© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Putin, Panzer und eine Prostituierte
Krim-Konflikt: Beim Versuch, auf die Halbinsel zu gelangen, gab es außer Schlägen auch Speck, einen Orden sowie ein zweifelhaftes Angebot
Billy Six

Reise per Anhalter durch die Ukraine: 1.010 Kilometer vom westlichen Lemberg ins südliche Tsiurupinsk. Schon der oberflächliche Eindruck genügt, um zu ersehen, welche Hürden für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine bestehen: aufgerissene Straßen, leere Fabriken aus Sowjetzeiten, Müllverbrennung auf den Feldern. Und doch gibt es hier einige Menschen, die viel Geld zu besitzen scheinen. Ihre Villen stehen oft sogar in direkter Nähe der ärmlichen Plattenbauten. Statt westlicher Segregation herrschen noch immer Ansätze postsowjetischer Gleichheitsideale. Dies trifft ebenso auf den Zustand der russisch-ukrainischen Mischgesellschaft im Innern zu. Auch jene Nachbarn, die sich nicht leiden können, wollen eines nicht: Krieg.

„Raus mit dir, du bist ein Faschist!“

Pablou Ursul, ein Chef-Ingenieur in der Nähe zum Rentenalter ist russischer Muttersprachler mit rumänischen Wurzeln und ukrainischem Paß. Auch er sieht den abgesetzten Präsidenten Janukowitsch als Dieb am Staatseigentum: „Ich will Recht und Gesetz wie in Europa, aber nicht die EU“, meint Pablou. Dem russischen Präsidenten wirft er Großmachtstreben vor – zum Schaden der Menschen in der heutigen Ukraine. „Wenn die Krim unabhängig werden will, bitte schön! Aber dann sollen sie auch das Süßwasser aus dem Dnjepr bezahlen, von dem ihre Landwirtschaft lebt. Und ob Moskau noch die Subventionen bezahlen wird, die bisher jedes Jahr aus Kiew kamen, glaube ich nicht. Bestenfalls werden sie eine Teilrepublik der Russischen Föderation, wo die Zentralmacht alle Rechte, aber keine Pflichten hat.“

Vitali, ein Frachtunternehmer und Schiffskapitän mittleren Alters sieht das anders: „Wir sind ein slawisches Volk. Außer die Katholiken im Westen, die eine demokratisch gewählte Regierung weggeputscht haben, stehen wir alle zusammen.“ Die neue Regierung in Kiew bestehe aus „russenhassenden Faschisten“. Vitali: „Ich hoffe, Putin zieht die Sache durch. Durch seine vollendeten Tatsachen verhindert er einen Bürgerkrieg.“

Südlich der Stadt Tsiurupinsk haben ukrainische Freiwillige Betonblöcke auf die Straße gefahren. Mit Leuchtwesten und -stäben ausgestattet, beginnen sie damit, Kontrollen durchzuführen. Speziell in Bussen würden gewaltbereite russische Provokateure, „Titjuschki“ genannt, in die südöstlichen Städte der Ukraine fahren. Ich darf in ihrem Zelt übernachten.

Kurz nach sechs Uhr am Morgen hält, wie telefonisch verabredet, ein Bus, dessen Fahrer bereit ist, einen westlichen Ausländer zur Krim mitzunehmen. Gute hundert Kilometer geht es durch eine kaum bewohnte neblige Ebene. Der letzte Kontrollpunkt der ukrainischen Armee macht einen erbärmlichen Eindruck: Zwei Schützenpanzer stehen rechts und links der Straße, dazu eine Handvoll verloren wirkender Soldaten. Es ist kaum vorstellbar, daß sie den entgegenkommenden Truppen gewachsen wären.

Sieben Kilometer weiter: Der Bus hält etwa fünf Kilometer vor der ersten Krimstadt Armjansk. Ein blau uniformierter Mann mit schwarzer Strumpfmaske tritt ein und bittet um den Nachweis der Identität. Er ist groß, muskulös und dick. Als er meinen deutschen Reisepaß in den Händen hält, heult er laut auf. „Raus mit dir“, ruft er. „Bitte tut ihm nichts“, versucht der Busfahrer noch zu vermitteln; er wird jedoch aufgefordert, mein Gepäck zu entladen und die Fahrt sofort ohne mich fortzusetzen. Mein Rucksack wird systematisch auseinandergenommen. Die Kamera, der Laptop reizen die Bewaffneten.

Der Maskierte verpaßt mir einen Schlag in den Bauch, dann zieht er meinen Schal zu und stranguliert meinen Hals. „Privjet“ , „hallo“, soviel Russisch kann ich dann doch noch herauswürgen. Er läßt los, beschimpft mich wütend: „Faschist! Du bist ein Faschist!“ „Njet, druch russie“, nein ich sei doch ein Freund der Russen, versuche ich zu vermitteln. Der Mann zielt mit seiner Kalaschnikow auf mich. Zwar kann ich das Gebrüll nicht verstehen, doch es erscheint ratsam, die Hände zu heben. Die vier umstehenden Soldaten, unmaskiert und in grüner Flecktarnuniform, nehmen meine Sachen. „Wir zeigen dir, wie wir mit Faschisten umgehen.“

Im Abstand von hundert Metern sind zwei Reihen mit Sandsäcken über die Straße hinweg gestapelt. Hinter einem kleinen Häuschen soll ich mich auf ein muffig riechendes Sofa setzen. Ich zittere, ob vor Angst oder vor Kälte, ist mir gerade selbst nicht ganz klar. Ein ebenfalls blau Uniformierter mit Schnauzbart spricht mich auf englisch an, will wissen, was ich wolle. Noch zweimal wird das Gepäck auseinandergenommen, dann beruhigt sich die Lage.

Ein Soldat bringt Tee und Schwarzbrot mit Speck. Erst jetzt sehe ich, daß die blauen Uniformen in kyrillischer Schrift mit „Berkut“ beschriftet sind, jener ukrainischen Spezialeinheit, die Janukowitsch bis zuletzt die Treue gehalten hat. „Janukowitsch ist nicht gut“, sagt mein schnauzbärtiger Gesprächspartner, der sich als „Schwimmlehrer Andrej“ von der Krim vorstellt: „Putin ist gut.“

Eine innere Stimme rät mir, in dieser Situation lieber ein verrückter Weltenbummler als ein Journalist zu sein. Ich zeige Reisefotos und Kartentricks, übe russische Vokabeln. Andrej bringt mir eine dicke Militärjacke; endlich ist es nicht mehr kalt, trotz des pfeifenden Windes. Ein Gang zur Toilette wird gestattet in Begleitung eines grün Uniformierten.

Was für ein Anblick: In das Feld ist ein Loch gegraben worden, ringsum ein Bretterverschlag, dazu Zeitungspapier als einziges Utensil für die Notdurft. Besser als nichts. Und eine riesige Chance: Von hier aus kann ich in Ruhe das Gelände überblicken. Allein an der Straße stehen zehn große Zelte und stets etwa hundert (wechselnde) Bewaffnete: Blau uniformierte Angehörige der Berkut, Kosaken mit ihrer typischen Kopfbedeckung, der Kubanka oder Papacha, russische Soldaten – einige sogar mit Abzeichen. Dazu Freiwillige von der Krim, darunter Großmütter, die sich um die Verpflegung kümmern. Es wehen die Flaggen der Krim, der Kosaken und besonders groß die russische Fahne.

Rechts der Straße sind mehrere Gruppen von einigen Dutzend Soldaten auf dem Acker aktiv. Fünf Schützenpanzer und fünf Transporter stehen dort. Dazu zwei offene Wagen mit meterlangen Antennen, ausgestattet mit Computern – Fragen dazu sind nicht erwünscht. Mit einem Bagger werden Schützengräben ausgehoben und Mörservorrichtungen installiert. Bäume werden zu Brennholz verarbeitet. In der Ferne liegen Soldaten auf einem quer verlaufenden Wall, der sich im Nebel auflöst. Was sich links der Straße, jenseits einer Anhöhe abspielt, ist nicht zu ersehen. Aber nach einer Offensive sieht das Ganze nicht aus, eher scheinen die Militärs dabeizusein, sich festzusetzen.

Abwechselnd werde ich zu Gesprächen gebeten: Nudelsuppe an einem Tisch, Weißkohleintopf an einem anderen. Gemeinsames Aufwärmen an einer rostigen Eisentonne, in der ein Feuer lodert. Die Männer sprechen ganz offen darüber, russische Soldaten zu sein, aus allen Teilen des Landes. Einer von ihnen, Anfang zwanzig, berichtet: „Ich habe Work-and-Travel in den USA gemacht und mag die Leute dort. Aber die Politik ihrer Regierung ist schlecht. Sie behaupten, daß Rußland die Welt erobern will. Das stimmt nicht. Wir sind ruhige Leute, wollen einfach Bier und Wodka trinken und zu Hause bei unseren Familien sein.“ Über ihre Anreise berichten sie Unterschiedliches: Mal, sie seien vom russischen Marinestützpunkt Sewastopol, mal sie seien per Zug oder mit Fähren gekommen. Einige wollen ihre Deutsch-Vokabeln aus der Besatzungszeit zum besten geben; beim lauten gemeinsamen Lachen zeigen sie ihre zahlreichen Goldzähne.

Einer traut dem Frieden nicht, sieht mich als „Amerikanski Spion“. Er will wissen, wie viele US-Soldaten am gegnerischen Stützpunkt postiert seien. Die Antwort „keine“ stellt ihn nicht zufrieden. Also spekuliere ich ihm zuliebe, daß sie sich vielleicht in den Feldern versteckten, die Amerikaner seien schließlich gerissen. Ein Lächeln, ein Augenzwinkern. Und schon sind die Sympathien der Männer wieder auf meiner Seite. Ein Küchensoldat drückt mir gar ein Verpflegungspaket für russische Elitesoldaten in die Hand: „Du essen!“

„Es ist Krieg hier“, sagt der Kommandant: „Geh jetzt!“

Nur ein Problem bleibt ungelöst: Mein Fotoapparat ist verschwunden. Von 8 Uhr morgens bis 16.45 Uhr am Nachmittag warte ich. Dann sorgt Berkut-Chef Sascha dafür, daß ich mit dem nächsten Lastwagen verschwinde, zurück auf das ukrainische Festland. Ich versuche noch, freundlich zu insistieren. Immer wieder. Sascha bekennt, er wisse nicht, wer die Kamera hat: „Es ist Krieg hier. Geh jetzt!“ Er drückt mir 500 Griwna in die Hand, umgerechnet rund 37 Euro. Das Geld kann den Verlust des Geräts nicht aufwiegen – und bleibt dennoch eine starke Geste.

Nach der Rückkehr vom russischen Stützpunkt Armjansk der nächste Schock: Neben der Kamera und einem USB-Stick sind auch 180 Euro bei der Durchsuchung verschwunden, dazu eine Handvoll ukrainische Münzen. Jetzt heißt es: Prioritäten setzen. Ein Bekannter schreibt ein Pamphlet in russischer Sprache. Tenor: Präsident Putin wünsche die Herausgabe des Fotoapparates. Damit wende ich mich erneut an meine ehemaligen Bewacher.

Das Papier zeigt Wirkung: Die russischen Soldaten und ihre verbündeten Kosaken- und Berkut-Verbände freuen sich und hängen das Dokument öffentlich aus. Zwei der Krieger greifen von der Seite zu, um mich zum Straßengraben zu führen. Scheinbar durch Zufall liegt mein schwarzer Apparat hinter der eisernen Straßenbegrenzung im Gras. Die Stimmung ist gelöst. Ihren deutschen Gast sehen die Männer nun als „Freund“ und schenken mir einen schwarz-orange gestreiften Stofforden. Er gilt als Symbol des sowjetischen „Sieges über den Faschismus“.

Zuletzt erhalte ich noch ein ganz besonderes Präsent: Ein Uniformierter drückt mir ein Kondom in die Hand. Hinter der militärischen Absperrung steht ein Auto mit einer jungen hübschen Prostituierten auf der Rückbank. Offenbar soll sie die Einsatzkräfte dort durch sexuelle Dienste bei Laune halten. Von Romantik kann bei Dutzenden Zuschauern in nächster Umgebung keine Rede sein. Ich lehne dankend ab. Sofort steht die Frage im Raum: „Bist du schwul?“ Homosexualität gilt in Osteu-ropa als Tabu, und für die prorussischen Kräfte ist sie ein starkes Argument gegen die Europäische Union, welche „die richtigen Männer umerziehen“ wolle.

„Klitschko piedal“, Vitali Klitschko, der bekannte Boxer politische Repräsentant der Maidan-Revolution sei „schwul“, ruft plötzlich jener korpulent-stämmige Berkut-Mann dazwischen, der mich noch gestern mit körperlicher Gewalt begrüßt hatte. Er lacht laut. Und immer wieder: „Klitschko piedal.“

Für mich heißt es nun, den mir wohlgesonnenen Berkut-Kommandanten Sascha finden, um ihm sein Geld zurückzugeben, welches er mir gestern als „Entschädigung“ für die verschollene Kamera gegeben hatte. Nach einer halben Stunde erscheint er und nimmt den 500-Griwna-Schein regungslos entgegen. „Verlasse jetzt bitte den militärischen Sicherheitsbereich“, so sein Begleiter. Mit einem Lastwagen geht es zurück Richtung Cherson auf dem ukrainischen Festland, mein Rucksack ist bei einem Freund untergebracht.

Könnten die stimmungsschwankenden Kontrolleure an der Überlandstraße ihr Verhältnis zu mir vielleicht nochmals überdenken? Um auf Nummer Sicher zu gehen und endlich erfolgreich nach Simferopol, Sitz der Regierung für die autonome Halbinsel Krim, zu gelangen, nehme ich den Zug. Mit etwa 50 Stundenkilometern tuckert er durch die Landschaft. Drei mit russischen Armbinden bestückte Männer wandern durchs Abteil. Für mich interessieren sie sich nicht. Erst am Zielbahnhof werden alle Passagiere gefilzt – von einer Freiwilligenbrigade.

Ansonsten herrscht, ganz anders als es internationale Medienberichte vermuten lassen, in Simferopol auf den ersten Blick eine überraschende Alltagsnormalität.

 

Krise um die Krim

Noch bevor am 16. März ein Referendum über den Status der Halbinsel stattfinden soll, hat das Parlament der Krim am Dienstag dieser Woche die Unabhängigkeit von der Ukraine erklärt: 78 von 81 Abgeordneten hätten einer „Unabhängigkeitserklärung der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol“ zugestimmt. Außerdem erklärte die Regierung der Krim, sie werde die im Hafen der Halbinsel stationierten ukrainischen Kriegsschiffe beschlagnahmen und nicht an die Regierung in Kiew zurückgeben. Ukrainische Soldaten, die nicht auf die Seite der Autonomieregierung wechseln wollen, sollen die Krim verlassen.

Foto: Bilder einer Aufstellung: Prorussische Freiwilligen-Milizionäre bei einer Versammlung in der Krim-Hauptstadt Simferopol (großes Bild); ukrainische Freiwilligen-Patrouille „Szamohoborona“ südlich von Tsiurupinsk (rechts oben); Reporter Billy Six an einem russischen Kontrollposten bei Armjansk (rechts unten)

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