© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

„Der Weg zur Universität steht jedem offen“
Bildungspolitik: Laut einer Studie ist das traditionelle dreigliedrige deutsche Schulsystem durchlässiger als vielfach behauptet
Christian Schreiber

Für viele Eltern ist es eine bittere Niederlage, wenn ihre Kinder nach der Grundschule nicht aufs Gymnasium gehen können. Das deutsche Schulsystem stand über Jahre in dem Ruf, undurchlässig zu sein. Dabei besteht zur Resignation gar kein Grund. Denn eine Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit hat nun das Gegenteil festgestellt. Auch ohne den direkten Weg an ein Gymnasium ergeben sich für Schüler langfristig keine Nachteile.

Die Arbeit dreier Wirtschaftsprofessoren widerspricht demnach der verbreiteten Kritik, das mehrgliedrige deutsche Schulsystem verteile die Schüler zu früh auf unterschiedliche Schulformen und schränke auf diese Weise die Bildungschancen von Spätentwicklern ein, heißt es in dem Bericht. Analysiert wurden Zensus- und Sozialversicherungsdaten der Geburtsjahrgänge 1961 bis 1976. „Unsere Studie zeigt, daß damit nichts verloren ist. Der gute Realschüler kann es zum Chefarzt, zum Professor oder zum Manager bringen“, bestätigt Patrick Puhani. Der 40 Jahre alte Wirtschaftswissenschaftler ist Lehrbeauftragter an der Universität Hannover. Er ist Koautor der Bildungsstudie „The long-term effects of early track choice“, die vor kurzem vorgestellt wurde. Darin heißt es; „Die Stärke des dreigliedrigen Systems liegt darin, daß die Lerninhalte auf die unterschiedlichen Begabungen der Schüler abstellen.“

Das deutsche System verteile die Kinder sehr früh auf verschiedene Formen, was in dieser Form international sonst nicht vorkäme. Doch das bedeute nicht die Zementierung der Lebenschancen der Kinder. Langfristig fanden die Wissenschaftler bei guten Realschülern und Gymnasiasten keine Unterschiede bei den durchschnittlich erreichten Bildungsabschlüssen, der Beschäftigungsquote und dem erzielten Erwerbseinkommen. „Wir sind kein Staat, der die Kinder im Alter von zehn Jahren auf verschiedene Schulformen verteilt und damit zementiert, was aus einem Kind wird, so nach dem Motto: Der Hauptschüler kann für immer nur ungelernte Hilfskraft sein, der Gymnasiast wird erfolgreicher Akademiker“, sagt Puhani.

Realschüler, deren Leistungen beim Wechsel von der Grundschule auf die weiterführende Schule unterschätzt wurden, können nach der neunten Klasse auf das Gymnasium wechseln. Die Möglichkeit des späten Schulwechsels werde häufig übersehen, schreiben die Autoren. Gymnasiasten hätten zwar zunächst die besseren Aussichten auf eine Stelle, niemand hindere aber leistungsstarke Real- und Hauptschüler am Aufstieg zu denselben Einkommensmöglichkeiten.

Bisher hätten in der Debatte sehr stark soziologische Analysen eine Rolle gespielt. Dies sei aber eine falsche Annahme gewesen: „Ein Hauptschüler tut sich aber nicht deshalb schwer, weil er auf der Hauptschule ist, sondern weil er von zu Hause her nicht die Unterstützung hat wie andere Schüler“, erklärt Puhani. Es bringe daher nichts, die Hauptschule abzuschaffen. Ein schwacher Schüler tue sich auf einer anderen Schule nämlich genauso schwer.

Aufklärungsarbeit bei den Eltern

Untermauert wird diese Theorie mit der Tatsache, daß der Staat je Hauptschulplatz mehr Geld ausgibt als für einen Realschul- oder Gymnasialplatz. Statt fortwährend das System umzubauen und neue Schulformen zu etablieren, sei es besser, das bestehende und etablierte System zu optimieren. Wenn die Politik die Hauptschule abschaffen wolle, müsse sie sicherstellen, daß in der neuen Schulform genug Lehrer oder Sozialarbeiter vorhanden seien, um die schwächeren Schüler zu fördern. Sonst werde das Ende der Hauptschule ein unsoziales Sparpaket zu Lasten der Schwächeren.

Statt dessen empfiehlt die Studie, die Durchlässigkeit des Bildungssystems noch weiter auszubauen. Es sei bei den Eltern Aufklärungsarbeit zu leisten, daß Kinder die Schulform wechseln könnten, denn nicht jedes Kind entwickle sich gleich. Von daher sei es nachvollziehbar, daß man auch weiterhin eine Differenzierung nach vier Grundschuljahren vornehme. Gerade Hauptschüler müsse man aber noch stärker fördern und sie auf ihre Bildungschancen aufmerksam machen. „Denn der Weg zur Universität steht in Deutschland eigentlich jedem offen“, sagt Studien-Autor Puhani.

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