mit 1,80 Meter war sie für damalige Verhältnisse nicht zu übersehen. Die Riesin mit ihren kleinen Tieren, so hieß es.

Ringelnatz, ein enger Freund, knittelte Verse auf sie. Ihrerseits schuf sie, laut Legende in nur einer Stunde, einen skizzenhaft ausgeführten Porträtkopf des quirligen und stets zu Schabernack aufgelegten Dichters, der zu den besten Arbeiten der Künstlerin gehört. In der Ausstellung ist ein Bronzeguß zu sehen. 1931 schaffte sie den Sprung in die Preußische Akademie der Künste. Trotz Wirtschaftskrise produziert die Sintenis ununterbrochen. Sie ist auf dem Höhepunkt ihres Schaffens angelangt.

Erst die nationalsozialistische Kulturkatastrophe beendete die Laufbahn der Künstlerin. Wer seine schützende Hand über die Halbjüdin hielt, läßt sich nicht mehr nachvollziehen. Zwar den ärgsten Verfolgungen ausgewichen, bleibt Sintenis doch das große Publikum jetzt fern. Sie kapselt sich vom öffentlichen Leben ab, vertieft sich mit ihren Händen mehr denn je in einer anderen, unpolitischen Welt. Ihre Briefe aus dem bombenzerstörten Berlin werden zu einem erschütternden zeitgeschichtlichen Dokument werden. Ihre in der Ausstellung aneinandergereihten Selbstporträts zeichnen ihre biographische Linie nach.

1948 erhielt sie einen Lehrauftrag an der Hochschule für Bildende Künste Berlin, 1955 wurde sie dort zur ordentlichen Professorin ernannt. Doch sie kann nicht mehr an ihre früheren Erfolge anknüpfen. Abstraktion, der Bruch mit der Form, mit der Vergangenheit, mit allem – das alles ist ihr nichts. Als sie 1965 stirbt, ist sie längst zum Fremdkörper im Kunstbetrieb geworden. Der Berlinale-Bär beruht auf einer 1932 von ihr geschaffenen Kleinplastik. Auch die Berliner Bären, die an der Stadtgrenze den Autofahrer begrüßen, stammen von ihr.

Die Ausstellung „Renée Sintenis. Berliner Bildhauerin (1888–1965)“ ist noch bis zum 23. März im Berliner Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 3 04 21 44

Das Werkverzeichnis der plastischen Arbeiten Sintenis‘ erscheint voraussichtlich Ende März.

www.georg-kolbe-museum.de

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