© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Ein Sammelsurium von Allgemeinplätzen
Kirchen: Protestanten und Katholiken veröffentlichen ein gemeinsames Sozialwort
Gernot Facius

Die Kirchen, das geben sie selber zu, haben keine besondere ökonomische Expertise. Die Bergpredigt gibt keine Handlungsanweisung für Entscheidungen über Spitzensteuersätze und Rentenreformen. Christen können für oder gegen den Mindestlohn sein, die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung befürworten oder sie in Bausch und Bogen ablehnen. Dennoch ist es ihr gutes Recht, eine Debatte über eine „gerechte Gesellschaft“ anzustoßen. Wenn jedoch Arbeitgeber, Gewerkschaften und Parteien, einschließlich der Linken Sahra Wagenknecht, die katholischen Bischöfe und den Rat der Evangelischen Kirche (EKD) für ihr aktuelles Papier „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ loben, muß etwas falsch gelaufen sein.

Gewiß, wer würde dem, was die Autoren dieses „Sozialwortes“ formulieren und als Orientierungshilfe anbieten, nicht zustimmen wollen? Daß ungezügelte Gier schlecht sei; daß Deutschland eine „verantwortlich gestaltete Marktwirtschaft“ brauche, eine Rahmenordnung, „die die wirtschaftliche Betätigung des einzelnen und der Unternehmen letztlich in gemeinwohldienlichen Bahnen hält“; daß auch in einer wettbewerbsorientierten globalen Wirtschaft „der Primat der Politik“ gewährleistet bleiben müsse und die „Aufstiegsmobilität“ zu fördern sei, vor allem durch Bildung.

Es verdient auch Beachtung, daß der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, bei der Vorstellung der „Ökumenischen Sozialinitiative“ seine Skepsis gegenüber der von der Großen Koalition angekündigten abschlagsfreien Rente mit 63 nicht verhehlte und die von der ersten Regierung Merkel beschlossene Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre als richtigen Weg bezeichnete. Die Verführungskraft voller Kassen der Sozialversicherungen zeige sich an dem jetzt in Aussicht genommenen Senkungsvorhaben, sagte Zollitsch. So weit, so gut und so richtig.

Das ist aber schon fast alles an Konkretem, der Rest gehört, wie etwa Nikolaus Schneiders (EKD) Forderung nach einer grundlegenden gesellschaftlichen Transformation, um bedrohliche Veränderungen „menschenfreundlich und lebensdienlich“ zu gestalten, zu einem Sammelsurium von Allgemeinplätzen. Es handele sich um eine Art wirtschafts- und sozialpolitischen Koalitionsvertrag der GroKi, der großen Koalition der Kirchen, ätzt die Zeit.

Bei Licht besehen ein Dokument der Uneinigkeit

Die Kritik ist durchaus berechtigt. Sich in etwas verquastem Politikersprech zu ökonomischen Problemen zu äußern, ist derzeit das einzig ökumenisch Mögliche. In theologischen und bioethischen Fragen wie in der Bewertung der Ehe von Mann und Frau, siehe die umstrittene EKD-„Orientierungshilfe“ zum Thema Familie, driften Katholiken und Protestanten immer stärker auseinander (JF 32/13, 47/13).

Und selbst das „Sozialwort“, das an eine ähnliche, allerdings aus einem ausführlichen Konsultationsprozeß hervorgegangene evangelisch-katholische Verlautbarung im Jahr 1997 anknüpft, ist bei Licht besehen ein Dokument der Uneinigkeit. Die protestantischen Autoren, das hat der Vorsitzende der EKD-Sozialkammer, Gustav Horn, bestätigt, dächten überwiegend marktkritisch, hingegen hätten die Katholiken ein positiveres Verhältnis zur Marktwirtschaft. „Offenbar mußte aber um der Ökumene willen partout ein gemeinsames Papier her, welches sogar den Preis der Profillosigkeit in Kauf nimmt“, kommentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sie sieht sich an den Grundsatz alter Strickmütter erinnert: Zwei links, zwei rechts, zwei fallen lassen. „Warum nicht zwei Papiere? Wettbewerb hat noch niemanden geschadet.“

Unzufrieden mit dem Papier zeigen sich auch Teile des Protestantismus. So vermißt der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer eine „konsequente Generationengerechtigkeit“ und fordert eine Hinwendung zu Eigenverantwortung. Die Kirchen, verlangte der Arbeitskreis-Vorsitzende Peter F. Barrenstein (München), sollten sich stärker für die langfristigen Interessen der Gesellschaft einsetzen, man dürfe mehr erwarten als Kritik am Fehlverhalten einzelner Akteure in der Wirtschaft. Die Wirtschaft bestehe in Deutschland nicht überwiegend aus Maßlosen, sondern im Kern aus maßhaltenden, ethisch agierenden, ehrlichen Unternehmern und Mitarbeitern. Vielmehr müsse die Frage beantwortet werden, ob man den Gestaltungsspielraum für kommende Generationen noch weiter einschränken dürfe: „Von unseren Kirchen wünschen wir uns, daß sie sich ohne den Druck eines tagesaktuellen Lobbyismus schützend vor die nächste Generation stellen.“ Es reiche nicht aus, die Verminderung der Staatsverschuldung zu fordern.

Auch der Verband „Christen in der Wirtschaft“ (Wuppertal) vermißt eine besondere Würdigung der persönlichen Verantwortungsbereitschaft von Unternehmern in kleinen und mittelständischen Betrieben. Sie brächten oft große Opfer, um ihre Firmen etwa vor Entlassungen oder Insolvenz zu bewahren.

Die Bremer CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann markierte ebenfalls einen Schwachpunkt des 60-Seiten-Papiers: Adressaten seien nur „die anderen“: Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. „Und was ist mit den Kirchen selbst? So fragte Motschmann, die dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU in Bremen vorsteht. Die Kirchen seien nach dem Staat der größte Arbeitgeber in Deutschland. „Haben sie alles richtig gemacht? Wohl kaum.“ Das Urteil der evangelischen Unionspolitikerin über das Papier: „unverbindlich und mutlos“.

Im Sommer folgt ein Kongreß mit Fachleuten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Kirche. Vielleicht können bei dieser Gelegenheit, die Lücken, die die „Sozialinitiative“ hinterläßt, etwas gefüllt werden. „Mit mehr Mut und Weitblick“ (Peter F. Barrenstein).

Foto: Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der EKD (l.), und Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz: Lob und Kritik für ihre Sozialinitiative

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