© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Hausunterricht – Homeschooling
Natürliches Recht der Eltern
Andreas Vogt

Ist von Recht die Rede, denkt der Deutsche zuerst an Verbote. Im Bereich der Bildung war das nicht immer so. Seit dem 16. Jahrhundert wurde zwar die Notwendigkeit erkannt, auch die breite Masse der Untertanen mit den wichtigsten Kulturtechniken vertraut zu machen. Bis weit hinein ins 20. Jahrhundert bestand aber die Möglichkeit, die Bildungspflicht außerhalb einer Schule zu erfüllen. Nach dem preußischen Allgemeinen Landrecht (1794) etwa galt Schulpflicht nur für den Fall, daß kein Hausunterricht stattfindet. Die Paulskirchenverfassung (1849) bestimmte, daß „der häusliche Unterricht keiner Beschränkung“ unterliegt. Die revidierte Verfassung für den preußischen Staat (1850) verpflichtete die Eltern, ihre Kinder „nicht ohne den Unterricht zu lassen, welcher für öffentliche Volksschulen vorgeschrieben ist“. Bedenken gegen den Staat als Erzieher hatte Wilhelm von Humboldt. Noch Konrad Adenauer und Dietrich Bonhoeffer wurden im Grundschulalter zu Hause unterrichtet.

Erst die Weimarer Reichsverfassung von 1919 legte fest: „Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren.“ Aber das Reichsgrundschulgesetz von 1920 gestattete Heimunterricht „ausnahmsweise“. An die Forderung nach Verstaatlichung der Bildung konnte dann die nationalsozialistische Pädagogik organisch anknüpfen. An der Wiege dieser bildungspolitischen Wende stand kein Individual-, sondern ein institutionelles Interesse, allerdings kein solches der Familie. Das zu einer Schulbesuchspflicht eingedampfte Recht auf Bildung schwächte die Eltern und stärkte den Staat, der sich der Kinder nun bemächtigte.

Mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, das keine Bestimmungen zur Schulpflicht mehr enthält, wurde „das natürliche Recht der Eltern“ rekonstruiert. „Der Staat, der seit Weimar die Vorherrschaft in Erziehungsfragen beansprucht hatte“, schreibt der Kieler Rechtshistoriker Hans Hattenhauer, „wurde wieder zurückgewiesen auf die Rolle eines Gehilfen.“ Die mit Homeschooling konfrontierte Rechtsprechung aber zaubert nun aus Artikel 7 Absatz 1 GG („Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates“) einen „staatlichen Erziehungsauftrag“ hervor, der das Elternrecht insofern beuge. Und obwohl der Staat in das Elternrecht nur eingreifen darf, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist, und Kinder bloß bei Verwahrlosung von der Familie getrennt werden dürfen (Artikel 6 Absätze 2 und 3 GG), wird die absolute Schulpflicht letztlich mit angeblichen Kollektivinteressen gerechtfertigt. Klauseln wie „Parallelgesellschaft“, die es zu verhindern gelte, mißachten aber, daß Grundrechte gerade den Schutz von Minderheiten bezwecken; solche Schlagworte „dienen eher als Wahrnehmungsbarrieren denn als Wahrnehmungshilfen“ (Franz Reimer).

Nicht nur verfassungsrechtlich steht die Repression des Homeschoolings auf tönernen Füßen. Der Soziologe Thomas Spiegler weist auf das Empirie­defizit hierzulande hin; viele internationale Studien kämen zu dem Schluß, daß Homeschooler besser oder zumindest nicht schlechter als andere Schüler abschneiden.

Die Alternative zum staatlichen Bildungsmonopol kratzt an Eitelkeiten. Daß sie reflexhaft verwehrt wird, hat nicht pädagogische, sondern politische Gründe. Die Erziehungsfunktion des Staates entspricht sozialistischer Weltanschauung.

Der Bildungserfolg entspricht auch meiner Erfahrung als Rechtsanwalt von rund einem Dutzend betroffener Familien. Die Eltern habe ich als bildungsambitionierte, die Kinder als besonders aufmerksame und selbstbewußte Menschen kennengelernt. Wie andere engagieren sie sich in Vereinen, erlangen gute bis sehr gute Schulabschlüsse und reüssieren beruflich oder im Studium.

Gewiß, die bekämpfte Alternative zum staatlichen Bildungsmonopol kratzt an Eitelkeiten. Begehrt wird aber nicht die Abschaffung der Schulpflicht, sondern nur eine zweckgerichtete Ausnahme. Daß dies reflexhaft verwehrt wird, hat nicht pädagogische, sondern politische Gründe. Die Erziehungsfunktion des Staates entspricht sozialistischer Weltanschauung. Warum Liberale und Konservative sie nicht verhandeln, kann hier nur als Frage formuliert werden.

Wenige begreifen, daß der Homeschooling erlaubende Staat sein Wächteramt nicht verabschieden muß. Der Gesetzgeber könnte sich etwa an Österreich orientieren, wo der legale Hausunterricht einer Meldepflicht und regelmäßigen Lernstandskontrollen unterliegt.

 

Dr. Andreas Vogt, Jahrgang 1973, Jurastudium in Göttingen und Paris, Referendariat in Berlin, ist Rechtsanwalt in Eschwege (Nordhessen) und bundesweit tätig insbesondere im Schul- und Verwaltungsrecht sowie im Strafrecht.

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