© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Gesten mit Signalwirkung
Die baltischen Staaten und die Krimkrise: Angst vor russischer Expansion und hoffen auf die USA
Paul Leonhard

In der Altstadt von Riga herrscht geschäftiges Treiben. Die Straßencafés sind gut gefüllt. Menschen stehen nach russischem Konfekt an, tauschen sich über die neuesten Gerüchte aus. Trotzdem ist die Situation in der lettischen Hauptstadt anders als sonst, angespannter. Das hängt mit der Ukraine zusammen, den russischen Drohungen und den beiden ins Haus stehenden Jahrestagen.

Am 16. März, dem Tag der Legionäre, gedenken die nationalen Letten der im Zweiten Weltkrieg für die Freiheit des Landes Gefallenen, am 9. Mai feiern die Kommunisten und viele russischstämmige Einwohner den „Tag der Befreiung“. Nur, daß dieser aus Sicht der Balten kein solcher war, sondern die Fortsetzung der 1940 begonnenen Okkupation ihrer Länder durch die Sowjetunion. Ein Trauma, das bis 1991 dauern sollte und heute noch Ängste auslöst.

USA wollen Schutz der Balten verstärken

Über die richtige Geschichtsinterpretation streiten Estland, Lettland und Litauen mit Rußland seit Jahren. Mehrfach ist es deswegen in Riga am 16. März zu Straßenschlachten zwischen Nationalisten und Kommunisten gekommen. In diesem Jahr ist die Situation noch brenzliger, da die Antifa europaweit und mit russischer Unterstützung gegen die Kranzniederlegungen für die Legionäre am Freiheitsdenkmal mobilisiert.

Lettland und Estland sind aus Sicht Moskaus ohnehin ein Hort von Faschisten und Geschichtsfälschern, die überdies ihre russischstämmige Bevölkerung diskriminieren. In beiden Ländern liegt der Anteil der während der sowjetischen Besetzung angesiedelten Russen noch heute bei 40 respektive 30 Prozent. Von diesen sind viele staatenlos, weil sie die Sprache des Landes nicht lernen wollen. Für zusätzliche Unruhe sorgt aktuell ein Plan der lettischen Regierung, ab dem Schuljahr 2018 den Unterricht ausschließlich auf lettisch durchzuführen. Rußlands Außenminister Sergej Lawrow kündigte daraufhin an, das Programm „Russische Schule im Ausland“ weiter intensivieren zu wollen. Ein ähnlicher Versuch Rigas hatte bereits 2005 zu heftigen Protesten geführt und war nur daran gescheitert, daß es nicht genügend lettisch sprechende Lehrer gab.

Wie schnell sich quasi aus dem Nichts gewalttätige Unruhen organisieren lassen, hat Rußland schon einmal in Estland demonstriert. Vor acht Jahren hatten Russischstämmige am 9. Mai vor dem Siegesdenkmal die Fahnen des Sowjetreiches geschwenkt, worauf das Parlament beschloß, alle sowjetischen Kriegsdenkmale abzubauen. Bei der Umsetzung eines Bronzesoldaten kam es in Reval zu den schwersten Unruhen seit der Unabhängigkeit. Obwohl diese offenbar von der russischen Botschaft gesteuert worden waren, sprach Kremlchef Wladimir Putin von einer „Krisensituation“, und Wladimir Schirinowski, Vizepräsident der Staatsduma, schlug vor, ein paar Infanteriebataillone über die Grenze zu schicken.

Daß sich Rußland das Baltikum am liebsten wieder einverleiben würden, daran haben die Balten keinen Zweifel. Deswegen sind die derzeit über ihrem Territorium patrouillierenden US-Kampfflugzeuge ebenso willkommen wie die Erklärung, daß die USA die Unterstützung ihrer osteuropäischen Nato-Verbündeten wegen des russischen Vorgehens in der Ukraine verstärke. Alle osteuropäischen Völker haben ihre Erfahrungen mit militärischen Interventionen Rußlands gemacht.

Aufgrund dessen drängten die Balten nach ihrer Unabhängigkeit, in die Nato aufgenommen zu werden. Als Polen jetzt die Bedrohung seiner Sicherheit nach Artikel 4 des Bündnisvertrages geltend machte, schloß sich Litauen sofort an. Es erscheint aus Sicht der Balten als Glücksfall, daß zur Zeit die Amerikaner für die Kontrolle ihres Luftraums zuständig sind. Allein ihnen trauen sie zu, Rußland abzuschrecken.

Die erstmalige Teilnahme britischer, lettischer, litauischer und dänischer Nato-Kontingente an der traditionellen Militärparade am 24. Februar 2014, dem estnischen Unabhängigkeitstag, war ein klares Signal der Solidarität. Russischen Beobachtern wurden Luft-Boden-Raketen, Flugabwehrkanonen, Antipanzerraketen, mobile Radarsysteme, Helikopter und Kampfjets präsentiert.

Daß die Amerikaner ihr Training mit der polnischen Luftwaffe intensivieren, die Nato-Manöver im Baltikum ausweiten wollen und inzwischen zehn Kampfjets und zwei Tankflugzeuge in Litauen stationiert haben, sorgt in Osteuropa für Erleichterung. Von der richtigen Antwort auf die „russische Aggression in der Ukraine und eine erhöhte Aktivität in Kaliningrad“ sprach der litauische Verteidigungsminister Juozas Olekas. Rußland droht seit Jahren, als Reaktion auf das von den USA initiierte Raketenschild in Polen, im Königsberger Gebiet atomwaffenfähige Kurzstreckenraketen zu stationieren. Diese stünden dann mitten zwischen den Nato-Partnern Polen und Litauen.

Sein Land werde die Unterstützung der Nato-Verbündeten wegen des Vorgehens Rußlands in der Ukraine verstärken, erklärte Chuck Hagel. Daß der US-Verteidigungsminister, als er diese „Geste mit Signalwirkung“ ankündigte, Litauen mit Lettland verwechselte, wird ihm in diesem Fall nachgesehen.

Foto: Protest vor der russischen Botschaft in Riga: Lettland sorgt sich um seine staatliche Unabhängigkeit

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