© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Zeitbombe aus Sperrholz
Berlin: Während Flüchtlinge auf dem Oranienplatz feste Hütten errichten, streiten die Politiker weiter
Lion Edler

Es kommt, wie es kommen mußte. Nachdem sich die Berliner Politik monatelang nicht willens zeigte, ein illegales Flüchtlingslager auf dem Kreuzberger Oranienplatz zu räumen, spitzen sich die Verhältnisse in der Siedlung immer mehr zu: mangelnde Hygiene, offene Stromkabel, akute Brandgefahr und eine drohende Rattenplage. Auch Drogenhandel und Attacken der Zeltbewohner auf Fahrkartenkontrolleure zeigen deutlich, daß sich die Bewohner des Lagers an keinerlei Recht und Gesetz gebunden fühlen. Seit über einem Jahr existiert auf dem Oranienplatz vor aller Augen ein politisch geduldeter rechtsfreier Raum. SPD und Grüne hatten die Räumung nach lauem CDU-Widerstand verhindert, weil Linksextremisten für den Fall der Räumung mit massiver Gewalt gedroht hatten. Sie wolle ja auch die Räumung, sagte die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, doch wenn man dies mit Zwang durchsetze, drohe die „totale Eskalation“.

Derweil ersetzen die Flüchtlinge ihre Zelte durch den Bau von kleinen Bretterbuden. In den bislang rund 25 Hütten ist es wärmer als in den Zelten. Außerdem ahnen die Platzbewohner, daß die Zelte bald nicht mehr reichen werden für die Bewohner, deren Zahl von derzeit 72 zum Ende des Monats auf rund 200 ansteigen könnte. Denn die vorübergehende Aufnahme von vielen Bewohnern in einem früheren Seniorenheim der Caritas und in einem Flüchtlingsheim in Marienfelde soll nur bis zum 31. März fortgeführt werden.

Die Hütten sind lebensgefährlich, warnt der Sachverständige Diplom-ingenieur für Gebäudeschäden, Helge-Lorenz Ubbelohde. „Hier wird nicht eine einzige Brandschutzvorschrift berücksichtigt“, sagte er der Berliner Morgenpost. Allein schon aus Gründen des Brandschutzes sei eine sofortige Räumung unumgänglich. Neben Fluchtwegen und Zugängen für die Feuerwehr fehle es an hinreichenden Sicherheitsabständen. „So wie die Hütten da stehen, hätte die Feuerwehr überhaupt keine Chance, einen Brand zu löschen. Und bis die da ist, läge ohnehin wohl schon das ganze Camp in Schutt und Asche“, warnte der Experte. Für die Baukammer Berlin ist der Fall damit klar: „Die Anlage entspricht nicht den öffentich-rechtlichen Vorschriften, und die Bauaufsicht steht in der Verantwortung“, heißt es in einer Stellungnahme. Auf dem Oranienplatz werde sehenden Auges eine Verletzung elementarer Sicherheitsvorschriften in Kauf genommen.

Linkspartei warnt vor Rechtsextremisten

Auch diese Warnungen führen in der Berliner Politik nicht zu einem Aufschrei. Der von Bürgermeisterin Herrmann regierte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg finanziert dem illegalen Lager indessen die Heiz- und Nebenkosten. Allerdings stoßen die Hütten sogar Herrmann sauer auf. „Das irritiert mich schon sehr“, sagte die Grünen-Politikerin. „Warum führen Teile der Flüchtlingsgruppen Verhandlungen mit Frau Kolat und bauen dann hinter ihrem Rücken Hütten?“ Dennoch hat Bausenator Michael Müller (SPD) keine rechtlichen Einwände gegen den Bau der festen Unterkünfte. Es bestünde bei eingeschossigen Bauten unter zehn Quadratmetern Grundfläche keine Genehmigungspflicht, zitiert ihn die B.Z.

Nur von wenigen CDU-Politikern, überwiegend aus der zweiten Reihe, kommt vorsichtige Kritik. „Wenn es da brennt, kommt keiner rein und keiner raus“, so der Kreuzberger Unionsabgeordnete Kurt Wansner. Das Lager müsse „trotz politischen Widerstands“ sofort geräumt werden. Innensenator Frank Henkel (CDU) hatte Anfang Januar versucht, mit einem Ultimatum das Bezirks-amt zur Räumung des Oranienplatzes zu bewegen. Doch er wurde von Klaus Wowereit ausgebremst, der stattdessen Arbeits- und Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) beauftragte, eine Verhandlungslösung mit den Flüchtlingen zu erreichen. Doch die Gespräche mit diversen Flüchtlingsorganisationen treten offenbar auf der Stelle. In der Union, die Wowereits Machtwort gegen Henkels Räumungspläne als Niederlage empfindet, wächst die Unruhe. „Wir braten keine Extrawürste für Menschen, die sich gegen das Gesetz stellen“, sagte CDU-Innenexperte Robbin Juhnke. Es könne nicht sein, daß der Senat für einige hundert Flüchtlinge „in massiver Weise Ausnahmetatbestände vom bundesweit geltenden Aufenthaltsrecht schafft“. Doch diese Extrawurst besteht längst durch den vor aller Öffentlichkeit existierenden rechtsfreien Raum.

Auf dem Oranienplatz spitzt sich die Lage unterdessen immer weiter zu. Nachdem Mitte Februar ein Toilettencontainer abbrannte und das Infozelt der Platzbewohner mit einer übelriechenden Flüssigkeit beschmutzt hat, ermittelt der Staatsschutz, ob hinter diesen Vorfällen politische Motive stecken. Nun bezahlt der Bezirk einen Sicherheitsdienst für das illegale Lager, der die Bewohner vor Überfällen schützen soll. Für die Linkspartei sind die Vorfälle indessen willkommener Anlaß, abzulenken und die Forderung nach einer Räumung zu diskreditieren: „Henkel sollte das Camp vor möglichen Anschlägen durch Rechtsextremisten schützen, anstatt wie seine CDU-Hardliner über eine Räumung zu phantasieren“, polterte der Berliner Linken-Sprecher für Inneres, Partizipation und Flüchtlinge, Hakan Taş.

Kommentar Seite 2

Foto: Bewohner des Oranienplatzes errichten eine Hütte: Keine Fluchtwege, fehlende Sicherheitsabstände

 

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