© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Auf großer Leinwand
Kino: „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ von Arne Birkenstock
Christian Dorn

Frei nach Adorno heißt es in dieser Causa: Es gibt kein wahres Leben im Fälschen. Anlaß für das Resümee sind die parallel erscheinenden Veröffentlichungen von und über Wolfgang Beltracchi, den „Jahrhundertfälscher“ (Spiegel). Der Dokumentarfilmer Arne Birkenstock („Sound of Heimat“, JF 40/12) hat sich des Fälschers und seiner Ehefrau angenommen; ein berüchtigtes Paar, das sich – so das jüngste Zeit-Interview – zwischen Bonnie & Clyde einerseits sowie Christo und Jeanne-Claude andererseits wiederfindet. Eine Existenz zwischen den Stühlen, für die das Ehepaar einsitzen mußte: verurteilt zu sechs beziehungsweise vier Jahren Gefängnis, die der betrügerische Maler heute im offenen Vollzug verbüßt, während seine Frau inzwischen entlassen wurde.

Regisseur Birkenstock ist zugleich Sohn des Strafverteidigers der Beltracchis, weshalb dem Film vorgeworfen wird, die „Fortsetzung der Verteidigung und der erfolgreichen Imagepolitik mit filmischen Mitteln“ (FAZ) zu sein, die „charmante Inszenierung eines Meisterfälschers“ (Die Welt). Das ist zwar nicht ganz von der Hand zu weisen, spricht aber dennoch nicht gegen den Film. Schließlich begleiten die deutschen Feuilletons Beltracchis Gang in die Öffentlichkeit mit einer Welle hämischer, ja geradezu haßerfüllter Kommentare. Diese verraten vermutlich mehr über die Autoren selbst als über ihr Objekt.

Im Film „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ wird nicht nur die im Titel verheißene Technik von Wolfgang und Helene Beltracchi anschaulich gemacht. Nachvollziehbar wird auch der fast natürliche, beinahe unschuldig anmutende Weg in die Kunstfälschung: Begonnen hatte dieser mit der „Korrektur“ alter, künstlerisch eher anspruchsloser Stilleben auf Flohmärkten, deren Wiederverkauf mit menschlichen Figuren darauf eine automatische Wertsteigerung erfuhr und en passant zu einer philosophischen Reflexion anregt: Tritt der Mensch ins Bild, beginnt die Fälschung.

Da die künstlerische Qualität der Bilder eher schlecht war, so Beltracchi, habe er sich entschieden, die alten Bilder zu verbessern, indem er sie gleich selbst malte. Von dort führte der Weg zur erfundenen Herkunft der Werke aus der „Sammlung Werner Jägers“, benannt nach dem Großvater seiner Ehefrau Helene. Zu den Namen der gefälschten Künstler aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörten dann vor allem Max Ernst, Heinrich Campendonk, Max Pechstein oder Franzosen wie Georges Braque und André Derain.

Dabei empfand sich Beltracchi nicht als klassischer Fälscher. Er fertigte keine Kopien bestehender Werke. Aus seiner Sicht malte er Originale: eigene Motive, dem Werk des jeweiligen Künstlers nachempfunden – und signierte sie mit dessen Namen. Damit war die Fälschung in der Welt; einer Kunstwelt, die – so die Beltracchis – getäuscht werden wollte, weil sie von Täuschungen lebe. Die Plausibilität dieses Verteidigungsansatzes wird anschaulich in den Einlassungen der beteiligten Interviewpartner im Film. Dieser wirft damit zugleich ein exemplarisches Schlaglicht auf den Kunstmarkt und führt ihn vor als einen – ähnlich dem Aktienmarkt – rein spekulativen, nach maximaler Gewinnsteigerung organisierten Markt, dessen Beteiligte kein Interesse an der Wahrheit haben. Oder wie es der Kunstkritiker Niklas Maak (FAS) formuliert: „Alle wollten dieses Märchen glauben.“ In diesem Sinne erscheint am Ende nicht Beltracchi als der Abgestrafte, sondern der Kunstmarkt.

Begleitend zum Dokumentarfilm hat der Rowohlt-Verlag zwei voluminöse, opulent ausgestatte autobiographische Bücher von Wolfgang und Helene Beltracchi veröffentlicht: Die von Jörg Magenau herausgebenen Briefe des Paares aus der U-Haft („Einschluß mit Engeln“) und das „Selbstporträt“. Beide ergänzen den Film auf ihre je eigene Weise. Der Bericht aus der U-Haft ist eine ebenso berührende Liebesgeschichte wie ein erschreckender Tatsachenbericht über die Zustände in der Untersuchungshaft. Die Spiegel-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen hat ein Geleitwort beigesteuert, der Schriftsteller Martin Walser würdigt den Briefwechsel „als die Geburt der Literatur aus dem Geist der Einsamkeit“.

Nicht minder interessant ist die ausgreifende Lebensgeschichte Beltracchis im „Selbstporträt“. Eine der frühesten Kindheitserinnerungen, jene an die Winterbilder im Amsterdamer Rijksmuseum, spricht dabei wohl für sich: „Gern wäre ich in den Gemälden aus der Kleinen Eiszeit um 1600 verschwunden.“ So gesehen beginnt das wirkliche Leben des Wolfgang Beltracchi erst jetzt.

Helene und Wolfgang Beltracchi: Selbstporträt.

Rowohlt, Reinbek 2014, gebunden, 608 Seiten, 29,95 Euro

Helene und Wolfgang Beltracchi: Einschluß mit Engeln. Rowohlt, Reinbek 2014, gebunden, 608 Seiten, 29,95 Euro

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