© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Nur im Dienst einer verheißungsvollen Sozialidee
Verrat wird zum Widerstand: Mutmaßungen über die für Stalin spionierende AA-Sekretärin Ilse Stöbe
Oliver Busch

Ilse Stöbe, 1911 geboren im Berliner Osten, wurde im Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht wegen Landesverrats zum Tode verurteilt und mit dem Fallbeil hingerichtet. In den Annalen der Geschichte des deutschen Widerstands gegen die NS-Herrschaft kam die im KPD-Milieu der Weimarer Republik verwurzelte, früh als Informantin für Stalins Militärnachrichtendienst angeworbene Sekretärin kaum als Randfigur vor.

Erst in jüngster Zeit zieht diese Frau, die 1940 einige Monate im Auswärtigen Amt (AA) beschäftigt war und aufgrund der Freundschaft mit dem Legationsrat Rudolf von Scheliha Moskau sogar über streng geheime Vorbereitungen zum Angriff auf die Sowjetunion informieren konnte, die Aufmerksamkeit bundesdeutscher „Gedenkkultur“ auf sich. Die allerdings übertrumpft, wie es kürzlich jene CDU-Bürgermeisterin bezeugte, die den angelsächsischen Terrorangriff auf Dresden rechtfertigte (JF 9/14), seit langem den „Antifaschismus“ der DDR, so daß die Frage, die Elke Scherstjanoi in einem Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) erörtert, ob Stöbe auf einer Gedenktafel im AA geehrt werden solle, rein rhetorischer Natur ist.

„Gutachten“ über Stöbe auf schmaler Quellenbasis

In der Sache bietet die Gutachterin nichts Neues, da die nachrichtendienstliche Tätigkeit Stöbes auf „Grenzen des Aktenzugangs in Rußland“ stößt. Zudem scheue Vladimir Lota, der einzige Historiker, der in das dafür einschlägige Zentrale Archiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation vordrang, „jeden Kontakt mit deutschen Kollegen“. Juristisch betrachtet bleibt der Sachverhalt also derart ungeklärt, daß sich kein Urteil darauf stützen läßt. Aber es kommt in diesem wunderlichen „Gutachten“ auch gar nicht auf faktengesättigte Objektivität an. Entscheidend ist vielmehr das geschichtsideologisch erwünschte Resultat, die naive, um nicht zu sagen unbedarft-einfältige Kommunistin und Landesverräterin Ilse Stöbe in die AA-Widerstandsgalerie einzumeißeln.

Im reißenden Strom des großen Wertewandels, der sich seit 1968, aber radikaler noch seit dem 9. November 1989 hierzulande vollzogen hat, beruft sich die IfZ-Historikerin dabei auf das Haus-Credo der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Deren Gründervater, der SPD-Sympathisant Peter Steinbach, und sein Adlatus Johannes Tuchel, der die volkspädagogische Schau in der Stauffenbergstraße heute vermarktet, propagierten bereits in den 1980ern ein denkbar weites Konzept von Widerstand. Dieses entstand im Schatten eines von Erhard Eppler inspirierten SPD-SED-Papiers über die gemeinsame „humanistische“ Basis sozialistischer Weltanschauung. Dabei wurden neben Deserteuren, Homosexuellen, „Asozialen“, „Nörglern“ jeglicher Couleur und das unter Sowjetregie gegründete „Nationalkomitee Freies Deutschland“, vor allem aber der kommunistische Untergrund im Reich mitsamt dem Spionagenetzwerk „Rote Kapelle“ in die Gruppe der Widerständler integriert. Ja, sogar sämtliche Äußerungen von Opposition und Resistenz, die irgendwie der „Zerschlagung“ des NS-Regimes dienten, subsumierte man nach dieser Diktion unter dem Schlagwort Widerstand.

Durch solche wolkig-ahistorischen Konstruktionen ermutigt, dekretiert Scherstjanoi kreuzbrav: Was „formalrechtlich“ als Landesverrat einzustufen sei, müsse heute als legitim „gewürdigt“ werden. „Sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus politisch-ethischer Sicht ist für alle Widerständler, und damit auch für jene, die mit den Kriegsgegnern Deutschlands kooperierten, der Vorwurf des Verrats abzulehnen.“

Konsequenz ist dieser Argumentation nicht zu abzusprechen. Ein etwas kümmerliches Verständnis von Geschichte allerdings auch nicht, das sich in der impliziten Unterstellung offenbart, allein das „andere“ Deutschland einer verschwindenden Minderheit von NS-Gegnern sei das „wahre“, vom Hochsitz der BRD-Moral aus gesehen „politisch-ethisch“ einzig akzeptable Deutschland, während sie die kämpfende Volksgemeinschaft „unserer Väter, unserer Mütter“ als eine hinter Adolf Hitler gescharte „Tätergesellschaft“ kaltblütig dem Orkus der Vergessenheit übergibt.

Kommunistische Vision als Ausdruck von Humanismus

Wobei Volk und Nation natürlich nicht die Fixpunkte von ikonisierten „Widerständlern“ wie Ilse Stöbe gewesen sein dürfen. Vielmehr hingen Figuren wie diese Zuträgerin Stalins nach der anachronistischen IfZ-Lesart „humanistisch-atheistischen, proletarisch-lebensreformerischen, multikulturellen und frauenemanzipatorischen“ Vorstellungen an.

Unfreiwillig komisch und angesichts der prekären Quellenlage zudem wissenschaftlich maximal unseriös folgert Scherstjanoi daraus, Stöbe habe nicht „einen stalinistisch-totalitären Sozialismus angestrebt“, nicht etwa dem verbrecherischen Stalin-Regime gedient, sondern seinen „Kasernenstaat“ (Bakunin) für eine „verheißungsvolle Sozialidee“ gehalten. Ein eklatanter Mangel an politischer Urteilskraft müsse ihr jedoch deshalb nicht attestiert werden, da auch „gut informierte, sowjetunionerfahrene Stalinkritiker“ das sprichwörtliche Brett vor dem Kopf hatten.

Zehn Millionen NSDAP-Mitgliedern würde sie derartige Schutzbehauptungen freilich niemals durchgehen lassen, obwohl Adolf Hitler noch in seinen letzen Rundfunkreden gerade den Aufbau eines deutschen „Sozialstaats“ als antikapitalistische Herausforderung der angelsächsisch-jüdischen „Plutokratien“ deutete, die deshalb die „alternative Moderne“ des Dritten Reiches durch die Entfesselung eines Weltkrieges hätten ersticken wollen.

Auf „Hoffnungen und Utopien“ gesetzt, „Vorstellungen vom Sinn des Lebens“, von „Frieden und gerechtem Wohlstand“ angehangen und deren illusionären Charakter nicht durchschaut zu haben, ist aus IfZ-Perspektive eben nur Parteigängern der Sowjetunion zuzubilligen. Überdies geben die in Moskauer Archiven noch unzugänglichen Akten erfreulich breiten Raum für Apologie. Stöbes Widerstandsengagement, „so sieht es im Lichte der erschlossenen Fakten bislang aus“, habe sich, wie die quellenfern enthemmt fabulierende Scherstjanoi suggeriert, nicht etwa auf „stalinistische Verblendung“, auch „nicht so sehr auf kommunistischen Zukunftsvisionen, als vielmehr auf einem allgemeinen Humanismus“ gegründet.

Und dieser „muß uns heute öffentlicher Erinnerung wert sein“. Damit ist der Kreis geschlossen, von der einheitssozialistischen „Humanismus“-Phraseologie um 1985, die in den unendlich dehnbaren Widerstandsbegriff der Berliner Gedenkstätte einging, bis zu den „multikulturellen Kategorien“, in denen Stöbe angeblich dachte. Der „Patriotismus“, den Scherstjanoi für ihre Heldin reklamiert, ist daher ein verkappter „Internationalismus“. Patriotisch handelte Stöbe, weil ihr Verrat ihre Loyalität zum wahren Vaterland bezeuge, zu Stalins „humanistischer“ Sowjetunion als Vorstufe des alle Nationen auflösenden Weltstaates. Hier wird zwar viel mit der Brechstange operiert, aber zum runden Schluß steht Stöbe, der Scherstanoi sogar noch eine „kritische Geisteshaltung“ andichtet, als eine Art Blutzeugin der bundesrepublikanisch-zivilreligiösen „Weltoffenheits“-Ideologie da.

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