© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

„Durer rocks!“
London: Eine Ausstellung in der Nationalgalerie feiert die merkwürdige Schönheit von Meisterwerken deutscher Renaissance-Malerei
Sebastian Hennig

Lange Banner werben in London für eine Sonderausstellung mit dem reißerischen Titel „Strange Beauty“. Auf die Reproduktionen von Malereien eines spätgotischen Petrus und einer manieristischen Dame vom älteren Cranach ist ein rotes Fraktur-Fragezeichen gedruckt. Nun kann es tatsächlich passieren, daß der Betrachter zusammenfährt, wenn ihm beispielsweise in der Gemäldegalerie der Uffizien in Florenz, nach all den zarten Gestalten von Botticelli, Mantegna und Lippi, plötzlich die von Cranachs Hand gemalten Konterfeis von Martin Luther und Philipp Melanchthon entgegendrohen.

Der Mythos einer mediterranen Renaissance-Grazie ist vor allem die literarische Erfindung der englischen Kulturtouristen des 19. Jahrhunderts, der Präraffaeliten um Ruskin und Rosetti. Dieser Mythos wird nun in Stellung gebracht gegen die angeblich etwas schräge Anmut der nordalpinen Malerei. Tatsächlich aber bewegten sich gerade die deutschen Maler ganz auf der Höhe der Zeit. Ein Cranach wurde im Süden für sein Kolorit bewundert. Und Albrecht Dürer wurde nicht nur von den italienischen Meistern seiner Zeit als gleichrangig wahrgenommen, sondern er war eine bedeutende Anregungsquelle für sie. Durch die Wirkung seiner Grafik wurde er zur europäischen Stilikone des 16. Jahrhunderts. Noch Tintoretto sollte sich Dürerscher Bildvorlagen bedienen, die andererseits bis in die Mogulmalerei Indiens hineinwirkten.

In der Londoner Ausstellung nun kann man mit den Augen verstehen. Die Aura dieser Bilder wirkt weit hinein in die Sphäre des Geplappers über die Kunst. Das ist im letzten Raum zu bemerken. Nachdem mehrere Säle hindurch großartige Bilder zu sehen waren, wird vor dem Verlassen der Ausstellung die Aufmerksamkeit der Besucher noch einmal auf die Eingangsthese zurückgelenkt. In großen Lettern aus Spiegelglas sind an drei Wänden die Fragen zu lesen, ob Schönheit und Ausdruckskraft sich gegenseitig ausschließen, ob in der Kunst Erfindung mit Naturtreue vereinbar und ob Häßlichkeit authentischer als Schönheit sei. Zumal die letzte Frage will keiner mehr so richtig begreifen.

An die vierte Wand sollen die Besucher ihre Meinung heften. Dort steht dann zu lesen: „Durer rocks!“ oder „Germans are strong and they look inside the human soul.“ Von der Häßlichkeitsvermutung ist da nirgends mehr die Rede. Dafür ist mehr als einmal der Gemeinplatz zu lesen von der Schönheit, die im Auge des Betrachters liegt, und es wird gefordert, auch sonst mehr von dieser Kunst zugänglich zu machen.

Daß die Nationalgalerie hier überwiegend Werke aus eigenen Beständen zusammengestellt hat, die sonst die Glanzpunkte der ständigen Ausstellung darstellen und nun für Monate für ein beachtliches Eintrittsgeld separiert werden, kreidet einer der Besucher völlig zu Recht an. Zeichnungen und Grafiken aus dem British Museum und dem Ashmolean Museum Oxford ergänzen die Schau. Zu den seltenen Kostbarkeiten gehört die weiche Zeichnung einer älteren Frau mit gefalteten Händen von Matthias Grünewald.

Die Auswahl der Bilder läßt nichts von dem diffamierenden Titel übrigbleiben. Schon im ersten Raum kann sich neben einer Raffael-Madonna die nordische Kunst geschwisterlich behaupten. Der tänzerische Manierismus eines Hans von Aachen gehört ebenso zu diesem umfassenden Panorama wie die Konturstrenge eines Hans Holbein der Jüngere, mit dessen großem Doppelporträt der französischen Gesandten London prunken kann. Ein kleiner Hieronymus aus Dürers stürmischer Jugendzeit stellt seine großformatigen Werke hier in den Schatten.

Die Renaissance-Malerei ist tatsächlich weniger mit den reifen als mit den expressiven Werken vertreten. Dazu gehören Albrecht Altdorfers riesige Tafel mit dem Abschied Jesu von seiner Mutter sowie Werke von Wolf Huber und Hans Baldung Grien. Die Cranach-Bilder stammen ausschließlich aus seinem höfisch formalisierten Spätwerk. Eine atemberaubende Perspektivstudie eines liegenden Mannes von Peter Flötner und ein abgeschlagenes Haupt von Hans Burgkmair repräsentieren die zur Form gezähmte Neugierde der deutschen Renaissance-Meister.

Der Philosoph Panajotis Kondylis bemerkte einmal: „Scheuklappen bieten sichere Orientierung.“ Hier vermochten sie die englischen Kunstfreunde geradewegs vor die Reize der deutschen Kunst zu führen.

Die Ausstellung „Strange Beauty: Masters of the German Renaissance“ ist bis zum 11. Mai in der National Gallery London, Sainsbury Wing, Trafalgar Square, täglich von 10 bis 18 Uhr, freitags bis 21 Uhr, zu sehen

www.nationalgallery.org.uk/

Foto: Matthias Grünewald, Ältere Frau mit gefalteten Händen, 1515; Hans Holbein der Jüngere, Die Gesandten, 1533: Mit den Augen verstehen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen