© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Hausunterricht – Homeschooling
Chancen nicht verbauen
Josef Kraus

Die Bundesrepublik Deutschland ist weder eine Bananenrepublik noch ein Unrechtsstaat, in dem Bürger- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Deshalb ist es nicht notwendig, daß eine deutsche Familie politisches (!) Asyl in den USA begehrt, nachdem sie in Deutschland den Besuch der Schule durch ihre Kinder verweigert hat.

Tatsache ist: Es handelt sich bei den Schulpflichtreglungen der 16 deutschen Länder um Gesetze, die demokratisch und rechtsstaatlich zustande gekommen sind. Der Staat wacht über die Erfüllung dieser Schulpflicht. Die Bürger- und Menschenrechte werden durch eine solche Pflicht keineswegs verletzt. Im Gegenteil: Erst durch umfassende und solide Bildung wird man zum mündigen Bürger.

Die Einführung der Schulpflicht in Deutschland vor – je nach Teilstaat – 200 bis 300 Jahren ist und bleibt eine große soziale Errungenschaft. Damit wird allen sozialen Schichten eine halbwegs solide und breite Bildung ermöglicht, und zwar unabhängig vom Bildungsstand und vom Geldbeutel der Eltern. Gäbe es diese Schulpflicht nicht, so käme wohl kaum mehr als ein Fünftel der Kinder – Kinder nämlich wohlhabender Eltern – in den Genuß von Bildung. Dem Gros der Kinder bliebe solches vorenthalten. Vergessen sei auch nicht: Die Einführung der Schulpflicht war eine Maßnahme zum Schutz der Kinder vor Ausbeutung durch Kinderarbeit.

Wer Homeschooling zuläßt, müßte als Alternative zum staatlichen beziehungsweise zum staatlich anerkannten oder staatlich genehmigten Schulwesen den Besuch privat organisierter Koranschulen als Ersatzbeschulung zulassen.

Daß in den USA manches anders ist, weiß man. Selbst die Vorstellungen von Rechtsstaat scheinen dort, in der ältesten modernen Demokratie der Welt, etwas anders zu sein. Was das Homeschooling betrifft, so sind die USA auch in dieser Hinsicht ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Gewiß befindet sich das öffentliche Schulwesen dort in einem oft desaströsen Zustand. Die US-Elite-Schulen und die US-Elite-Universitäten drängen diese Diagnosen oft genug in den Hintergrund. Das Homeschooling hat jedenfalls in den USA allein schon deswegen Zulauf bekommen. Angeblich haben sich die Eltern von bereits annähernd zwei Millionen Kindern solchermaßen, das heißt durch „Opting out“, aus dem öffentlichen Schulwesen ausgeklinkt.

Jenseits dieser Abstimmung mit den Füßen ist das Homeschooling aber auch zum Spielfeld fundamentalistischer und sektiererischer Eltern geworden. Eine der führenden Gruppen sind die Kreationisten, die nicht wollen, daß ihre Kinder in der Schule mit der Lehre der Evolution konfrontiert werden. Auch die in den USA Asyl begehrende deutsche Familie wollte ihren Kindern das „unchristliche Treiben“ an deutschen Schulen ersparen, denn in Schulbüchern wimmele es von obszönen Ausdrücken, Flüchen und Gotteslästerungen.

Gestützt werden solche Eltern von einer evangelikalen Lobbygruppe mit dem Namen „Home School Legal Defense Association“ (HSLDA). Diese verstieg sich im aktuellen Asyl-Fall schon vor Jahren zur Interpretation, in Deutschland werde „ideologische Konformität“ erzwungen, und dies wecke „beängstigende Erinnerungen an die Vergangenheit“.

Betrachten wir Homeschooling ganz praktisch. Tatsache ist: Kein Elternpaar kann seinen Kindern an fachlicher Kompetenz mitgeben, was Schule mitgeben kann. Da bedürfte es schon eines privaten Netzwerkes, das schier der regulären Gründung einer Privatschule gleichkäme. Vor allem aber wird „Zuhause-Beschulten“ die ganze Bandbreite schulischen sozialen Lernens und schulischer Kultur vorenthalten. Solche Kinder erleben nicht, was ein Skikurs, eine Studienfahrt zusammen mit einer ganzen Klasse oder was eine gemeinsame Theateraufführung, ein sportlicher Wettstreit mit anderen, weltanschaulich nicht stramm Gleichen bedeuten.

Homeschooling mutet ein wenig an wie Abschottung und wie ein selbstgewähltes Reservat. Christlich-fundamentalistische Argumente für ein Homeschooling können da nicht als Ausflucht dienen. Schließlich haben wir in Deutschland eine reich differenzierte Landschaft an Schulen in kirchlicher Trägerschaft.

Im übrigen darf man nicht übersehen, welche Folgen die Zulassung von Homeschooling gerade in Populationen mit viel Migrationshintergrund hätte. Ein Gedankenexperiment nur: Wer Homeschooling zuläßt, müßte als Alternative zum staatlichen beziehungsweise zum staatlich anerkannten oder staatlich genehmigten Schulwesen den Besuch privat organisierter Koranschulen als Ersatzbeschulung zulassen.

 

Josef Kraus, Jahrgang 1949, ist Lehrer an einem Gymnasium in Süddeutschland. Er ist Autor des Buches „Helikopter-Eltern. Schluß mit Förderwahn und Verwöhnung“ (Rowohlt Verlag, Reinbek 2013).

Foto: Bildungspflicht durch Eltern wahrnehmen lassen: Hervorragende Resultate bei den Kindern – oder Rückzugsraum für Querulanten und religiöse Eiferer?

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