© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Jaron Lanier war einst ein Pionier der Digitalisierung, heutewarnt der Altmeister davor.
Kassandra des Internets
Felix Dirsch

Jaron Lanier war ein junger unbekannter Mann ohne Schulabschluß – aber er blickte in die Zukunft und das weiter als andere. Heute ist er 53, Ehrendoktor, Dozent in Yale und genießt den Ruf, ein Cyber-Pionier zu sein. Er prägte etwa den Begriff „Virtuelle Realität“ und dachte damit jene Sphäre voraus, in die sich Digitalisierung, Computerisierung und Vernetzung auch heute noch immer weiter hin-entwickeln. Lanier könnte sich auf diesen Lorbeeren ausruhen, könnte sich als Guru eine schönen neuen Welt feiern lassen, als „Technologiepopstar“ (Welt) und „wichtigster Vordenker der digitalen Zukunft“ (Spiegel). Doch der Informatiker, Künstler, Autor und Unternehmer, der bis heute den Lebensstil der Gegenkultur lebt, der er entstammt, ist zum Konservativen geworden, zur Kassandra des Internets, dem er prophezeit, zu einer „grausamen Welt“ zu werden.

Wenn Lanier heute über das Internet nachdenkt, scheint es fast, als ob es die Apokalypse sei: Er redet von „Wiki-Lynchjustiz“, warnt vor dem Cyber-Mob und vor Schwarmintelligenz und der „Weisheit der Masse“ als neuem Totalitarimus, und er spricht über die Nerds – jene mit soviel Sympathie bedachte neue soziale Figur der Internetkultur (siehe Piratenpartei) –, als seien sie die neuen Nazis: „Es ist im Grunde eine neue Religion. Diese Leute glauben an etwas Ewiges, Unsterbliches. (In ihrer Welt) bestimmen jene die Wahrheit, die am stärksten besessen sind.“

Dabei glaubte Lanier einst daran, die Welt besser zu machen. Er gehörte zu einer Avantgarde, die sich Jahr für Jahr über die Möglichkeit freute, immer ausgefeiltere Maschinen herzustellen, die eine exponentiell gestiegene Zahl von Bits und Bytes verarbeiten konnten. In der Frühzeit des World Wide Web glaubte das 1960 geborene Multitalent daran, daß die neue Technologie das Gute im Menschen stärke: „Das Internet hatte wunderbare Versprechen von Demokratie, Offenheit, von gleichem Recht und gleicher Verantwortung für alle hervorgebracht.“

Zwar betont Lanier auch heute noch die grundsätzlich positiven Errungenschaften des Internets. Und doch perhorreszierter er den Triumph der Maschine über den Menschen als den „Untergang des Abendlandes“. Fast schon mit dem Gefühl, einsamer Rufer in der Wüste zu sein, betont er in seinem Buch „Gadget“ ausdrücklich, es richte sich an Personen, nicht an Apparate. Und mit seinem nun erschienenen neuen Buch „Wem gehört die Zukunft? Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt!“ hat er ein Stück Widerstandsliteratur vorgelegt. Als Verfechter eines „neuen digitalen Humanismus“ ist Lanier – trotz des Sieges von Schachcomputer „Deep Blue“ über Garri Kasparow 1997 – optimistisch, daß das Zeitalter des Menschen noch nicht vorbei ist. Hoffen wir es mit ihm.

www.jaronlanier.com

Rezension Seite 32

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