© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Jahrhundertprojekt im Blindflug
Energiewende: Ein unveröffentlichtes Gutachten des Bundesrechnungshofes, das der „JUNGEN FREIHEIT“ vorliegt, warnt vor enormen Risiken
Paul Rosen

Die Energiewende läuft völlig unkoordiniert ab. Ministerien arbeiten mehr gegen- als miteinander. Ein Überblick, wofür Milliardenbeträge genau ausgegeben werden, existiert nicht. Das sind die dramatischen Ergebnisse eines Untersuchungsberichtes des Bundesrechnungshofes, der der JUNGEN FREIHEIT im Entwurf vorliegt. „Die Bundesregierung hat bislang keinen hinreichenden Überblick über die Auswirkungen der Energiewende auf den Bundeshaushalt“, warnt die Behörde.

Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Dieter Engels, hatte die jetzt vorliegenden Untersuchungen in einem Interview mit der Wirtschaftswoche angekündigt: „Es geht um die Frage, wohin die milliardenschweren Subventionen fließen, wie effizient sie sind, wer davon profitiert – und welche Risiken für den Bundeshaushalt das Fördersystem für regenerative Energien birgt.“ Die Risiken sind enorm. Die Mitarbeiter von Engels fanden „konzeptionelle und organisatorische Mängel von strategischen Zielen bis hinunter zu Einzelmaßnahmen“. Die Mängel seien auch mit dem nach der Bundestagswahl vorgenommenen neuen Ressortzuschnitt, bei dem das Wirtschaftsministerium die Zuständigkeit für die gesamte Energie erhielt, nicht beseitigt.

Wieso es zu diesem Durcheinander kommen konnte, in dem Bundesministerien ihre Maßnahmen „unkoordiniert und uneinheitlich“ umsetzen, hat der Rechnungshof bei seinen Recherchen herausgefunden: „Zwei der drei obersten Ziele für die Energiewende, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit, sind nicht definiert.“ Definitionen gebe es allein für die Umweltverträglichkeit. Allerdings würden die Energiekonzepte von Bund und Ländern teilweise im Widerspruch zueinander stehen, beklagen die Prüfer. Die Länder hätten zum Teil ganz andere Vorstellungen von der Energiewende als der Bund. In der Zusammenfassung ihres Berichts bescheinigen die Prüfer der Bundesregierung de facto Versagen in Fragen der Energiewende: „Ein valider Überblick über die Maßnahmen zur Energiewende fehlt.“ Die Ministerien würden daher externe Beratungsfirmen und Gutachter beauftragen, die ermitteln sollen, „welche Maßnahmen die Bundesverwaltung bisher eingeleitet hat und welchen Erfolg diese hatten“. Dabei würden von verschiedenen Ministerien beauftragte Gutachter gleiche Sachverhalte untersuchen.

Ministerien machen unvollständige Angaben

Nach Angaben des Bundesrechnungshofes war das Finanzministerium nicht in der Lage, eine zusammenfassende Aufstellung der Kosten der Energiewende vorzulegen. Die Prüfer wurden an die einzelnen Ministerien verwiesen. Bei der Recherche kam heraus, daß 2011 rund 1,9 Milliarden Euro Ausgaben anfielen und 2012 rund 1,97 Milliarden. Auch über die Einnahmen im Zusammenhang mit der Energiewende hat die Bundesregierung offenbar keine Kenntnisse. Zu Steuereinnahmen nach dem Energie- und Stromsteuergesetz sowie zu Umsatzsteuereinnahmen auf energiebezogene Umsätze habe das Finanzministerium keine Angaben machen können. Fragen nach Mindereinnahmen für den Bundeshaushalt und nach Steuersubventionen für die Energiewende konnten vom Ministerium nicht beantwortet werden.

Bei Durchsicht des offiziellen Subventionsberichts der Bundesregierung kam der Rechnungshof auf Subventionen für die Energiewende im Umfang von neun Milliarden Euro, so daß sich die direkten Haushaltsauswirkungen für die Energiewende auf etwa elf Milliarden Euro belaufen. Allerdings bezweifelt der Rechnungshof die Richtigkeit der gemachten Angaben und auch, daß die Angaben der Regierung zu dem mit der Energiewende beschäftigten Personal korrekt sind. Stichproben hätten ergeben, daß die Ministerien unvollständige Angaben gemacht hätten. Zu den bisher bekannten Beträgen kommen noch die Subventionen für Anlagenbetreiber nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von rund 21,1 Milliarden Euro 2012 sowie Förderprogramme der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau von zuletzt 22,6 Milliarden hinzu. Wie hoch weitere Umlagen wie das Netzentgelt und die Offshore-Haftungsumlage sein könnten, habe das Wirtschaftsministerium nicht angeben können, bemängeln die Prüfer.

Abgesehen von dem Durcheinander im Haushaltsbereich, ist die Konzeptlosigkeit erschreckend, was der Bundesrechnungshof etwas zurückhaltend als „fehlende Definitionen für Ziele der obersten Ebene“ beschreibt. Zwar gebe es bei der Umweltverträglichkeit eine Reihe von nachgeordneten Zielen, aber die Bundesregierung definiere nicht, wie Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit bestimmt seien, so daß es zu Zielkonflikten kommen müsse: „So ergibt sich ein Zielkonflikt zwischen Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit beispielsweise daraus, daß bislang allein mit erneuerbaren Energien noch nicht die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann, die mit konventionellen Kraftwerken möglich ist. Ein Zielkonflikt zwischen Umweltverträglichkeit und Bezahlbarkeit ergibt sich daraus, daß durch die Förderung erneuerbarer Ener-gien im Wege des EEG die Strompreise für den Endverbraucher gestiegen sind.“

Mehrfach arbeiteten die Ministerien laut der Ermittlungen gegeneinander. So wurde das Verkehrs- und Bauministerium in der vergangenen Legislaturperiode an verschiedenen Planungen von den federführenden Ministerien Wirtschaft und Umwelt nicht beteiligt, obwohl es um Fragen der Gebäudedämmung ging. Die Rechnungsprüfer gehen davon aus, daß die Berechnungsgrundlagen der Bundesregierung in diesem Bereich unzutreffend sind. Die Berechnungsgrundlagen für die Zielerreichung werden generell in Zweifel gezogen, denn für alle wesentlichen Ziele würden die Ausgangswerte fehlen: „Monitoring im Sinne einer Erfolgskontrolle ist so nicht möglich. Dies birgt auch das Risiko, daß die Bundesregierung in Maßnahmen investiert, die nichts oder wenig zu den tatsächlichen Zielen beitragen“, warnen die Prüfer. Hintergrund ist, daß Ziele wie der Wärmebedarf (minus 20 Prozent bis 2020) oder der Primärenergiebedarf im Gebäudesektor (minus 50 Prozent bis 2050) nur in Prozentwerten angegeben werden. Ausgangswerte in absoluten Zahlen stehen nicht zur Verfügung, so daß keine Fortschrittsberechnungen möglich sind.

Der Bundesrechnungshof steht mit seiner Kritik nicht allein. So hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresbericht 2013/2014 zu der vor zwei Jahren von Schwarz-Gelb ausgerufenen beschleunigten Energiewende festgestellt: „Dieses Großprojekt wird derzeit ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept verfolgt.“ Auch die Monopolkommission hatte auf Widersprüche und Zielkonflikte hingewiesen, „so daß die Verfolgung eines Ziels die Erreichung eines anderen Ziels gefährden oder unmöglich machen kann“. Zuletzt hatte die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) dem Erneuerbare-Energien-Gesetz einen regelrechten Blackout bescheinigt: „Das EEG sorgt also nicht für mehr Klimaschutz, sondern macht ihn deutlich teurer.“

Kommentar Seite 2

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